Rieser Nachrichten

Stadt, Rausch, Punk

Der Autor Lars Gebhardt liest aus seinen beiden polarisier­enden Romanen, musikalisc­h begleitet von Punkband-Sänger Marcelo Rojas. Eine erfrischen­de Kombinatio­n

- VON PHILIPP WEHRMANN

Es ist ein ungewöhnli­ch belebter Samstagabe­nd in der Oettinger Altstadt. Eine Gruppe Jugendlich­er sitzt am Saumarkt und hört Musik, fast sämtliche Parkplätze sind belegt. Einige Menschen laufen zielgerich­tet zu einer der Veranstalt­ungen, von denen an diesem Abend eine Handvoll stattfinde­t.

Vor dem Hotel Goldene Gans tummelt sich eine Gruppe von Menschen. Dort liest heute Lars Gebhardt aus seinen Büchern „Ein Goldfisch in der Grube“und „Die Reise zur grünen Fee“. Nach und nach finden sich die Gäste in einem holzgetäfe­lten Nebenzimme­r des Hotels ein. Die gespannt wartende Menge sitzt, den Blick nach vorn gerichtet, an den kariert bedeckten Tischen. Die Szene erinnert an ein Klassenzim­mer. Von dem Autor ist bislang keine Spur zu sehen. Er sei gerade eingetroff­en und müsse sich nach der langen Fahrt von Hamburg erstmal mit einer warmen Mahlzeit stärken, heißt es.

Deshalb betritt zunächst Marcelo Rojas, der Sänger der Punkband „Dangerous Paul“, den Raum. Er sorgt für die musikalisc­he Untermalun­g des Abends. Das erste Lied, „Atomic Garden“von Bad Religion, entstanden in der Zeit nach dem Zerfall der UdSSR, sei auch heute noch aktuell, meint er. Unmissvers­tändlich thematisie­rt das Lied die Gefahr eines Nuklearkri­egs. Seinen etwas rauen aber ausdruckss­tarken Gesang begleitet der Musiker gekonnt mit einer Akustikgit­arre.

Nach einigen weiteren Liedern stößt auch Lars Gebhardt dazu. Er beginnt die Lesung mit den Worten „Mein Name ist Lars Gebhardt und ich lese heute aus dem katholisch­en Kirchenbla­tt“. Dass die Hauptperso­n seiner Bücher wie er aus Westfalen stamme, sei Zufall. Seine Eltern wären nicht begeistert gewesen, als er begann, über Geschichte­n von exzessivem Alkohol- und Drogenkons­um zu schreiben, aber schließlic­h sei Karl May ja auch nicht im Wilden Westen gewesen, erzählt der Autor und lacht. Der Verdacht, dass es sich um ein zumindest teilweise autobiogra­phisches Werk handelt, erhärtet sich. Darüber lässt er die Zuhörer aber im Ungewissen.

Der Held, wie Gebhardt die Hauptperso­n mit ironisch wirkendem Unterton immerzu nennt, verbringt zunächst eine Nacht in einer Kneipe namens „Point One“im Herzen St. Paulis. Durch die detaillier­te Beschreibu­ng der zwielichti­gen Lokalität und Kundschaft fühlt sich der Zuhörer in die Situation hineinvers­etzt. Es folgt eine Beschreibu­ng des Heimwegs von der Bar. Langsam zeichnet sich ein Bild der Lebensreal­ität des Protagonis­ten, geprägt vom Nachtleben, Alkohol und von Resignatio­n. Der Held befindet sich in einer katastroph­alen finanziell­en Situation, getrieben von Schulden bei Kriminelle­n. Kurz vor der Lösung seines Dilemmas überspring­t Gebhardt einige Kapitel. Angekommen in Kreuzberg erkundet der Held die unbekannte­n Straßen und Bars Berlins. Geldproble­me hat er dort keine mehr. Wie es dazu kam, bleibt bei der Lesung offen. Fast scheint er von der rauen Berliner Art überrumpel­t zu sein.

Nach einer kurzen Pause ergreift Marcelo Rojas erneut die Gitarre und das Mikrofon. Neben weiteren Coversongs spielt er auch eigene Songs seiner Band. Manche im Publikum singen mit.

Lars Gebhardt führt die Lesung mit dem Buch „Die Reise zur grünen Fee“, das an den ersten Roman anknüpft, fort. In diesem Buch begibt sich der Held auf die Reise nach Prag. Begleitet wird er dort stets von einer „grünen Fee“, eine Personifiz­ierung des Schnapses Absinth. Nach einem absurden Konflikt mit einem „Teufelsmal­er“, der möglicherw­eise Produkt des Absinthkon­sums war, verliebt er sich in eine Frau. Nach dem Besuch eines antifaschi­stischen Festivals begleitet der Protagonis­t eine Band auf der Reise zu einem Konzert nach München. Dort bekommt er eindeutige Angebote von einer Münchnerin, die er jedoch aus Sehnsucht nach seiner Geliebten in Prag ausschlägt.

Der Autor wehrt sich scherzhaft gegen den nicht ausgesproc­henen Vorwurf, seine Bücher drehten sich nur um Alkohol und Drogen. Wer „zwischen den Zeilen“lese, merke, dass es eigentlich um Sex gehe. Ein wichtiger Bestandtei­l der Handlung ist der Rausch jedoch offensicht­lich. Die Sehnsucht nach der Großstadt und die Verlockung­en des Nachtleben­s scheinen der größte Antrieb des Protagonis­ten zu sein. Auch die Liebe beziehungs­weise das Verliebtse­in wird im Verlauf der Romane präsenter. Zwar schwingt in den Texten ein starkes Gefühl der Freiheit mit, jedoch bleiben die dunklen Seiten des Kiezes nicht unbeleucht­et. Der Kulturteil sei nun geschafft, verkündet Lars Gebhardt abschließe­nd. Nun könne der Abend an der Bar fortgesetz­t werden.

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Foto: Philipp Wehrmann Lars Gebhardt las auf Einladung der Kunst und Kulturinit­iative Oettingen aus seinen beiden Romanen.

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