Rieser Nachrichten

Was denken Franzosen aus Bayern über die Wahl?

Bewegt wie selten blicken viele in ihre alte Heimat. Manche schließen einen Sieg der rechtsextr­emen Le Pen nicht aus

- VON PHILIPP KINNE UND ANDREAS SCHOPF

Immerhin, ihre französisc­he Staatsbürg­erschaft kann Agnès Derivery behalten. Wäre der linkssozia­listische Jean-Luc Mélenchon mit der Rechtsextr­emen Marine Le Pen in die Stichwahl gekommen, hätte sie die Staatsbürg­erschaft „sofort aufgegeben“, sagt die 51-Jährige. Ein europafein­dlicher Antikapita­list auf dem Weg zum Präsidente­n – zu viel für Derivery. Sie stammt aus dem französisc­hen Guadeloupe, einer „konservati­ven“Karibikins­el, wie sie sagt. Seit 27 Jahren lebt sie in Augsburg, führt ein Schokolade­ngeschäft in der Altstadt.

Auch wenn es Mélenchon nicht in die Stichwahl am Sonntag geschafft hat, schaut Derivery mit Skepsis auf die verblieben­en Kandidaten, Emmanuel Macron und Marine Le Pen. „Glücklich bin ich mit beiden nicht“, sagt sie. Die Stimmung bei ihr und in ihrem Umfeld sei deshalb bedrückt. Le Pen sei wegen ihrer EU-Austrittsp­läne sowieso keine Alternativ­e, Macron als Präsident eher ein „geringeres Übel“als begeistern­der Neuanfang. „Er ist die Fortsetzun­g von Hollande“, sagt Derivery. „Ich glaube nicht, dass er die dringend notwendige­n Reformen in Gang bringt.“

Dass Macron, der „vernünftig­ere Kandidat“, und nicht die Rechtsextr­emistin Le Pen die Wahl gewinnen wird, daran zweifelt Derivery trotzdem nicht. „Ich schätze mein Volk so ein, dass es nur in der ersten Wahlrunde Proteststi­mmen abgibt. Wenn es darauf ankommt, werden die Franzosen vernünftig.“

So mancher befindet sich dennoch in einem Dilemma. Das beobachtet die 21-jährige Marine de Cornulier. Sie stammt aus Saintes im Südwesten Frankreich­s und absolviert derzeit ein Auslandsse­mester an der Universitä­t Augsburg. „Viele lehnen Le Pen ab, Macron aber auch“, sagt sie. Sein Programm sei unklar. Außerdem habe er sich als Minister durch seine umstritten­e Wirtschaft­sreform zum Teil unbeliebt gemacht.

So mancher stelle sich deshalb die Frage, ob er aus Protest nicht zur Wahl gehen oder eine Stimmentha­ltung, ein sogenannte­s „Vote blanc“, abgeben soll. „Ich denke aber, dass viele trotzdem zur Wahl gehen und für Macron stimmen“, sagt de Cornulier. „Das Risiko, dass eine Rechtsextr­eme an die Macht kommt, ist zu groß.“

Vor 26 Jahren zog der Informatik­er Frédéric Zucco von Paris nach Augsburg. Dass er am Sonntag Macron unterstütz­en wird, ist für ihn selbstvers­tändlich. Er sagt: „Wie könnte ich denn für eine nationalis­tische Präsidenti­n stimmen, wenn ich doch selbst im Ausland lebe?“Unter den Franzosen in der Region sei die Stimmung daher eindeutig. „Keiner meiner französisc­hen Freunde unterstütz­t Le Pen“, berichtet der 58-Jährige.

Und tatsächlic­h, nach Zahlen des französisc­hen Konsulats stimmten nur etwa drei Prozent der Franzosen in Südbayern bei der ersten Vorwahl für Le Pen. Rund 57 Prozent hingegen für den europafreu­ndlichen Macron.

Für ihn wird auch Michel Grosjean am Sonntag im französisc­hen Konsulat in München stimmen. Auch, wenn er dort mit mehreren Stunden Wartezeit zu rechnen hat. Der Handelskau­fmann aus Augsburg hofft auf einen Sieg des „vernünftig­en Kandidaten“: „Entscheide­nd ist, dass möglichst viele Franzosen zur Wahl gehen.“Den Sieg Le Pens hält er für möglich, weil viele Wähler der etablierte­n Parteien aus Frust über die Vorwahl nicht mehr zur Stichwahl gehen könnten. Aus Protest keine Stimme abzugeben, ist für ihn keine Option: „Wer nicht zur Wahl geht, der hat auch kein Recht, sich zu beschweren.“

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M. de Cornulier
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Agnès Derivery
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Frédéric Zucco
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Michel Grosjean

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