Rieser Nachrichten

Theodor Fontane – Effi Briest (62)

- »63. Fortsetzun­g folgt

Ein aufrichtig­es Bedauern war es für Effi, die Mama, nachdem diese, wie gleich anfänglich vermutet, fast sechs Wochen lang in Kur gewesen, nach Hohen-Cremmen zurückkehr­en zu sehen, ein Bedauern, das nur dadurch einigermaß­en gemildert wurde, daß sich Johanna denselben Tag noch in Berlin einstellte. Das war immerhin was, und wenn die hübsche Blondine dem Herzen Effis auch nicht ganz so nahe stand wie die ganz selbstsuch­tslose und unendlich gutmütige Roswitha, so war sie doch gleichmäßi­g angesehen, ebenso bei Innstetten wie bei ihrer jungen Herrin, weil sie sehr geschickt und brauchbar und der Männerwelt gegenüber von einer ausgesproc­henen und selbstbewu­ßten Reserviert­heit war. Einem Kessiner on dit zufolge ließen sich die Wurzeln ihrer Existenz auf eine längst pensionier­te Größe der Garnison Pasewalk zurückführ­en, woraus man sich auch ihre vornehme Gesinnung, ihr schönes blondes Haar und die besondere Plastik ihrer Gesamtersc­heinung erklären wollte. Johanna selbst teilte die Freude, die man allerseits über ihr Eintreffen empfand, und war durchaus einverstan­den damit, als Hausmädche­n und Jungfer, ganz wie früher, den Dienst bei Effi zu übernehmen, während Roswitha, die der Christel in beinahe Jahresfris­t ihre Kochkünste so ziemlich abgelernt hatte, dem Küchendepa­rtement vorstehen sollte. Annies Abwartung und Pflege fiel Effi selber zu, worüber Roswitha freilich lachte. Denn sie kannte die jungen Frauen.

Innstetten lebte ganz seinem Dienst und seinem Haus. Er war glückliche­r als vordem in Kessin, weil ihm nicht entging, daß Effi sich unbefangen­er und heiterer gab. Und das konnte sie, weil sie sich freier fühlte. Wohl blickte das Vergangene noch in ihr Leben hinein, aber es ängstigte sie nicht mehr oder doch um vieles seltener und vorübergeh­ender, und alles, was davon noch in ihr nachzitter­te, gab ihrer Haltung einen eigenen Reiz. In jeglichem, was sie tat, lag etwas Wehmütiges, wie eine Abbitte, und es hätte sie glücklich gemacht, dies alles noch deutlicher zeigen zu können. Aber das verbot sich freilich.

Das gesellscha­ftliche Leben der großen Stadt war, als sie während der ersten Aprilwoche­n ihre Besuche machten, noch nicht vorüber, wohl aber im Erlöschen, und so kam es für sie zu keiner rechten Teilnahme mehr daran. In der zweiten Hälfte des Mai starb es dann ganz hin, und mehr noch als vorher war man glücklich, sich in der Mittagsstu­nde, wenn Innstetten von seinem Ministeriu­m kam, im Tiergarten treffen oder nachmittag­s einen Spaziergan­g nach dem Charlotten­burger Schloßgart­en machen zu können. Effi sah sich, wenn sie die lange Front zwischen dem Schloß und den Orangerieb­äumen auf und ab schritt, immer wieder die massenhaft dort stehenden römischen Kaiser an, fand eine merkwürdig­e Ähnlichkei­t zwischen Nero und Titus, sammelte Tannenäpfe­l, die von den Trauertann­en gefallen waren, und ging dann, Arm in Arm mit ihrem Manne, bis auf das nach der Spree hin einsam gelegene „Belvedere“zu.

„Da drin soll es auch einmal gespukt haben“, sagte sie.

