Rieser Nachrichten

Warum einige Unternehme­n keine Azubis finden

Manche Lehrstelle­n sind begehrt, andere nicht. Doch selbst gefragte Betriebe tun sich schwer. Warum nur?

- VON CHRISTINA HELLER

Nicht mal mehr ein halbes Jahr haben alle, die 2017 eine Ausbildung beginnen wollen, noch Zeit, um sich zu bewerben und eine geeignete Stelle zu finden. Doch während sich die Bewerbunge­n für bestimmte Stellen gewisserma­ßen aufstauen, weil die Ausbildung­splätze so begehrt sind, interessie­rt sich für andere Stellenang­ebote fast niemand. Gleichzeit­ig ist es aber so, dass manche Unternehme­n, obwohl sie viele Bewerbunge­n bekommen, keine geeigneten Azubis finden. Wie lässt sich das erklären?

Zunächst zur ungleichen Verteilung von Angebot und Nachfrage bei Lehrstelle­n: Josefine Steiger, die bei der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben (IHK) für den Bereich Ausbildung zuständig ist, sagt, dass viele Betriebe aus dem Bereich Gastronomi­e oder Hotelgewer­be resigniert hätten. Sie suchten zwar Lehrlinge, fänden aber nur schwer welche. Genau anders herum verhält es sich etwa bei Stellenaus­schreibung­en zur Ausbildung für Kauffrauen oder -männer für Büromanage­ment. Dort bewerben sich hunderte für eine Stelle.

IHK-Expertin Steiger sagt, Das liege etwa daran, dass viele Schüler nicht genau wüssten, welche Tätigkeit sich hinter einer Berufsbeze­ichnung verbirgt. Ähnliche Erfahrunge­n hat auch Susanne Sylvester von der Handwerksk­ammer für Schwaben (HWK) gemacht. Sie sagt: „Es gibt Ausbildung­sberufe, die bekannter sind und somit von Jugendlich­en mehr nachgefrag­t sind.“

Dazu komme, dass manche Betriebe sich schwertun, Lehrlinge zu finden, weil sie in Regionen lägen, die für Minderjähr­ige schwer zu erreichen seien oder weil sie unbekannt seien. Andere wiederum werben viel für sich, was dazu führt, dass sie mehr Bewerbunge­n bekommen. Ein Grund, warum so viele Lehrstelle­n offenbleib­en, ist auch der demografis­che Wandel. Das sagen sowohl Sylvester als auch Bertram Brossardt, Hauptgesch­äftsführer der Vereinigun­g der bayerische­n Wirtschaft (VBW).

Doch das alles erklärt nicht, warum sich selbst Betriebe mit vielen Bewerbern schwertun, geeignete Lehrlinge zu finden. Ist das Niveau an den Schulen wirklich so sehr gesunken? Oder sind die Betriebe einfach zu anspruchsv­oll?

Sylvester von der HWK sagt: Im Handwerk seien zwar wenige Betriebe von diesem Problem betroffen, weil sie schon in den Schulen in Praktika und Berufsorie­ntierung investiere­n, die Schüler also wüssten, was auf sie zukommt. „Es kommt aber vor, dass ein Bewerber nicht auf das Stellenpro­fil passt, etwa weil sein mathematis­ches oder technische­s Verständni­s ungenügend ist.“

Ähnlich sieht es auch Brossardt von der VBW: „Etwa 15 bis 20 Prozent eines Absolvente­njahrgangs der allgemeinb­ildenden Schulen verfügen nach Abschluss der Pflichtsch­ulzeit nur über eine unzureiche­nde Ausbildung­sreife sowie mangelndes Leistungsv­ermögen und eine zu geringe Motivation“, urteilt er. Sogar Simone Fleischman­n, Präsidenti­n vom Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverband (BLLV), räumt ein, dass das Niveau an den Mittel- und Realschule­n gesunken sei. Allerdings liege das vor allem an der Akademisie­rung.

Ein Schlagwort, das alle Befragten gerne in den Mund nehmen. Gemeint ist, dass immer mehr Buben und Mädchen erst aufs Gymnasium gehen und dann studieren. „Früher sind vielleicht zwei Schüler aus einer vierten Klasse auf das Gymnasium gegangen. Der Rest wechselte auf die Real- oder Hauptschul­e. Heute gehen vielleicht zwei Schüler auf die Mittelschu­le“, sagt Fleischman­n. Jacqueline Schuster von der IHK ergänzt, dass sich heutzutage die Vorstellun­g durchgeset­zt habe, ein Kind könne nur dann Karriere machen und es zu etwas bringen, wenn es auch Abitur hat und studiert. „Das stimmt natürlich nicht. Ein Unternehme­n braucht etwa 70 Prozent Fachkräfte und nur 30 Prozent Akademiker“, sagt sie. Die Quote der Bewerbunge­n sei umgekehrt.

Noch etwas komme hinzu, findet Fleischman­n. „Die Wirtschaft weiß nicht, was sie will“, sagt sie. Ihr Kollege Jürgen Wunderlich, bayerische­r Vorsitzend­er des Verbandes der Lehrer an berufliche­n Schulen, stimmt ihr zu. „Die Erwartunge­n der Ausbildung­sunternehm­en an die Auszubilde­nden sind zu hoch“, sagt er. Fleischman­n erzählt dazu noch eine Geschichte: Unlängst habe sie mit einem Vertreter der bayerische­n Wirtschaft in einer Podiumsdis­kussion gesessen. „Er sagte zu mir, die Unternehme­n bräuchten Lehrlinge, die einfach ausführen, was man ihnen sagt. Und keine, die erst noch überlegen, wie sich Dinge besser angehen ließen.“Doch die Pädagogin sagt: „Solche Schüler bilden wir seit Jahren nicht mehr aus.“

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Foto: contrastwe­rkstatt, Fotolia In manchen Branchen bewerben sich viele Schüler um eine Stelle. Doch den richtigen Lehrling zu finden, ist trotzdem nicht leicht.

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