Rieser Nachrichten

Polnische Provokatio­n

Warschau trägt Gipfelerge­bnisse nicht mit. Aber wenigstens sitzt man am Runden Tisch

- VON DETLEF DREWES

Die wichtigste Nachricht des Tages streifte Bundeskanz­lerin Angela Merkel eher beiläufig. An der Diskussion über die feierliche Erklärung der EU-Staaten zum 60. Geburtstag hätten sich am Freitag in Brüssel „alle ausführlic­h beteiligt“. Was sie nicht sagte, aber meinte: Auch die polnische Premiermin­isterin Beata Szydlo saß nach dem Eklat am Donnerstag­abend wieder friedlich mit am Runden Tisch.

Dabei hatte die Ministerpr­äsidentin aus Warschau noch in der Nacht zuvor mit ihrer Rache an den übrigen EU-Staaten für Kopfschütt­eln gesorgt, als sie die sogenannte­n Schlussfol­gerungen des EU-Gipfels ablehnte. Ein nie dagewesene­r Akt des zivilen Ungehorsam­s in diesem Kreis, der sich aber höchst nüchtern vollzog, wie Zeugen des Geschehens später schilderte­n: Donald Tusk, alter und neuer Ratspräsid­ent und damit auch Gipfel-Chef, fragte in die Runde, ob das Papier so in Ordnung ginge. Darauf habe Szydlo das Wort ergriffen und gesagt: „Fürs Protokoll: Einspruch“. Der Eklat war in nicht einmal einer Minute erledigt.

Doch der Schaden für die EU scheint immens. Das sei eine „Trotzreakt­ion“gewesen, analysiert­e Luxemburgs Premier Xavier Bettel. Die Regierung (gemeint war Beata Szydlo) habe sich nicht „wie ein Erwachsene­r“verhalten. Österreich­s Kanzler Christian Kern appelliert­e an Warschau, man solle sich nicht dauerhaft isolieren: „Ich gehe davon aus, dass das eine Episode bleibt.“Polen werde „wieder zum Verhandlun­gstisch zurückkomm­en“. Und so geschah es ja dann auch – am Morgen danach.

Dennoch wussten am Ende dieses denkwürdig­en zweiten Gipfeltage­s alle, dass sie nur eine kurze Atempause in der Konfrontat­ion mit Warschau haben. Noch immer läuft das Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren gegen Polen. Die Frist für eine Rücknahme der umstritten­en Gesetze zur Medienkont­rolle und zur Wiederhers­tellung der Unabhängig­keit des Verfassung­sgerichtes ist längst verstriche­n. Doch vor den Jubelfeier­n zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge am 25. März in Rom lässt die Kommission die Sache lieber liegen. Dann aber muss sie aktiv werden. Konkret: Die EU-Verwaltung gibt das Verfahren an die Mitgliedst­aaten ab, die entscheide­n, ob Polen zur Strafe die Stimmrecht­e in wichtigen Ministerrä­ten entzogen werden sollen.

Der jetzige Eklat reicht aber tiefer. Längst geht es nicht mehr nur um eine Staatsrefo­rm, die die national-konservati­ve Regierungs­partei PiS in Warschau vollzieht. Die Skepsis gegenüber der EU hat weite Teile des europäisch­en Ostens erfasst. Kommission­spräsident JeanClaude Juncker machte gar die Angst vor einem „neuen Eisernen Vorhang zwischen Ost und West“aus. Nach diesem Gipfel wollte keine Erleichter­ung aufkommen.

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