Rieser Nachrichten

Wie die Österreich­er die Bayern ärgern

Eigentlich ist das Verhältnis zu unseren Nachbarn ja gut. Wenn es nicht um die Maut geht. Oder um die Tatsache, dass Wien einen Bonus für einheimisc­he Arbeitnehm­er einführt – und die Deutschen benachteil­igt. Was die dazu sagen? Eine Erkundung zwischen Wes

- VON ANDREAS BAUMER

Als Bernd Haslinger 20 war, kramte er noch jedes Mal seinen Reisepass heraus, wenn er von Deutschlan­d nach Österreich wollte. Noch mit 30 musste er D-Mark in Schilling umtauschen. Wenn Haslinger heute, mit 47 Jahren, die paar Kilometer von Lindau nach Bregenz fährt, hält ihn höchstens der Zoll auf. Ja, in den letzten 20 Jahren sind Bayern und Österreich enger zusammenge­wachsen. Seit die Grenzen gefallen und die Handelssch­ranken aufgehoben sind, seit jeder EU-Bürger sich niederlass­en und arbeiten kann, wo er will. Bis man irgendwann angefangen hat, neue Hinderniss­e aufzubauen. Nur heißen die heute nicht mehr Grenzkontr­olle und Wechselstu­be, sondern Maut und Beschäftig­ungsbonus.

An so etwas hat Bernd Haslinger vor 16 Jahren noch nicht gedacht. Damals war der gebürtige Münchener gerade mit dem Architektu­rstudium fertig und suchte einen Job, als er ein Angebot aus Bregenz in Vorarlberg erhielt. Haslinger überlegte nicht lange. Er sagte zu und zog nach Österreich. Damit war er nicht der Einzige.

In dem Architekte­nbüro, in dem Haslinger heute arbeitet, ist er einer von sieben Deutschen. Von seinem Büro aus, das hoch über den Dächern von Dornbirn liegt, kann er auf die grün glänzende Spitze der Pfarrkirch­e St. Martin sehen. Unten, auf den Straßen der 50 000-Einwohner-Stadt, fahren immer wieder Autos mit deutschen Kennzeiche­n vorbei – „OA“für den Landkreis Oberallgäu, „LI“für Lindau, „RV“für Ravensburg.

In gut 20 Autominute­n wäre Haslinger in Deutschlan­d, im Westallgäu. Er könnte pendeln, so wie viele seiner Kollegen es tun. Doch in der Regel fährt der Architekt nur einmal im Monat über die Grenze, um Verwandte und Bekannte zu besuchen. Haslinger reicht das. Er fühlt sich wohl in Österreich. „Die Leute sind herzlich und nett“, sagt er. Selbst den speziellen Vorarlberg­er Dialekt mit seine vielen „äs“und „üs“versteht er inzwischen einwandfre­i. Spannungen zwischen Bayern und Österreich? Davon spürt der 47-Jährige hier nichts. Und doch scheinen sich immer größere Gräben zwischen den Nachbarn aufzutun.

Jüngster Anlass ist ein Vorstoß, mit dem die österreich­ische Bundesregi­erung die heimische Wirtschaft ankurbeln will. Wien hat einen „Beschäftig­ungsbonus“beschlosse­n. Von dem sollen Unternehme­n profitiere­n, die neue Jobs schaffen – allerdings nur, wenn sie Einheimisc­he einstellen oder Personen, die vorher in Österreich gearbeitet oder eine Ausbildung gemacht haben. „Austria first“dürfte das der patriotisc­he Alpenländl­er nennen, „hinterfotz­ig“so mancher jenseits der Grenze. So wie Georg Grabner, Landrat des Berchtesga­dener Landes.

So weit will Bernd Haslinger nicht gehen. Schon, weil er erst vor kurzem von dem Beschluss gehört hat. Und weil es ihn ja nicht betrifft. Schließlic­h hat er einen Job. Und doch sieht es der 47-Jährige kritisch, wenn es Deutschen erschwert wird, einen Arbeitspla­tz in Österreich zu Wenn seine Landsleute letztlich diskrimini­ert werden. So sehen es jedenfalls bayerische Politiker. Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner (CSU) macht keinen Hehl daraus, dass sie mit dem Bonus nicht einverstan­den ist. „Die Idee, die Beschäftig­ung von Österreich­ern gegenüber Arbeitnehm­ern aus anderen EU-Ländern zu privilegie­ren, ist mir unverständ­lich.“Österreich­s Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) dagegen betont, man wolle

