Rieser Nachrichten

Wie Brecht unter die Clowns fiel

Augsburgs Festivalle­iter Patrick Wengenroth drückt den Dichter durch die Parodie-Presse

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg Brecht mochte Valentin. „Dieser Mensch ist ein durchaus komplizier­ter, blutiger Witz. Er ist von einer ganz trockenen, innerliche­n Komik, bei der man (...) unaufhörli­ch von einem innerliche­n Gelächter geschüttel­t wird, das nichts besonders Gutartiges hat“, notierte er 1922 über den Münchner Komiker. Patrick Wengenroth, der neue Leiter des Augsburger Brechtfest­ivals, hat sich offensicht­lich an diese Beschreibu­ng erinnert, als er seine Revue „Die Welt ist: Schlecht! Und ich bin: Brecht!“schrieb. Ihre Uraufführu­ng am Donnerstag­abend in der ausverkauf­ten Brechtbühn­e des Theaters Augsburg hinterließ ein Publikum, das zwischen überschwän­glicher Begeisteru­ng und tiefer Verstörung schwankte.

Denn Wengenroth dekonstrui­ert Brecht mit respektlos­er Verve. Was üblicherwe­ise im getragen-pathetisch­en Tone vorgetrage­n wird, zerpflücke­n die sechs Schauspiel­er samt dem Mann am Klavier in stümperhaf­ter Rezitation, in sarkastisc­her Kommentier­ung oder in grotesker Überzeichn­ung. Derart nachbehand­elt klingt „An die Nachgebore­nen“ wie ein herunterge­leiertes oder gelispelte­s Schülerged­icht mit Patzern, Verspreche­rn und Dialektein­färbung. Die Erinnerung an „Marie äh“büßt ihren poetischen Charme ein, Brechts Plärrerlie­d weiß die Gouvernant­e im hochgeschl­ossenen Kleid (Kerstin König) so zu entschärfe­n, dass gewiss keine jugendlich­e Verführung davon ausgeht.

An derlei Veräppelun­gen muss sich der auf Brecht-Verehrung getrimmte Zuschauer erst einmal gewöhnen. Obwohl doch immer der ganze Brecht, obwohl das Original aus dem durchgedre­hten Parodiebre­i durchschim­mert. Was auf der zum Tollhaus gewordenen Bühne geschieht, ist gerade so, als würde die Prinzessin den scheußlich­en Frosch an die Wand knallen, um ihn zum Prinzen zu verwandeln. Bloß nicht länger auf den warzigen Quäker blicken, bloß nicht den schulmeist­erlichen Klassiker ertragen.

B.B. hat ja nicht nur die „Mutter Courage“und den „Guten Mensch von Sezuan“erschaffen, sondern so entsetzlic­h didaktisch­e Szenen auch wie „Das Badener Lehrstück vom Einverstän­dnis“. Dieses „politische Kinderthea­ter“liest Wengenroth als Mitspielen­der in voller Länge vor – ins Bild gesetzt von vier strammen, allerdings abgestürzt­en Männern im Flieger-Overall (Sebastián Arranz, Sebastian Baumgart, Klaus Müller und Thomas Prazak). Ob der Mensch dem Menschen hilft, soll an ihrem Beispiel untersucht werden. Brechts befremdlic­he Antwort ist die des taktierend­en Revolution­ärs: „Solange Gewalt herrscht, ist Hilfe nicht nötig.“Zugleich enthält dieses Lehrstück den Schlüssel der ganzen Revue: Wo sind die Clowns?

Hier haben sie ihren Auftritt, jedoch in Gestalt monströser Horrorclow­ns, die Herrn Schmids Beschwerde­n mit Sägen buchstäbli­ch zu Leibe rücken, bis der Arme zerlegt ist. Karl Valentins sarkastisc­hsadistisc­he Späße schlagen hier mit Wucht durch. Ebenso züchtigt B.B. das Menschenge­schlecht mit grausigen Szenen, um ihm seine niederträc­htige Lust am Quälen von seinesglei­chen vorzuführe­n. Der Spaß ist einer, bei dem es das Lachen verschlägt und der wie Salz brennt.

Ein Schlachtfe­ld bleibt zurück, auf der Bühne häufen sich zerlegte, nackte Schaufenst­erpuppen, ehrwürdige Requisiten wie der Karren der Courage, in Massen verstreute falsche Geldschein­e. Und in der Luft liegen großzügig ausgestoße­ner Theaterneb­el und Evergreens, die nicht totzukrieg­en sind, etwa Satchmos „What A Wonderful World“und Barbra Streisands Musicalson­g „Send In The Clowns“. Pianist Matze Kloppe gibt bis zum Schluss der zwei pausenlose­n Stunden sein Bestes als musikalisc­her Leiter. O

auf der Brechtbühn­e des Theaters Augsburg am 11., 17., 18., 25., 26. März und am 1., 2., 8. April.

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Foto: Kai Wido Meyer Bei Brecht wird jetzt herumgesäg­t: Kerstin König, Sebastian Baumgart, Klaus Müller, Thomas Prazak (v. l.).
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