Was denken Franzosen aus Bayern über die Wahl?
Bewegt wie selten blicken viele in ihre alte Heimat. Manche schließen einen Sieg der rechtsextremen Le Pen nicht aus
Immerhin, ihre französische Staatsbürgerschaft kann Agnès Derivery behalten. Wäre der linkssozialistische Jean-Luc Mélenchon mit der Rechtsextremen Marine Le Pen in die Stichwahl gekommen, hätte sie die Staatsbürgerschaft „sofort aufgegeben“, sagt die 51-Jährige. Ein europafeindlicher Antikapitalist auf dem Weg zum Präsidenten – zu viel für Derivery. Sie stammt aus dem französischen Guadeloupe, einer „konservativen“Karibikinsel, wie sie sagt. Seit 27 Jahren lebt sie in Augsburg, führt ein Schokoladengeschäft in der Altstadt.
Auch wenn es Mélenchon nicht in die Stichwahl am Sonntag geschafft hat, schaut Derivery mit Skepsis auf die verbliebenen Kandidaten, Emmanuel Macron und Marine Le Pen. „Glücklich bin ich mit beiden nicht“, sagt sie. Die Stimmung bei ihr und in ihrem Umfeld sei deshalb bedrückt. Le Pen sei wegen ihrer EU-Austrittspläne sowieso keine Alternative, Macron als Präsident eher ein „geringeres Übel“als begeisternder Neuanfang. „Er ist die Fortsetzung von Hollande“, sagt Derivery. „Ich glaube nicht, dass er die dringend notwendigen Reformen in Gang bringt.“
Dass Macron, der „vernünftigere Kandidat“, und nicht die Rechtsextremistin Le Pen die Wahl gewinnen wird, daran zweifelt Derivery trotzdem nicht. „Ich schätze mein Volk so ein, dass es nur in der ersten Wahlrunde Proteststimmen abgibt. Wenn es darauf ankommt, werden die Franzosen vernünftig.“
So mancher befindet sich dennoch in einem Dilemma. Das beobachtet die 21-jährige Marine de Cornulier. Sie stammt aus Saintes im Südwesten Frankreichs und absolviert derzeit ein Auslandssemester an der Universität Augsburg. „Viele lehnen Le Pen ab, Macron aber auch“, sagt sie. Sein Programm sei unklar. Außerdem habe er sich als Minister durch seine umstrittene Wirtschaftsreform zum Teil unbeliebt gemacht.
So mancher stelle sich deshalb die Frage, ob er aus Protest nicht zur Wahl gehen oder eine Stimmenthaltung, ein sogenanntes „Vote blanc“, abgeben soll. „Ich denke aber, dass viele trotzdem zur Wahl gehen und für Macron stimmen“, sagt de Cornulier. „Das Risiko, dass eine Rechtsextreme an die Macht kommt, ist zu groß.“
Vor 26 Jahren zog der Informatiker Frédéric Zucco von Paris nach Augsburg. Dass er am Sonntag Macron unterstützen wird, ist für ihn selbstverständlich. Er sagt: „Wie könnte ich denn für eine nationalistische Präsidentin stimmen, wenn ich doch selbst im Ausland lebe?“Unter den Franzosen in der Region sei die Stimmung daher eindeutig. „Keiner meiner französischen Freunde unterstützt Le Pen“, berichtet der 58-Jährige.
Und tatsächlich, nach Zahlen des französischen Konsulats stimmten nur etwa drei Prozent der Franzosen in Südbayern bei der ersten Vorwahl für Le Pen. Rund 57 Prozent hingegen für den europafreundlichen Macron.
Für ihn wird auch Michel Grosjean am Sonntag im französischen Konsulat in München stimmen. Auch, wenn er dort mit mehreren Stunden Wartezeit zu rechnen hat. Der Handelskaufmann aus Augsburg hofft auf einen Sieg des „vernünftigen Kandidaten“: „Entscheidend ist, dass möglichst viele Franzosen zur Wahl gehen.“Den Sieg Le Pens hält er für möglich, weil viele Wähler der etablierten Parteien aus Frust über die Vorwahl nicht mehr zur Stichwahl gehen könnten. Aus Protest keine Stimme abzugeben, ist für ihn keine Option: „Wer nicht zur Wahl geht, der hat auch kein Recht, sich zu beschweren.“