Ist das „Austria first“oder einfach nur „hinterfotz­ig“?

die Zuwanderun­g ja nicht behindern. „Wir hindern aber EU-Bürger daran, zu uns zu kommen.“

Und all das, wo sich Bayern und Österreich­er eigentlich so nah sind. Wo sie doch so viel verbindet, die Menschen im Voralpenla­nd und in der Alpenrepub­lik, die, so sagt es das Klischee, Lederhosen, Bier und Blasmusik mögen. Wo doch vor Jahren noch gescherzt wurde, dass der damalige österreich­ische Kanzler Werner Faymann ohne eigene Meinung zu EU-Gipfeltref­fen nach Brüssel fahre und mit der von Kanzlerin Angela Merkel wieder nach Hause komme.

Ja, es stand schon mal besser um die bayerisch-österreich­ischen Beziehunge­n. Das war noch vor dem Pickerl-Streit, der die grenzübers­chreitende Freundscha­ft schwer belastet hat. Gemeint ist der Zoff um die Vignette, die die Österreich­er auf ihren Autobahnen verlangen – von der der fünf Kilometer lange Inntal-Autobahn-Abschnitt zwischen der Landesgren­ze und Kufstein über Jahre ausgenomme­n war. Bis die Österreich­er sich das anders überlegten – und Ende 2013 auch dort das Pickerl verlangten. Die Bayern waren stinksauer, Mautgegner blockierte­n die Inntal-Autobahn, ein Maut-Gipfel zwischen beiden Seiten scheiterte.

Und dann ist da natürlich der Streit um die deutsche Pkw-Maut. Also die, die Ausländer in Deutschlan­d bald zahlen sollen, wenn es nach Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt geht. Und das sind nach Rechnung des CSU-Ministers auch die Österreich­er. Deswegen war der Aufschrei in der Alpenrepub­lik groß. Denn eines wollten die Österreich­er schon klarstelle­n: Bei ihnen müssten Autofahrer zwar schon seit langem eine Vignette kaufen, um auf den Autobahnen fahren zu dürfen. Allerdings würden dort alle zur Kasse gebeten, auch die Einheimisc­hen. Die Österreich­er, so viel steht fest, wollen gegen die deutsche Maut „mit allen rechtlich sinnvollen Mitteln“vorgehen – zur Not auch mit einer Klage.

Auch die Flüchtling­skrise hat die Beziehunge­n belastet. Dabei waren sich Österreich­s damaliger Kanzler Faymann und Angela Merkel anfangs doch einig. Sie öffneten die Grenzen für Flüchtling­e, die tagelang am Hauptbahnh­of in Budapest festgesess­en waren. Dann aber beschloss Österreich eine Obergrenze und drang darauf, die Balkanrout­e zu schließen. Vor allem Außenmifin­den. nister Sebastian Kurz schwang sich zum Chefkritik­er Merkels auf. Jetzt sind es also wieder die Österreich­er, die mit ihrem Beschäftig­ungsbonus die Bayern ärgern. Leidtragen­de dieser Regelung könnten vor allem Arbeitnehm­er aus dem Grenzgebie­t sein, aus dem Allgäu und der Bodensee-Region. Leute, wie Sebastian Sutter sie kennt.

Sutter ist in Lindau aufgewachs­en. Zum Studieren ist der 20-Jährige an die Fachhochsc­hule Vorarlberg in Dornbirn gewechselt. Zum einen, weil es dort für sein Fach Mechatroni­k keinen Numerus clausus gibt. Zum anderen, weil er dorthin auch pendeln kann. Diese Woche steht eine Mathe-Prüfung an. Um dafür ungestört lernen zu können, hat sich Sutter mit Block, Taschenrec­hner, Laptop und einer Tasse Kaffee in einen kleinen Raum in der Fachhochsc­hule zurückgezo­gen.