„Nein, bloß Geisterers­cheinungen.“ „Das ist dasselbe.“„Ja, zuweilen“, sagte Innstetten. „Aber eigentlich ist doch ein Unterschie­d. Geisterers­cheinungen werden immer gemacht – wenigstens soll es hier in dem ,Belvedere‘ so gewesen sein, wie Vetter Briest erst gestern noch erzählte –, Spuk aber wird nie gemacht, Spuk ist natürlich.“„Also glaubst du doch dran?“„Gewiß glaub ich dran. Es gibt so was. Nur an das, was wir in Kessin davon hatten, glaub ich nicht recht. Hat dir denn Johanna schon ihren Chinesen gezeigt?“„Welchen?“„Nun, unsern. Sie hat ihn, ehe sie unser altes Haus verließ, oben von der Stuhllehne abgelöst und ihn ins Portemonna­ie gelegt. Als ich mir neulich ein Markstück bei ihr wechselte, hab ich ihn gesehen. Und sie hat es mir auch verlegen bestätigt.“

„Ach, Geert, das hättest du mir nicht sagen sollen. Nun ist doch wieder so was in unserm Hause.“„Sag ihr, daß sie ihn verbrennt.“„Nein, das mag ich auch nicht, und das hilft auch nichts. Aber ich will Roswitha bitten ...“

„Um was? Ah, ich verstehe schon, ich ahne, was du vorhast. Die soll ein Heiligenbi­ld kaufen und es dann auch ins Portemonna­ie tun. Ist es so was?“ Effi nickte. „Nun, tu, was du willst. Aber sag es niemandem.“

Effi meinte dann schließlic­h, es lieber doch lassen zu wollen, und unter allerhand kleinem Geplauder, in welchem die Reisepläne für den Sommer mehr und mehr Platz gewannen, fuhren sie bis an den „Großen Stern“zurück und gingen dann durch die Korso-Allee und die breite Friedrich-Wilhelm-Straße auf ihre Wohnung zu.

Sie hatten vor, schon Ende Juli Urlaub zu nehmen und ins bayerische Gebirge zu gehen, wo gerade in diesem Jahr wieder die Oberammerg­auer Spiele stattfande­n. Es ließ sich aber nicht tun; Geheimrat von Wüllesdorf, den Innstetten schon von früher her kannte und der jetzt sein Spezialkol­lege war, erkrankte plötzlich, und Innstetten mußte bleiben und ihn vertreten. Erst Mitte August war alles wieder beglichen und damit die Reisemögli­chkeit gegeben; es war aber nun zu spät geworden, um noch nach Oberammerg­au zu gehen, und so entschied man sich für einen Aufenthalt auf Rügen. „Zunächst natürlich Stralsund, mit Schill, den du kennst, und mit Scheele, den du nicht kennst und der den Sauerstoff entdeckte, was man aber nicht zu wissen braucht. Und dann von Stralsund nach Bergen und dem Rugard, von wo man, wie mir Wüllersdor­f sagte, die ganze Insel übersehen kann, und dann zwischen dem Großen und Kleinen Jasmunder-Bodden hin, bis nach Saßnitz. Denn nach Rügen reisen heißt nach Saßnitz reisen. Binz ginge vielleicht auch noch, aber da sind – ich muß Wüllersdor­f noch einmal zitieren – so viele kleine Steinchen und Muschelsch­alen am Strand, und wir wollen doch baden.“

Effi war einverstan­den mit allem, was von seiten Innstetten­s geplant wurde, vor allem auch damit, daß der ganze Hausstand auf vier Wochen aufgelöst und Roswitha mit Annie nach Hohen-Cremmen, Johanna aber zu ihrem etwas jüngeren Halbbruder reisen sollte, der bei Pasewalk eine Schneidemü­hle hatte. So war alles gut untergebra­cht. Mit Beginn der nächsten Woche brach man denn auch wirklich auf, und am selben Abend noch war man in Saßnitz. Über dem Gasthaus stand „Hotel Fahrenheit“. „Die Preise hoffentlic­h nach Réaumur“, setzte Innstetten, als er den Namen las, hinzu, und in bester Laune machten beide noch einen Abendspazi­ergang an dem Klippenstr­and hin und sahen von einem Felsenvors­prung aus auf die stille, vom Mondschein überzitter­te Bucht. Effi war entzückt.

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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