Verschärfte Kontrolle mit sehr kurzer Haltbarkeit
Warum drei EU-Staaten ihre Grenzen auf eigene Faust schnell wieder geöffnet haben
Der Versuch der EU, am vergangenen Wochenende mit verschärften Grenzkontrollen für alle Bürger zu starten, endete im Desaster. Nur 24 Stunden nach Beginn stellten mehrere Mitgliedstaaten die Zusatzüberwachung wieder ein.
„Systematische Kontrolle aller Reisenden“– was diese neue Initiative der europäischen Staaten bedeutet, haben die ersten Osterurlauber hautnah erlebt: Wer auch immer den sogenannten Schengen-Raum verlassen wollte, um beispielsweise nach Ägypten, in die Türkei oder nach Marokko in die Sonne zu fliegen, sah sich langen Schlangen an Flughäfen und auf einigen Straßen gegenüber. Seit Freitag sollen Einund Ausreisende schärfer geprüft werden, wenn sie die Europäische Union plus Norwegen und die Schweiz verlassen – alle, also auch die Bewohner der EU.
Während die Grenzschützer bislang bei Unionsbürgern nur die Echtheit der Ausweise prüften, werden die Personalpapiere seit dem Wochenende mit den Fahndungscomputern des Schengen-Informations-Systems (SIS) und mit einer Datenbank abgeglichen, in der die Sicherheitsbehörden gefälschte oder verlorene Dokumente erfassen. „Wir wollen und müssen exakt wissen, wer unsere Grenzen passiert“, hatte der für Migrationsfragen zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos im vergangenen Dezember betont.
Die Maßnahme gehört zu den Reaktionen auf die Terroranschläge von Paris, Brüssel und Nizza. Die deutsche Bundespolizei versprach am Tag vor dem Start der neuen Überwachungsmaßnahmen, man werde „alle Anstrengungen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Verpflichtungen unternehmen, Auswirkungen auf den Flugverkehr und Wartezeiten für die Reisenden so verträglich wie möglich zu halten.“Das gelang wohl auch – zumindest an den deutschen Airports.
Anders war es auf den Routen Richtung Balkan und Türkei. Nur 24 Stunden nach dem Start der neuen Kontrollen kam es am Samstag in Slowenien, Kroatien und Ungarn zu kilometerlangen Staus. Die Behörden sprachen von Wartezeiten bis zu vier Stunden. Bereits am Sonntag setzten sie die Überprüfung der Urlauber wieder aus – „für unbestimmte Zeit“, wie die beiden Regierungschefs von Slowenien und Kroatien, Miro Cerar und Andrej Plenkovic, verabredeten.
Verschärft wurde der Druck offenbar noch durch Proteste kroatischer Zahnmediziner gegen die neuen Kontrollen. Das Wochenende vor Ostern nutzen viele Italiener gerne, um im nahen Kroatien preisgünstig ihre Zähne reparieren zu lassen. Der Umsatz der Ärzte sei um die Hälfte zurückgegangen, heißt es in Zagreb. Außerdem beschwerten sich die kroatischen Tourismusbetriebe, weil sie einen massiven Rückgang von Buchungen vor allem von Kurzurlaubern befürchteten.
Die EU-Kommission reagierte ratlos. Zwar lässt das neue Gesetz die einseitige Rücknahme der Grenzkontrollen zu. Allerdings ist das nur erlaubt, wenn die Sicherheitsbehörden eine aktuelle Risikoanalyse vorlegen, die zeigt, dass keine zusätzliche Gefahr durch einreisende Gewalttäter oder Terroristen zu erwarten ist. Einen solchen Bericht konnten die Ämter Kroatiens, Sloweniens und Ungarns in so kurzer Zeit natürlich nicht vorlegen, sodass man in der EU-Behörde nun abwartet. In den kommenden Tagen wollen die Sicherheitsexperten der Mitgliedstaaten die Lage beraten und dabei auch die Auswirkungen auf den Reiseverkehr sowie die Wirtschaft besprechen.