Bierflasche über den Kopf gezogen
Eine Feier in einer Nördlinger Asylunterkunft eskaliert. Der Vorfall liegt Jahre zurück und konnte erst jetzt verhandelt werden, weil der Angeklagte verschwunden war
Die Feier in einer Nördlinger Asylunterkunft war zunächst friedlich. Es floss Wein aus Tetrapacks, es gab Tee – und plötzlich stand ein junger Mann mit blutüberströmten Gesicht da. Scheinbar aus dem Nichts zog ihm sein mittlerweile 49-jähriger Mitbewohner eine volle, ungeöffnete Bierflasche über den Kopf. Er verfehlte nur knapp das Auge.
Der Vorfall liegt bereits gut fünf Jahre zurück. Denn der Angeklagte verschwand aus der Nördlinger Unterkunft. Erst im Februar dieses Jahres legten ihm Polizeibeamten in Königswusterhausen bei Berlin Handschellen an. Nun musste er sich vor dem Nördlinger Amtsgericht wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und wegen eines Diebstahls verantworten.
Das 35-jährige Opfer berichtet von dem Julitag 2012, ein Freund habe zu einer Feier eingeladen. Eine Gruppe Männer habe über Gospelgesang geredet, da sie gemeinsam musizierten. Der Angeklagte, ein Landsmann, saß in der Nähe. Wie der 49-Jährige selbst sagt, habe die Gruppe schlecht über ihn geredet.
Der Angeklagte habe ihn plötzlich gefragt, was „mit ihm nicht ganz richtig“sei, berichtet dagegen der 35-Jährige. Kurze Zeit später sei der andere mit der Bierflasche aufgestanden und habe sie auf seinem Kopf zerschlagen. Der 35-Jährige musste mit Platzwunden und Schnitten nahe des Auges ins Nördlinger Krankenhaus gebracht werden. Noch heute leide er an den Schmerzen und dem Jucken der Narbe, sagte der 35-Jährige vor Gericht. Er sei zudem in psychologischer Behandlung, weil er Angstzustände habe.
Ein weiterer Zeuge sagte aus, dass keiner verstehen konnte, weshalb ihr Freund plötzlich ausgerastet sei. Weil sie alle aus dem gleichen Land nach Deutschland geflohen seien, bezeichneten sie sich sogar als Brüder. Es habe zuvor nie Auseinandersetzungen gegeben. Und der Zeuge sagte, dass sich der Angeklagte gleich nach der Tat entschuldigen wollte, weil er seinen Fehler bereute. Der 49-Jährige zeigte sich geständig, konnte sich aber ebenfalls nicht erklären, warum er mit der Bierflasche zugeschlagen hatte.
Richterin Andrea Eisenbarth wollte nicht nur klarstellen, wie es zu der Gewalttat gekommen ist. Sie fragte den Angeklagten zudem, wo er all die Jahre abgeblieben sei. Der Angeklagte sagt, er habe zunächst in Italien gearbeitet. Von dem ursprünglichen Termin am Amtsgericht habe er gewusst, ihn aber vergessen. 2014 sei er nach Deutschland zurückgekehrt und habe in einem Berliner Asylbewohnerheim ein Zimmer bezogen. In der Hauptstadt habe er als Elektroinstallateur weitergearbeitet. Aus Angst vor einer Abschiebung habe er sich nicht bei der Richterin gemeldet. Deswegen habe er Polizeibeamten auch weismachen wollen, dass er nicht der gesuchte Mann sei. Erst mit einem Abgleich von Narben und Tattoos konnte er noch einmal mehrere Monate später festgenommen werden.
Der Angeklagte sitzt seit Ende März in Untersuchungshaft und wird auch vorerst nicht auf freien Fuß kommen. Denn Richterin Eisenbarth verhängte eine Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Die geschlossene Bierflasche entspreche laut Gesetzeslage einem gefährlichen Werkzeug, sagte sie zur Begründung. Die Richterin sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte „ohne Anlass von einem Moment auf den anderen“dem Opfer die Flasche über den Kopf gezogen und ihm damit erhebliche Verletzungen zugefügt habe. Zwar sei die Sehkraft nicht gefährdet, der 35-Jährige bleibe aber dauerhaft beeinträchtigt. In der Strafe eingeschlossen ist auch die Strafe für zwei gestohlene Smartphonehüllen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Eisenbarth zeigte sich erstaunt über die positive Sozialprognose, die sowohl der Vertreter der Staatsanwaltschaft als auch Verteidiger Sven Gaudernack sahen. Immerhin habe sich der Mann verschiedene Identitäten erschlichen, für was die Ausländerbehörde wohl wenig Verständnis haben werde.
Noch heute Angstzustände