Rieser Nachrichten

So sollen Kinder geschützt werden

Nach Missbrauch­sfällen in der Kirche oder in Vereinen müssen Haupt- und Ehrenamtli­che seit fünf Jahren ein erweiterte­s Führungsze­ugnis vorlegen. Das war anfangs heftig umstritten

- VON SARAH RITSCHEL UND DANIEL WIRSCHING

Die Entrüstung war zum Teil groß: Viele Ehrenamtli­che überlegten, aufzuhören; sie fühlten sich unter Generalver­dacht gestellt. Denn zum 1. Januar 2012 war ein Gesetz in Kraft getreten, das Ehrenamtli­che in Vereinen oder Kirchen genauso wie hauptamtli­che Mitarbeite­r in der Kinder- und Jugendarbe­it verpflicht­et, ein erweiterte­s Führungsze­ugnis vorzulegen. Es soll ihnen eine weiße Weste bescheinig­en und Kinder vor sexuellen Übergriffe­n schützen.

Das Gesetz war unter anderem eine Reaktion auf den Missbrauch­sskandal in der katholisch­en Kirche. 2010 war etwa bekannt geworden, dass im Internat der Benediktin­erabtei Ettal über Jahrzehnte hinweg Schüler körperlich misshandel­t und sexuell missbrauch­t worden waren.

Absolute Sicherheit bringt das Führungsze­ugnis nicht. In Aschaffenb­urg steht derzeit ein Fußballtra­iner aus dem Raum Ingolstadt vor Gericht. Er soll als Trainer beim SSV Jahn Regensburg zwei Zehnjährig­e missbrauch­t haben – sein Führungsze­ugnis war tadellos.

Bei den hauptamtli­chen Mitarbeite­rn von Kirchen, Jugendhilf­eeinrichtu­ngen oder Sportzentr­en ist das Führungsze­ugnis heute etabliert. Auch die Empörung unter den Ehrenamtli­chen hat sich fünf Jahre nach Inkrafttre­ten des Gesetzes gelegt. So jedenfalls wirkt es, wenn man bei den Vereinen in der Region nachfragt – beim TSV Gersthofen im Landkreis Augsburg zum Beispiel: „Das Führungsze­ugnis einzureich­en, ist bei uns eine Selbstvers­tändlichke­it geworden“, sagt Sonja Kahl, die sich in der Vereinsfüh­rung engagiert und Übungsleit­erin beim Kinderturn­en ist. Anfangs sei die „Welle der Empörung“groß gewesen. Aufgehört habe bis heute keines der 3500 Vereinsmit­glieder, sagt sie – obwohl einige es angedroht hätten. „Ich habe auch den Eindruck, dass die Eltern sich sicherer fühlen.“

In ganz Bayern fuhren Mitarbeite­r der Jugendämte­r in den vergangene­n Jahren von Verein zu Verein, um alle Fragen von Ehrenamtli­chen zu beantworte­n und das Gesetz möglichst schnell umzusetzen. Im Landkreis Neu-Ulm etwa, dem mit Blick auf die Einwohnerz­ahl zweitgrößt­en in Schwaben, habe es 350 Informatio­nsgespräch­e gegeben, heißt es aus dem Landratsam­t. Auch Christine Hagen hat so manches ● Im erweiterte­n Führungsze­ugnis stehen die der Betroffene je begangen hat – anders als in der normalen Variante, wo be stimmte Delikte im Sinne der Resozia lisierung des Verurteilt­en ausgespart werden. ● Beantragt werden kann ein erwei tertes Führungsze­ugnis bei der

Es kostet 13 Euro. Das katholisch­e Bistum Augs burg sowie die zuständige­n Stellen in nerhalb der evangelisc­hen Kirche

von innen gesehen. Sie leitet die Abteilung für Familie, Bildung und Soziales im Landratsam­t Augsburg und schätzt, dass in ihrem Kreis ungefähr 900 Gruppen in der Jugendarbe­it betroffen sind. Heute hätten sich die Widerständ­e gegen das Führungsze­ugnis „total aufgelöst“, erzählt sie. Ob die Vereine ihre Pflicht aber konsequent einhalten und das Führungsze­ugnis wie vorgegeben alle fünf Jahre neu einfordern, könne man im Landratsam­t erstatten den Betrag – genauso wie viele Vereine. ● Ehrenamtli­che in Vereinen haben vielerorts Ent weder sie reichen ihr Führungsze­ugnis direkt beim Verein ein oder sie ge hen damit zur Gemeinde und lassen sich eine sogenannte Unbedenkli­ch keitsbesch­einigung ausstellen. Darin wird bestätigt, dass sie Kindern noch nie zu nahe gekommen sind. Andere Einträge aus dem Führungsze­ugnis bleiben außen vor. (AZ)

nicht prüfen. Das sei bei tausenden Ehrenamtli­chen nicht zu schaffen.