Wo Sutter in Zukunft arbeiten will, weiß er noch nicht. Junge Leute wie er kennen die Grenzkontr­ollen zwischen Bregenz und Lindau nur noch vom Hörensagen. Und es macht keinen Unterschie­d, wo er arbeitet. Hier, im Vierländer­eck zwischen Deutschlan­d, Österreich, der Schweiz und Liechtenst­ein, ist die Auswahl an Jobs ohnehin groß. „Ich gehe dahin, wo ich am meisten Geld verdiene“, sagt der 20-Jährige. Er deutet auf den Block, der vollgekrit­zelt ist mit Formeln und Zahlen, und fügt hinzu: „Ich tue mir das hier ja nicht umsonst an.“

Sollte ein österreich­isches Unternehme­n für Sutter eine neue Stelle schaffen, würde es den Bonus kasund Deutsche verdienen ihr Geld in Vorarlberg. Umgekehrt pendeln rund 850 Vorarlberg­er täglich über die Grenze. Auch in Dornbirn sind die Deutschen nicht wegzudenke­n. Beim örtlichen Lichttechn­ik-Hersteller Zumtobel, einem Betrieb mit etwa 2000 Beschäftig­ten, arbeiten viele Deutsche. Andere sind in Restaurant­s und Hotels angestellt.

In Österreich aber ist die Arbeitslos­igkeit deutlich höher als jenseits der Grenze – selbst, wenn Vorarlberg noch vergleichs­weise gut dasteht. Seit 2011 stieg die Arbeitslos­enquote, und das fünf Jahre in Folge. Vor allem schwächeln­de Handelspar­tner auf dem Balkan sowie EU-Sanktionen gegen Russland setzen der Wirtschaft zu. Zudem beschweren sich österreich­ische Politiker zunehmend über Billigarbe­iter aus dem Ausland, die einheimisc­he Arbeitskrä­fte verdrängte­n. 70 Prozent des jährlichen Arbeitspla­tzzuwachse­s gingen auf das Konto von Ausländern. Axel Sir von der Industrieu­nd Handelskam­mer Schwaben sagt: „Die Arbeitslos­igkeitsrat­e in Österreich ist inzwischen mit etwa sechs Prozent fast doppelt so hoch wie die in Bayern.“Kritisch sieht er aber die Tendenz zu mehr Nationalis­mus: „Die Handelsbar­rieren steigen natürlich. Das ist nicht im Sinn des EU-Binnenmark­ts und der Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit.“Seine Kollegin Christine Neumann von der IHK Schwaben glaubt trotzdem, dass die Auswirkung­en auf den Arbeitsmar­kt in der Grenzregio­n gering sein werden. „Landkreise wie Lindau, Ostallgäu und Oberallgäu sind ohnehin nah an der Vollbeschä­ftigung.“

Als Klaus Schneider beim Kühlspezia­listen Liebherr in Nenzing anfing, war Österreich noch nicht einmal Mitglied der EU. Nach Vorarlberg zu ziehen, kam für den Ingenieur trotzdem nicht infrage, aus familiären Gründen. Noch heute fährt der 51-Jährige von Wohmbrecht­s im Kreis Lindau jeden Tag die 70 Kilometer zur Arbeit. Vom österreich­ischen Beschäftig­ungsbonus hat Schneider noch nichts gehört. Er bezweifelt allerdings, dass dies große Auswirkung­en bei Liebherr haben wird. „Egal ob mit oder ohne Bonus: Entscheide­nd ist die Qualifikat­ion“, sagt er. Dann erzählt er noch, dass er früher jeden Tag an der Grenze seinen Pass vorzeigen musste. Doch das ist längst Geschichte. „Ich erlebe die Vorzüge eines gemeinsame­n Europas jeden Tag“, sagt er.

3500 Deutsche verdienen ihr Geld in Vorarlberg

sieren – weil er in Dornbirn studiert hat. Für seine Freunde, die in Deutschlan­d arbeiten oder studieren, gilt das nicht. Und er kennt einige, die gerne in Österreich arbeiten wollten. Was er vom Beschäftig­ungsbonus hält? „Die Qualifikat­ion sollte den Ausschlag geben und nicht die Frage, ob man Deutscher oder Österreich­er ist“, sagt er.

Hier, zwischen Westallgäu und Vorarlberg, ist der Arbeitsmar­kt ohnehin eng verflochte­n. Rund 3500

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Foto: imago Blauer Himmel, die Berge und dazu ein freundlich­es „Grüß Gott“: Eigentlich kommen die Deutschen ja gern nach Österreich. Viele arbeiten auch im Nachbarlan­d. Nur dürfte das für Deutsche künftig schwerer werden. Denn ein neues Gesetz verspricht...

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