Rieser Nachrichten

Die gezielte Provokatio­n von de Maizière

Der Innenminis­ter löst eine Debatte zur deutschen Leitkultur aus und überrascht damit die eigenen Parteifreu­nde wie den politische­n Gegner

- VON MARTIN FERBER

Die Kampfansag­e der eigenen Schwesterp­artei liegt auf dem Tisch. Ob Thomas de Maizière auch noch einer neuen Bundesregi­erung unter Angela Merkel als Innenminis­ter angehört, ist alles andere als sicher. Denn die bayerische CSU hat unmissvers­tändlich ihren Anspruch auf dieses ebenso wichtige wie prestigetr­ächtige Amt erhoben. Der bisherige bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann soll nach dem Willen von Parteichef Horst Seehofer die CSU-Liste zur Bundestags­wahl anführen und danach das Innenresso­rt übernehmen.

Doch de Maizière scheint entschloss­en zu sein, sein Amt nicht kampflos preiszugeb­en. Am Wochenende preschte der Sachse, der als enger Vertrauter von Kanzlerin Angela Merkel gilt, vor und überrascht­e die eigenen Parteifreu­nde wie den politische­n Gegner mit einer neuen Debatte zur „deutschen Leitkultur“, wohl wissend, welche Reflexe dieser Begriff auslöst. In einem Beitrag für die Bild am Sonntag listete der CDU-Politiker zehn Eigenschaf­ten auf, die nach seiner Ansicht Teil einer deutschen Leitkultur sein sollen – gedacht als eine Art Nachhilfe für Flüchtling­e, Einwandere­r und Ausländer. So mahnte er, dass man sich in Deutschlan­d zur Begrüßung die Hand gebe, sein Gesicht zeige und seinen Namen nenne. „Wir sind nicht Burka.“Zudem sei Deutschlan­d ein christlich geprägter, Religionen freundlich zugewandte­r, aber weltanscha­ulich neutraler Staat. Religion sei „Kitt und nicht Keil der Gesellscha­ft“. Und auch den Rechtspopu­listen erteilte er eine Mahnung: „Ein aufgeklärt­er Patriot liebt sein Land und hasst nicht andere.“

Nicht nur Opposition­spolitiker von den Grünen und Linken wiesen seine Ansichten zurück, auch Vertreter des Koalitions­partners SPD übten massive Kritik. Und auch der potenziell­e Koalitions­partner FDP ging auf Distanz. „Was für eine peinliche Inszenieru­ng. Merkel macht auf liberal und europäisch, de Maizière macht auf Leitkultur. Absurde Arbeitstei­lung“, schrieb der stellvertr­etende SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel aus Hessen auf Twitter. Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt bemängelte, wichtiger sei es, sich um Zusammenha­lt und Integratio­n zu kümmern und die praktische­n Probleme zu lösen. „Geben wir den Menschen eine Perspektiv­e und Unterstütz­ung. So kommen wir schneller voran als mit Leitkultur­beschwörer­ei.“

FDP-Chef Christian Lindner warf de Maizière vor, von der chaotische­n Einwanderu­ngspolitik der CDU ablenken und sich gegenüber seinem innerparte­ilichen Rivalen Herrmann in Stellung bringen zu wollen. Eine Debatte über deutsche Identität sei nötig, damit sich Neuankömml­inge daran orientiere­n könnten. Unnötig sei es hingegen, alte Debatten aufzuwärme­n.

Auch in der Union hielt sich die Zustimmung zu den Thesen des Innenminis­ters in Grenzen. So verwies der frühere CDU-Generalsek­retär Ruprecht Polenz darauf, dass es für eine verpflicht­ende Leitkultur im Grundgeset­z keine Rechtsgrun­dlage gebe. „Wir leben in einer freiheitli­chen, pluralisti­schen Gesellscha­ft, in der jeder nach seiner Fasson selig werden kann, solange er anderen nicht schadet.“Der scheidende CDU-Innenpolit­iker Wolfgang Bosbach stellte sich dagegen hinter seinen Parteifreu­nd. Der Begriff Leitkultur solle „nicht ausgrenzen, sondern einladen, jene Normen und Werte zu beachten, deren Einhaltung notwendig ist, damit alle in unserem Land unabhängig von Hautfarbe, Staatsange­hörigkeit und Religion friedlich und konfliktfr­ei miteinande­r leben können“. Die stellvertr­etende CDU-Vorsitzend­e Julia Klöckner nannte den Zehn-PunkteKata­log das „kleine Einmaleins unseres Zusammenle­bens in diesem liberalen Rechtsstaa­t“.

Thomas de Maizière konnte zufrieden sein. Er hatte erreicht, was er wollte – er war im Gespräch.

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Foto: Kappeler, dpa Thomas de Maizière überrascht auch sei ne Parteifreu­nde.

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