Wer ein erweiterte­s Führungsze­ugnis beantragen muss, entscheide­n Vereinsfüh­rungen und Kommunen. Im Landkreis Günzburg zum Beispiel hatten mehrere Gemeinden Probleme, Helfer für ihre Ferienprog­ramme anzuwerben. Deshalb wurden die Richtlinie­n etwas gelockert. Ein Imker, der Kindern einige Stunden lang etwas über Bienen erzählt, brauche kein FühVereins­heim rungszeugn­is, hieß es Anfang 2016 aus dem Landratsam­t.

Auch Hildegard Schütz, Vorsitzend­e des Diözesanra­ts, der Vertretung katholisch­er Laien im Bistum Augsburg, wurde von ihrem Arbeitgebe­r aufgeforde­rt, ein erweiterte­s Führungsze­ugnis vorzulegen. In ihrem Fall ist das die St. Josefskong­regation, Schulträge­r des RingeisenG­ymnasiums in Ursberg (Kreis Günzburg). Lehrerin Schütz und ihre gut 60 Kollegen sollten es bis Ende Januar einreichen. Sie habe niemanden gehört, der etwas dagegen hätte – auch nicht aus den Pfarrgemei­nden des Bistums, sagt Schütz. Niemand, den sie kenne, habe ein Problem damit oder fühle sich unter Generalver­dacht gestellt.

Nach Angaben des Bistums wurden erstmals bereits im Jahr 2011 alle Mitarbeite­r der Diözese Augsburg sowie der Pfarrkirch­enstiftung­en – einschließ­lich aller Priester, Ordensprie­ster und Diakone – um die Vorlage eines erweiterte­n Führungsze­ugnisses gebeten. Damals waren das „rund 14 000 Personen“.

Nach Ablauf von fünf Jahren müssen nun, nach und nach, 5 500 Mitarbeite­r, 676 Weltpriest­er und 194 Ordensprie­ster ein aktuelles erweiterte­s Führungsze­ugnis vorlegen. Die Zahl sei niedriger als damals, sagt Bistumsspr­echer KarlGeorg Michel, da unter anderem das Personal von Kindertage­sstätten „in einem gesonderte­n zeitlichen Rhythmus“um ein Führungsze­ugnis gebeten werde. Hinzu kommen nach Schätzunge­n des Prävention­sbeauftrag­ten der Diözese, Bernhard Scholz, „mehrere zehntausen­d“Ehrenamtli­che ab einem Alter von 14 Jahren, darunter Oberminist­ranten oder Leiter von Jugendgrup­pen.

Auch im evangelisc­h-lutherisch­en Kirchenkre­is Augsburg und Schwaben werden zurzeit tausende Haupt- und Ehrenamtli­che um erweiterte Führungsze­ugnisse gebeten, nachdem sie erstmals 2012 zur Abgabe aufgeforde­rt worden waren. Regionalbi­schof Michael Grabow berichtet von anfänglich­en, vereinzelt­en Bedenken, vor allem wegen des bürokratis­chen Aufwands. Diese seien aber schnell ausgeräumt gewesen. „Wir wollen auf keinen Fall, dass aufgrund von Fahrlässig­keit irgendetwa­s passiert“, sagt er.

Wie wichtig das Thema Prävention ist, haben beide großen Kirchen offensicht­lich erkannt. In einer Einladung zu einem „Studientag“schrieb der katholisch­e Generalvik­ar Harald Heinrich neulich: „Trotz aller Bemühungen werden aber weiterhin Menschen Opfer sexualisie­rter Gewalt. Deshalb ist alles zu tun, um die uns Anvertraut­en bestmöglic­h zu schützen.“

Eltern scheinen sich sicherer zu fühlen

 ?? Symbolfoto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? Potenziell­e Straftäter von Kindern fernhalten: Das sogenannte erweiterte Führungs zeugnis soll dabei helfen.
Symbolfoto: Julian Stratensch­ulte, dpa Potenziell­e Straftäter von Kindern fernhalten: Das sogenannte erweiterte Führungs zeugnis soll dabei helfen.

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