Stadt, Rausch, Punk
Der Autor Lars Gebhardt liest aus seinen beiden polarisierenden Romanen, musikalisch begleitet von Punkband-Sänger Marcelo Rojas. Eine erfrischende Kombination
Es ist ein ungewöhnlich belebter Samstagabend in der Oettinger Altstadt. Eine Gruppe Jugendlicher sitzt am Saumarkt und hört Musik, fast sämtliche Parkplätze sind belegt. Einige Menschen laufen zielgerichtet zu einer der Veranstaltungen, von denen an diesem Abend eine Handvoll stattfindet.
Vor dem Hotel Goldene Gans tummelt sich eine Gruppe von Menschen. Dort liest heute Lars Gebhardt aus seinen Büchern „Ein Goldfisch in der Grube“und „Die Reise zur grünen Fee“. Nach und nach finden sich die Gäste in einem holzgetäfelten Nebenzimmer des Hotels ein. Die gespannt wartende Menge sitzt, den Blick nach vorn gerichtet, an den kariert bedeckten Tischen. Die Szene erinnert an ein Klassenzimmer. Von dem Autor ist bislang keine Spur zu sehen. Er sei gerade eingetroffen und müsse sich nach der langen Fahrt von Hamburg erstmal mit einer warmen Mahlzeit stärken, heißt es.
Deshalb betritt zunächst Marcelo Rojas, der Sänger der Punkband „Dangerous Paul“, den Raum. Er sorgt für die musikalische Untermalung des Abends. Das erste Lied, „Atomic Garden“von Bad Religion, entstanden in der Zeit nach dem Zerfall der UdSSR, sei auch heute noch aktuell, meint er. Unmissverständlich thematisiert das Lied die Gefahr eines Nuklearkriegs. Seinen etwas rauen aber ausdrucksstarken Gesang begleitet der Musiker gekonnt mit einer Akustikgitarre.
Nach einigen weiteren Liedern stößt auch Lars Gebhardt dazu. Er beginnt die Lesung mit den Worten „Mein Name ist Lars Gebhardt und ich lese heute aus dem katholischen Kirchenblatt“. Dass die Hauptperson seiner Bücher wie er aus Westfalen stamme, sei Zufall. Seine Eltern wären nicht begeistert gewesen, als er begann, über Geschichten von exzessivem Alkohol- und Drogenkonsum zu schreiben, aber schließlich sei Karl May ja auch nicht im Wilden Westen gewesen, erzählt der Autor und lacht. Der Verdacht, dass es sich um ein zumindest teilweise autobiographisches Werk handelt, erhärtet sich. Darüber lässt er die Zuhörer aber im Ungewissen.
Der Held, wie Gebhardt die Hauptperson mit ironisch wirkendem Unterton immerzu nennt, verbringt zunächst eine Nacht in einer Kneipe namens „Point One“im Herzen St. Paulis. Durch die detaillierte Beschreibung der zwielichtigen Lokalität und Kundschaft fühlt sich der Zuhörer in die Situation hineinversetzt. Es folgt eine Beschreibung des Heimwegs von der Bar. Langsam zeichnet sich ein Bild der Lebensrealität des Protagonisten, geprägt vom Nachtleben, Alkohol und von Resignation. Der Held befindet sich in einer katastrophalen finanziellen Situation, getrieben von Schulden bei Kriminellen. Kurz vor der Lösung seines Dilemmas überspringt Gebhardt einige Kapitel. Angekommen in Kreuzberg erkundet der Held die unbekannten Straßen und Bars Berlins. Geldprobleme hat er dort keine mehr. Wie es dazu kam, bleibt bei der Lesung offen. Fast scheint er von der rauen Berliner Art überrumpelt zu sein.
Nach einer kurzen Pause ergreift Marcelo Rojas erneut die Gitarre und das Mikrofon. Neben weiteren Coversongs spielt er auch eigene Songs seiner Band. Manche im Publikum singen mit.
Lars Gebhardt führt die Lesung mit dem Buch „Die Reise zur grünen Fee“, das an den ersten Roman anknüpft, fort. In diesem Buch begibt sich der Held auf die Reise nach Prag. Begleitet wird er dort stets von einer „grünen Fee“, eine Personifizierung des Schnapses Absinth. Nach einem absurden Konflikt mit einem „Teufelsmaler“, der möglicherweise Produkt des Absinthkonsums war, verliebt er sich in eine Frau. Nach dem Besuch eines antifaschistischen Festivals begleitet der Protagonist eine Band auf der Reise zu einem Konzert nach München. Dort bekommt er eindeutige Angebote von einer Münchnerin, die er jedoch aus Sehnsucht nach seiner Geliebten in Prag ausschlägt.
Der Autor wehrt sich scherzhaft gegen den nicht ausgesprochenen Vorwurf, seine Bücher drehten sich nur um Alkohol und Drogen. Wer „zwischen den Zeilen“lese, merke, dass es eigentlich um Sex gehe. Ein wichtiger Bestandteil der Handlung ist der Rausch jedoch offensichtlich. Die Sehnsucht nach der Großstadt und die Verlockungen des Nachtlebens scheinen der größte Antrieb des Protagonisten zu sein. Auch die Liebe beziehungsweise das Verliebtsein wird im Verlauf der Romane präsenter. Zwar schwingt in den Texten ein starkes Gefühl der Freiheit mit, jedoch bleiben die dunklen Seiten des Kiezes nicht unbeleuchtet. Der Kulturteil sei nun geschafft, verkündet Lars Gebhardt abschließend. Nun könne der Abend an der Bar fortgesetzt werden.