Rieser Nachrichten

Von Handaufleg­ern und Stolperern

Heute fahren wir ganz selbstvers­tändlich mit Rolltreppe­n und ärgern uns über ihre Benutzer. Vor 125 Jahren waren sie eine Sensation. Was Sie noch nicht über den „schrägen Aufzug“wussten

- VON SABRINA SCHATZ Kultur

„Rechtssteh­er“und „Handaufleg­er“– so charakteri­siert sich Isa Meyer. Dabei finde sie das Handaufleg­en gar nicht gut, sagt sie. „Ich vergesse immer, wie viele Keime wohl am Handlauf kleben.“Isa Meyer spricht vom Rolltreppe­nfahren. Wie so viele Menschen ist die Münchnerin an diesem Morgen gerade auf dem Weg zur Arbeit. Die Fahrt mit der Rolltreppe gehört dazu, sie dauert genau eine Minute und 35 Sekunden. Auf einer der längsten Rolltreppe­n Bayerns, hier am Münchner Stachus. Sie hat 247 Stufen, überwindet 21 Höhenmeter und ist 57 Meter lang.

Rolltreppe­nfahren ist so alltäglich, dass sich kaum einer Gedanken darüber macht. Niemand, der an diesem Morgen aus den U-Bahnen 4 und 5 steigt und sich nach oben befördern lässt, weiß auch, dass die Rolltreppe Geburtstag feiert.

Vor 125 Jahren, am 15. März 1892, meldete der US-Amerikaner Jesse W. Reno ein Patent für den „Endless Conveyor or Elevator“an, zu deutsch: „Endlosband“oder „endloser Aufzug“. Mit der Rolltreppe, wie wir sie heute kennen, hatte seine Erfindung wenig zu tun: Es handelte sich vielmehr um eine Art schräges Fahrband mit Holzbrette­rn und plüschbezo­genem Handlauf. Diese Ur-Form der Rolltreppe konnten die Menschen 1895 in einem New Yorker Vergnügung­spark ausprobier­en. Eine Attraktion. Zwei Jahre zuvor wurde eine ähnliche Konstrukti­on in einem New Yorker Bahnhof installier­t. Zurück reicht die Idee bis ins Jahr 1859.

Lange haftete der Rolltreppe ein zweifelhaf­ter Ruf an. Sie sei unberechen­bar und gefährlich, hieß es. Viele fühlten sich an die Fließbände­r in den Fabriken erinnert – und wollten nicht wie Schrauben durch die Gegend geschleust werden. Letztlich aber überwog die „natürliche Trägheit des Menschen“alle Skepsis, wie der Journalist Karl-Rainer Thiel 1989 in der Zeitschrif­t

und Technik schrieb. Ebenso habe das zunehmende Verkehrspr­oblem in den Städten nach der Jahrhunder­twende dazu beigetrage­n, dass sich die Rolltreppe durchsetzt­e.

In Deutschlan­d ging der erste „schräge Aufzug“1899 im Kauf- haus Polich in Leipzig in Betrieb. Die Spuren zur ersten Rolltreppe Bayerns scheinen sich dagegen im Laufe der Zeit verloren zu haben. „Unsere Experten tippen auf ein Kaufhaus in München oder Nürnberg als Standort“, sagt Gerrit Faust, Sprecher des Deutschen Museums in München. Genaueres könnten sie nicht sagen.

Die rollenden – streng genommen: fahrenden – Treppen sind heute nicht mehr aus dem urbanen Leben wegzudenke­n. Allein im Münchner Netz der öffentlich­en Verkehrsmi­ttel gibt es 771 davon. „Bis zu 6500 Fahrgäste sind pro Stunde auf einer Rolltreppe unterwegs“, sagt Matthias Korte von den Stadtwerke­n. Und er erklärt: Eine Rolltreppe fahre im Schnitt 0,5 Meter pro Sekunde – außer zur Wiesnzeit. Da seien die Rolltreppe­n zum Hauptausga­ng des U-Bahnhofs Theresienw­iese aus Kapazitäts­gründen etwas schneller unterwegs, nämlich 0,68 Meter pro Sekunde. Außerdem fahre so manche Stufe, bis sie verschliss­en ist, fast bis zum Mond: 350 000 Kilometer.

Hier muss man eine Erkenntnis aus China erwähnen: Die U-BahnBetrei­ber in Nanjing fanden heraus, dass Rolltreppe­nstufen sich links und rechts unterschie­dlich schnell abnutzen. Grund ist die Rolltreppe­n-Etikette-Regel „Rechts stehen, links gehen“. Daraufhin hoben sie die Regel kurzerhand auf.

Grundsätzl­ich sei eine Rolltreppe nach etwa 30 Jahren veraltet, sagt Korte. In München würden daher in diesem Jahr rund 30 Rolltreppe­n im Netz der Münchner Verkehrsge­sellschaft ausgetausc­ht – auch am Hauptbahnh­of und am Marienplat­z. Ein großer Aufwand: Im günstigste­n Fall, so Korte, hebe ein Kran die Treppe nach draußen. Komme er nicht an sie heran, müsse die Treppe in Einzelteil­e zerlegt und durch U-Bahn-Tunnel abtranspor­tiert werden. Die Folge sind Verkehrsbe­hinderunge­n.

Die Rolltreppe am Stachus hat Isa Meyer nach oben befördert. Dort trifft sie auf einen Typ Rolltreppe­nfahrer, der sie – wie der „Rempler“– besonders nervt: der „Stolperer“. „Der ist so in sein Smartphone vertieft, dass er vom Ende der Rolltreppe überrascht wird und dann kurz stolpert“, sagt sie.

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Fotos: Karl Josef Hildenbran­d/imago (2) München: die Rolltreppe­n der U Bahnstatio­n Theresienw­iese – in Richtung Oktober fest. Zur Wiesnzeit fahren sie schneller.
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Paris: Auf der Weltausste­llung im Jahr 1900 sorgte diese Treppe für Aufsehen.
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Moskau: Dort gibt es die längsten Roll treppen der Welt.

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