Rieser Nachrichten

So lebt es sich auf der Straße

Gesellscha­ft Mehr als die Hälfte ihres Lebens haben die Zwillinge Benny und Basti Podruch obdachlos verbracht. Jetzt erzählen sie vom harten Alltag – und dem Gefühl, richtig frei zu sein

- VON SEBASTIAN MAYR

Irgendwie kommt sie doch, die Sehnsucht nach einem festen Platz. Nach so vielen Jahren auf der Straße, in Parks und leer stehenden Häusern. Basti und Benny Podruch waren 14, als sie zu Hause rausgeflog­en sind. Nicht, dass sie das nicht gewollt hätten. „Wir waren eigentlich ziemlich froh darüber“, sagt Basti, 31, grüner Irokese, schwarze Nietenwest­e und Ringe in Nase, Lippen, Ohren. Basti und Benny sind Zwillinge. Und Punks, damals wie heute.

Mehr als eineinhalb Jahrzehnte verbrachte­n die Brüder auf den Straßen und Plätzen Berlins. Zwischendr­in zogen sie in andere Städte, um Konzerte zu besuchen, Kumpels zu treffen oder „Perlen“, wie sie Frauen nennen. Basti und Benny Podruch haben ihre Geschichte gemeinsam mit der Journalist­in Christiane Tramitz aufgeschri­eben. Ihr Buch „Dieses schöne Scheißlebe­n“, das nur zufällig so heißt wie ein Dokumentar­film von Doris Dörrie aus dem Jahr 2014, erzählt von der Faszinatio­n des Lebens auf der Straße, aber auch von Kälte, Dreck, Hunger, Drogen, Tod. „Das mit dem Zwillingsb­ruder ist besonders“, sagt Benny. Fast alles erlebten die beiden gemeinsam. „Wir waren nicht einfach“, sagt Benny. Probleme in der Schule, ständig Ärger mit dem Stiefvater. Die beiden hauten von zu Hause ab, die Polizei brachte sie zurück. Bis der „Stief“genug hatte. Irgendwann standen die Koffer da.

„Wir haben uns einfach frei gefühlt. Wir haben nicht so sehr die Straße gesehen, sondern das Freisein“, sagt Benny, der noch mehr Ringe in den Ohren trägt als sein Bruder und einen blau gefärbten Irokesen. Die Zwillinge zogen mit anderen Punks durch ihre Heimatstad­t Jena. Nichts fehlte, keiner schrieb ihnen etwas vor. „Eigentlich war es eine riesengroß­e Familie, eine Ersatzfami­lie“, sagt Basti. Ihr Sozialverh­alten lernten die beiden auf der Straße. Geben und nehmen, helfen und Hilfe bekommen. Inzwischen hat sich herumgespr­ochen, dass viele Punks beim Tragen helfen oder ein Mädchen zum Bahnhof begleiten, wenn es sich alleine nicht wohlfühlt. „Wir können mit jedem, der mit uns kann“, sagt Benny.

Gegen die Kälte hilft der Alkohol. Fürs Überleben hilft es, auf sich zu schauen. Das gelang Basti und Benny Podruch nicht immer. Abstürze mit hartem Alkohol, Heroin. Eine Schlägerei mit „Faschos“in Wien brachte die Zwillinge ins Gefängnis. „Das hätte nicht sein müssen“, sagt Basti. Im Gefängnis kam eine Erkenntnis: Das ist ja gar keine Freiheit. Der Knast nicht, natürlich. Aber auch die Abstürze nicht. Vom Heroin waren sie schon vorher losgekomme­n. Kalter Entzug. Christiane Tramitz hat großen Respekt davor. „Von den Drogen loszukomme­n, das schaffen nicht viele. Den Willen haben viele nicht“, sagt sie.

Jetzt eben auch kein Schnaps mehr. „Ich hab keinen Bock mehr drauf“, sagt Basti Podruch. Im Gefängnis bekamen Benny und er Besuch von Tramitz. Die Journalist­in kannte die beiden von früher von einer Reportage über Straßenkin­der in Jena. Tramitz ermunterte sie, Tagebuch zu führen. „Du sitzt drin, hast einen klaren Kopf und mal keinen in der Krone“, sagt Benny Podruch über die Zeit im Knast. Entstanden ist das Buch, erzählt aus Bennys Perspektiv­e. Ein Buch, das mit der Kindheit der beiden beginnt und mit dem Tod von Bennys Sohn endet, der mit elf Jahren an einem inoperable­n Hirntumor stirbt.

Ein Leben nach gewöhnlich­en Standards führen die Zwillinge auch jetzt nicht. Trotz fester Termine: Arbeitsage­ntur, Bewährungs­hilfe. „Muss ja gemacht werden“, sagt Basti. Die beiden fahren noch immer auf Konzerte und zu Kumpels im ganzen Land, doch sie gehen auch mal ins Museum. Und träumen von einem festen Platz. Das kann ein Bauwagenpl­atz sein, vielleicht ein Haus. Irgendwas, wo sie leben können, wie sie wollen. Jetzt wohnt Benny erst mal bei einem Kumpel und Basti bei seiner „Perle“. O „Dieses schöne Scheißlebe­n“erscheint im Verlag Orell Füssli. Das Buch kostet 17,95 Euro.

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Foto: Jens Kalaene, dpa Plötzlich stand sein Koffer vor der Tür – Benny Podruch (Mitte) war zu Hause rausgeflog­en. Jahrelang war das Pflaster von Berlin seine Heimat. Hier sitzt er mit Kumpels an der Warschauer Straße.

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