„Wir sind mit den Gästen alt geworden“
Das Kult-Lokal „Hollywood“ist Geschichte. Loris und Helmut Ziegler blicken zurück
Loris Ziegler blättert im Reservierungs-Heft: „Heute voll, morgen voll, bis zum Freitag voll“. „Das geht jetzt seit drei Wochen so“, fügt Helmut Ziegler an, „seit bekannt ist, dass das Hollywood zu macht.“Stammgäste aus dreißig Jahren stürmen zum Abschied das Lokal, einige warten mit Regenschirmen draußen, bis ein Platz frei wird. Ein Wirtskollege kommt mit seiner Familie, eine Frau schenkt den beiden legendären Wirten zwei Schokoladen-Maikäfer zum Abschied. Derartige Szenen der letzten Tage unterstreichen den Kultstatus des Hollywood. Und die enge, jahrzehntelange Bindung der Gäste an Loris und Helmut. Wo diese Bindung her kommt? Es ist wohl eine einzigartige Atmosphäre, getragen von den ganz besonderen Persönlichkeiten des Wirtepaares – das ist wörtlich zu nehmen, denn Loris und Helmut leben seit 2001in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. „Wir ergänzen uns in unseren verschiedenen Persönlichkeiten“, sagt Helmut. Er selbst ist der ruhende Pol, Loris als Gegenpol eher ein Paradiesvogel. „Ich bin halt gradeheraus, sehr offen und ehrlich“, sagt Loris. „Wenn ich schlecht aufgelegt bin, dann ist das eben so.“Die Offenheit wird akzeptiert, noch nie in 30 Jahren war ein Gast sauer, weil Loris ihn aufzog, herumschäkerte, im Streitgespräch scharfe Antworten gab. „Die Leute merken sofort, wenn man sich verstellt“, sagt er. Umgekehrt fühlen sie sich wohl, wenn ihnen die abgeforderte Toleranz auch umgekehrt entgegengebracht wird.
1986 eröffneten die Beiden ihr Lokal gleich neben dem Reimlinger Tor. Loris hatte sich da bereits seit sieben Jahren einen Namen als Bedienung in der Disko „Meteorit“und in „Ri’s Bistro“gemacht und Gäste kamen vom ersten Tag an zu ihm. Helmut Ziegler hatte bis dahin auf dem Nördlinger Bauamt gearbeitet und dann mehrere mutige Entscheidungen getroffen: Er stand offen zur Beziehung mit Loris, machte sie amtlich, tauschte seinen Job bei der Stadt gegen den des Wirts und brachte auch noch Geld in die Geschäftsgründung mit ein.
Schon nach wenigen Monaten hatten sich die Investitionen amortisiert, die Gäste strömten in Scharen in das ausgefallene Lokal. Neben den Wirtsleuten sorgte die originelle Ausstattung für eine schlichtweg einzigartige Atmosphäre: Mitten im Lokal stand ein beleuchteter Baum, alle drei Monate gab es eine themenbezogene Ausstellung mit Wänden voller Fotos, Plakaten und Figuren. Allein diese Art der Dekoration, die jedesmal eine Woche kreativer Arbeit erforderte, spiegelte den Zeitgeist wieder, anfangs schrill und schräg mit Hollywood-Stars, Moulin Rouge, Zirkus, einem Zoo mit Stofftieren, New York, König Ludwig.
Dann folgte man dem Wandel des Publikums, das älter und reifer wurde, man dokumentierte „Nördlingen einst und jetzt“, präsentierte eine Galerie mit Bildern der Stammgäste vor 20 Jahren, gab jährlich eine Vorschau auf die Stücke der naviele hen Freilichtbühne, zuweilen auch des Dramatischen Ensembles. Viele Gäste kamen über Jahrzehnte hinweg ein- bis zweimal in der Woche. „Wir sind mit unseren Gästen alt geworden“, bringt es Helmut Ziegler auf den Punkt.
Nicht nur die Gäste hielten ihnen die Treue – die Bedienungen Birgit Ziegler und Anita Möhle beispielsweise gehörten 28 und 25 Jahre lang zum Inventar. Die Wirte gehen in den verdienten Ruhestand, bleiben aber in Nördlingen. „Vielleicht gründen wir ja einen HollywoodStammtisch“, tröstet Helmut die Gäste, die sich ein Leben ohne ihn und Loris nicht vorstellen können.