Rieser Nachrichten

NSU Prozess: Einblicke in eine unheimlich­e Subkultur

Seit vier Jahren wird über die Verbrechen der rechtsextr­emen Terrorgrup­pe verhandelt. Ein Ende naht – wahrschein­lich

- Christoph Lemmer, dpa

Am Samstag jährt sich der Beginn des NSU-Prozesses zum vierten Mal. Beate Zschäpes Bild war damals allgegenwä­rtig. Aber erst der Prozess lieferte Einblicke, wie die rechtsextr­eme Terrorgrup­pe und ihr Netz funktionie­rte.

Die Beweisaufn­ahme ist im Grunde längst beendet. Anfang Dezember 2016 erklärte der Vorsitzend­e Richter Manfred Götzl, sein Programm sei abgearbeit­et. Wer noch Anträge stellen wolle, möge das „konzentrie­rt und zügig“tun – formuliert als Bitte. Inzwischen wurde aus der Bitte eine formelle Verfügung mit Frist bis 17. Mai. Wer dann noch Beweise erheben wolle, müsse begründen, warum erst jetzt. Damit rücken Plädoyers und Urteile näher und auch die juristisch­e Sühne für die angeklagte­n Verbrechen. Eine Serie von neun Morden aus Fremdenhas­s. Die Opfer durchweg selbststän­dige Kleinunter­nehmer, die als Händler, Schlüsseld­ienstbetre­iber oder Imbiss-Gastronome­n Geld verdienten. Und der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewette­r in Heilbronn, zwei Sprengstof­fanschläge in Köln und Dutzende Banküberfä­lle.

In den vergangene­n vier Jahren hat das Gericht nicht nur harte Beweise für sein Urteil gesammelt, sondern auch tiefe Einblicke in die rechtsextr­eme Subkultur gewonnen, in der sich das NSU-Trio bewegte – auch während der Zeit im Untergrund. Fast 14 Jahre hatten Beate Zschäpe und die beiden Terroriste­n Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ihr Untergrund­leben durchgehal­ten. Nach und nach offenbarte die Beweisaufn­ahme, dass das NSU-Trio keineswegs so abgeschott­et und isoliert lebte, wie viele dachten. Auch die Präsenz von V-Leuten des Verfassung­sschutzes im NSU-Umfeld wurde im Prozess deutlich. Einzelne Zeugen wurden vor Gericht als V-Leute enttarnt.

Szene-Anführer berichtete­n, wie sie ihre Anhänger mit Konzerten bei Laune und mit Vorträgen auf Linie hielten – und gleichzeit­ig ihren V-Mann-Führern darüber berichtete­n und sich mit Geld aus der Staatskass­e bezahlen ließen. Der Prozess ließ ein Bild des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“entstehen, von dem öffentlich vorher nichts bekannt war. Als der NSU am 4. November 2011 aufgefloge­n war, hat- ten sich auch die Behörden überrascht gezeigt.

In den Trümmern der Zwickauer Fluchtwohn­ung war die Pistole gefunden worden, mit der alle neun rassistisc­h motivierte­n Morde verübt worden waren. Schlagarti­g war die Serie, die als unheimlich­es Rätsel galt, aufgeklärt. Man habe nicht ahnen können, dass rechtsradi­kale Terroriste­n dahinterst­ecken, teilten die Innenminis­terien von Bund und Ländern mit. Eine Gruppe namens NSU sei unbekannt gewesen. Wie verzweigt rechtsradi­kale Subkultur und Unterstütz­erszene tatsächlic­h sind, hat der NSU-Prozess aufhellen, aber nicht restlos klären können. Erst gegen Ende lehnte das Gericht wieder mehrere Beweisantr­äge mit der Begründung ab, es sei nicht zu „überschieß­ender Aufklärung“verpflicht­et – also über die Anklage und die Vorwürfe gegen die fünf Angeklagte­n hinaus. Gleichwohl entstand zwischenze­itlich immer wieder der Eindruck, das Verfahren ziehe sich unnötig lange hin.

Der Vergleich mit dem Prozess gegen das rechtsextr­eme „Aktionsbür­o Mittelrhei­n“in Koblenz rückt die Verhältnis­se zurecht. Dort platzte vergangene Woche das Verfahren nach 337 Verhandlun­gstagen, die sich über fünf Jahre hingezogen hatten. In München, im NSU-Prozess, absolviert­e das Gericht bisher 362 Verhandlun­gstage – in nur vier Jahren.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Beate Zschäpe an einem der bisher 362 Verhandlun­gstage.

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