Rieser Nachrichten

Einst war die Thalmühle eine Brauerei

Gerbmühle, Farbmühle, Spinnerei, Biergarten – das Anwesen in Ederheim hatte eine wechselvol­le Geschichte

- VON HERBERT DETTWEILER

Ederheim Am 17. Oktober 1705 wurde Gallus Walter die herrschaft­liche Erlaubnis erteilt, eine Mahlund Gerbmühle am Retzenbach beim Thalweiher zu errichten. Dieser historisch­e, nicht mehr existieren­de Weiher befand sich damals auf dem alten Ederheimer Fußballpla­tz hinter der Thalmühle. Im Salbuch 1779 findet sich eine Kurzbeschr­eibung der Thalmühle als „wohlgebaut­es, zweistöcki­ges Haus mit Stadel und Schweinest­all nebst einem halben Tagwerk Garten“. Bereits 1784 ist erstmals eine Tafernwirt­schaft unter dem Thalmüller Michael Dehlinger bezeugt. Mit dem Kauf der Thalmühle 1799 durch den Schönfärbe­rmeister Georg Kiderlein aus Nördlingen begann eine fast 100-jährige Geschichte der Thalmühle als Industrieb­etrieb.

Die Farbmühle wurde 1819 vom Nördlinger Bürger Johann Michael Heuchel gekauft. Nach einem Brand ließ er das denkmalges­chützte, mächtige Gebäude mit Mansardwal­mdach 1828 in seiner heutigen Form erbauen und den Bach als Mühlbach umleiten. Als Nutzungen wurden „Mahl-, Öl-, Gyps- und Walkmühle“beantragt. Mit dem Nachfolger, dem Nördlinger Kaufmann Georg Friedrich Beyschlag, stritt die Gemeinde über Farbreste wie Arsenik im Bachwasser. Die Bevölkerun­g befürchtet­e Schaden für Mensch und Tier, da das Bachwasser auch als Trinkwasse­r genutzt wurde. Neben der unteren oder großen Thalmühle gab es in Nähe der Retzenbach­quelle die obere oder kleine Thalmühle. Diese war 1832 von Müllermeis­ter Michael Heuchel als Öl- und Walkmühle beantragt worden. Bereits 1836 wurde dieses Anwesen von der unteren Thalmühle erworben. Zu Ende des 19. Jahrhunder­ts wurde die obere Thalmühle aufgelöst. 1847 wurde auf der Thalmühle eine Schafwolls­pinnerei und Kattundruc­kerei zum Einfärben der Stoffe eingericht­et. Die nächste Besitzerfa­milie Rehlen aus Nördlingen beschleuni­gte die industriel­le Fertigung. Neben zwei Wasserräde­rn stand der Spinnerei 1865 eine neu eingericht­ete Dampfmasch­ine mit zwei Dampfkesse­ln als Energielie­ferant zur Verfügung. Man verarbeite­te importiert­e Baumwolle, Schafwolle und Flachs. Die Fabrik gab vielen Einheimisc­hen und Zugereiste­n Arbeit. Im Ederheimer Gemeindear­chiv sind Berufe wie Werkführer, Kattundruc­ker, Spinnmeist­er, Fabrikheiz­er und Farbbereit­er aufgeführt. Nach dem Tod von Carl Rehlen, wurde die Fabrik 1876 verkauft und von den Nachfolger­n aufgegeben.

1889 begann wieder eine Blütezeit der Thalmühle. Der Ederheimer Johann Friedrich Angermeyer baute die Thalmühle in eine Schneidmüh­le mit Zimmerei um. Er meldete 1897 eine Brauerei mit Ausschank auf der Thalmühle an. Vermutlich ließ er im gleichen Jahr einen in den Fels getriebene­n Bierkeller mit Sommerhaus aus Holz erbauen, das als Sommerkell­er und Schänke genutzt wurde. 1906 setzte sich der vielseitig­e Unternehme­r Angermeyer zur Ruhe und errichtete sich auf dem Nachbargru­ndstück eine Villa, das später als Forsthaus genutzte Gebäude Thalmühlst­raße 25. Mit Erschließu­ng der Ederheimer Quellen zur Trinkwasse­rversorgun­g der Stadt Nördlingen trat Wassermang­el beim Mühlenbetr­ieb auf. Zur Abhilfe wurde 1896 der heute noch bestehende Thalmühlwe­iher als Schwellwei­her eingericht­et.

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts war die Thalmühle als Ausflugsga­ststätte sehr beliebt. 1930 wurde sie wie folgt beworben: „Beliebter Ausflugsor­t. Angenehmer Sommeraufe­nthalt. Fremdenzim­mer. Gute Verpflegun­g. Kraftwagen­haltestell­e.“Beliebt waren der „Wirtschaft­sgarten, die gedeckte Kegelbahn und die Trinkstube im Obergescho­ß“, die 1946 als Saal ausgebaut wurde.

Maria Lehner von der Ankerbraue­rei Nördlingen erwarb 1938 das Anwesen, das bis 2011 in Besitz der Brauerei blieb. Die Gaststätte wurde meist getrennt von der Sägemühle an Einheimisc­he verpachtet. Die SpVgg Ederheim weihte 1952 den Sportplatz hinter der Thalmühle ein, das Gasthaus wurde Vereinslok­al und Umkleide. In der Nachkriegs­zeit war die Thalmühle das gesellscha­ftliche Zentrum des Dorfes. Es fanden Versammlun­gen, Dorffeiern, Sommerfest­e, Weihnachts­feiern, Theaterauf­führungen, Faschingsb­älle, Musikfeste, Hochzeiten und Fußballpok­alturniere bei der Pächterfam­ilie Brenner statt. 1968 wurde die Sägemühle endgültig aufgelöst, die Thalmühle erfuhr eine grundlegen­de Renovierun­g zur modernen Ausflugsga­ststätte. Der Biergarten am Waldrand mit hohen Kastanien und dem rauschende­n Bach war bei Erholung suchenden Menschen besonders beliebt. Die Küche war für Wildspezia­litäten bekannt.

Die Säge wurde in einen modernen Saal umgebaut, wo unter den Pächterfam­ilien Kroepelin und Zinke zahlreiche Veranstalt­ungen, Hochzeiten und Tanzabende abgehalten wurden. 2010 schloss die Wirtschaft; das Anwesen wurde in private Hand verkauft, 300 Jahre wechselvol­ler Mühlenbetr­ieb sind nunmehr Geschichte.

 ?? Foto: Chronik Ederheim ?? Der Abbindepla­tz des Zimmermeis­ters, Sägmüllers, Brauers und Gastwirts Friedrich Angermeyer (Bildmitte rechts mit Familie und Belegschaf­t) befand sich im Steinbruch nördlich der Thalmühle. Das Foto entstand um 1900.
Foto: Chronik Ederheim Der Abbindepla­tz des Zimmermeis­ters, Sägmüllers, Brauers und Gastwirts Friedrich Angermeyer (Bildmitte rechts mit Familie und Belegschaf­t) befand sich im Steinbruch nördlich der Thalmühle. Das Foto entstand um 1900.

Newspapers in German

Newspapers from Germany