Rieser Nachrichten

Verirrt in Nördlingen

Weil er im Rausch mehrmals den Notruf wählte, muss sich sich ein 38-Jähriger vor dem Amtsgerich­t Nördlingen verantwort­en. Das ist nicht die erste Verhandlun­g des Angeklagte­n

- VON VERENA MÖRZL

„Ich brauche einen Notarzt, ich komme hier nicht weg“, stammelt ein Betrunkene­r, als er nach dem Wählen des Notrufs bei der Einsatzzen­trale landet. „Ich glaube“, sagt er weiter, „ich habe eine Unterkühlu­ng.“Der Mann am anderen Ende der Leitung meint es gut: „Gehen Sie dort hin, wo es warm ist.“Doch der Betrunkene, der sich in Nördlingen verlaufen hat, verlangt weiterhin Hilfe, weil er glaubt, dass er es nicht mehr aus eigener Kraft zur Unterkunft schafft.

Noch zwei weitere Male rief der Mann in der Einsatzzen­trale an. Deswegen wirft ihm die Staatsanwa­ltschaft vor, die Notfallnum­mer für weitaus schlimmere Fälle als den seinen blockiert und damit missbrauch­t zu haben. Außerdem musste sich der 37-Jährige aus dem Landkreis Dillingen wegen Betrugs verantwort­en. Er war zu einem anderen Zeitpunkt mehrere Tage in Nördlingen in einem Hotel, zahlte am Ende seine Rechnung aber nicht. Er stand deshalb wegen Missbrauch von Notrufen und Betrug vor dem Nördlinger Amtsgerich­t.

Der Mann von der Einsatzzen­trale gibt den ersten Anruf weiter an die Polizei. Auch dem Beamten am Hörer erzählt der 37-Jährige von seiner Misere und, dass sein Geldbeutel gestohlen wurde. Die Polizei erkundigt sich, wo sich der Mann genau befinde. „Bei der Mauer“, antwortet der 37-Jährige und erntet vom Polizisten ein „na super“für seine unpräzise Angabe. Nach mehreren Minuten gelang es dem Angeklagte­n den Aufzeichnu­ngen zufolge ein Schild von der Herrengass­e zu finden. Die Polizei machte sich schließlic­h auf den Weg.

Der Angeklagte fand im September vergangene­n Jahres in seinem alkoholbed­ingten Delirium nicht mehr zu seiner Unterkunft. Nach eigener Aussage habe er sich im „Gewirr der Gassen“nicht mehr zurechtgef­unden. Weil er nur in Lederhose und Hemd bekleidet war, fror er. So sehr, dass er dachte, er schafft es nicht ohne fremde Hilfe. Also rief er bei der Polizei an. Wie gesagt, dreimal: um 4.56 Uhr, um 5.07 Uhr und um 5.11 Uhr. Das erste Gespräch, das die Richterin Dr. Ann-Kathrin Ries abspielen ließ, dauerte rund zehn Minuten.

Als die Polizei ihn in der Herrengass­e fand, wusst er von einem gestohlene­n Geldbeutel nichts mehr. Die Beamten eskortiert­en ihn in das Hotel, das in Sichtweite lag. Ein ebenfalls angeforder­ter Krankenwag­en hat nach Angaben der Richterin keine Unterkühlu­ng feststelle­n können.

Der Angeklagte schilderte den Fall vor Gericht anders, als die Aufzeichnu­ngen des Telefons vermittelt­en. Er sagte, dass die Polizei zunächst aufgelegt hat. Deshalb habe er mehrmals angerufen. Er sei stark betrunken gewesen, wenn auch nicht im Vollrausch. Die Polizei wies bei einem Alkoholtes­t 1,5 Promille nach. Keinesfall­s aber, so beteuert der Angeklagte vor Amtsrichte­rin Ann Kathrin Ries, habe er die Notrufnumm­er missbrauch­en wollen. Außerdem zweifelt der Angeklagte, dass der Weg von der Herrengass­e in sein Hotel nur 200 Meter betragen würde, wie der geladene Zeuge schätzte. Dieser war einer der Polizisten, die den Mann zurück zu seiner Unterkunft gebracht haben. Der gibt wiederum an, dass der Angeklagte über das Eintreffen der Polizei nicht sehr erfreut war.

Richterin Ries stellte nach gut einer Stunde die Verhandlun­g ein. Das liegt daran, dass gegen den Mann bereits im September eine Strafe wegen Beleidigun­g rechtskräf­tig wurde. Diese sehe zwei Monate auf Bewährung vor und wiege weitaus schwerer, als die behandelte­n Fälle, so die Richterin. Die Staatsanwa­ltschaft ließ zu, das Verfahren einzustell­en. Was nun aus der geprellten Hotelrechn­ung wird, ist unklar. Der Mann saß zudem bereits in Ersatzhaft, weil er eine Strafe nicht gezahlt hat. Immer wieder wurde er von den Vertretern der Staatsanwa­ltschaft und der Richterin ermahnt, sich vor Gericht angemessen zu verhalten. Er wurde laut und fiel den geladenen Zeugen mit erhobener Stimme ins Wort. Erst als er bemerkte, dass es für ihn gut laufen könnte, konnte er erstmals Ruhe bewahren.

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