Rieser Nachrichten

„Alles geht, aber eben nur anders“

Mit Multipler Sklerose gilt es, sich zu organisier­en. Wie Betroffene mit der Krankheit umgehen

- VON RONALD HUMMEL

Heute ist der neunte Welt-Multiple-Sklerose-Tag, um auf die weltweit vorkommend­e heimtückis­che, chronisch-entzündlic­he Erkrankung des zentralen Nervensyst­ems aufmerksam zu machen. Moni Stöcklein, die Vorsitzend­e der Nördlinger MS-Selbsthilf­egruppe „Durchblick“, erläutert aus ihrer Sicht das diesjährig­e Motto „Alles geht, aber eben nur anders“.

Dass bei diesem Motto die Lebensqual­ität im Vordergrun­d steht, deckt sich mit dem Hauptziel der Selbsthilf­egruppe, die nicht die Krankheit, sondern das Leben drumherum im Fokus habe. So könne man um so besser mit MS leben, je besser man seine Organisati­on danach ausrichte, wie sie am Beispiel der Computerar­beit darlegt: „Da MS oft mit Störungen der Wahrnehmun­gsfähigkei­t einhergeht, kann man sich in der Regel nur für begrenzte Zeit auf den PC-Bildschirm konzentrie­ren.“Also gelte es, am kritischen Zeitpunkt auf andere Aufgaben überzuwech­seln: Computerar­beit – Post im Haus verteilen – Computerar­beit – einen vorab gezielt festgelegt­en Besprechun­gstermin einlegen – Computerar­beit – eine Besorgung machen – Computerar­beit – Augen-Entspannun­gspause.

Eine weitere grundlegen­de Art, den Alltag zu meistern, ist laut Moni Stöcklein, Alltäglich­es anders wahrzunehm­en: „Man kann aus der Not eine Tugend machen und die kleinen schönen Dinge bewusster aufnehmen.“Sie nennt es die Kaffeebohn­en-Strategie: Man stelle sich Kaffeebohn­en in der linken Hosentasch­e vor – für jeden guten Kaffee, jeden Kuchen, jedes angenehme Gespräch, jeden Gefallen, den man jemandem erwiesen oder bekommen hat, soll man im Geiste eine Bohne in die rechte Tasche umschichte­n; wenn man will, kann man es auch real tun. Bald wird einem klar, dass es kaum „schlechte Tage“gibt und sich andauernd Plus-Punkt-Bohnen anhäufen. Mit dieser optimistis­chen Grundhaltu­ng kann man auch größere Vorzeichen verändern: „Der Rollator ist dann kein Fluch der Krankheit mehr, sondern bedeutet Freiheit und Mobilität; man kann damit Spaziergän­ge machen und zu schönen Orten oder Freunden gelangen, die sonst nur schwer zu erreichen wären.“

Ein topaktuell­es Beispiel für einen gut durchorgan­isierten, glücklich empfundene­n Tag ist der heutige Ausflug der Selbsthilf­egruppe nach Gunzenhaus­en, wo man sich mit einer befreundet­en Gruppe trifft. Bei derlei Unternehme­n gilt es, Rollator und Rollstuhl zu berücksich­tigen, Wege zeitlich so zu planen, dass auch die Langsamere­n mitkommen. Generell sollten Vorträge oder Führungen nicht länger als eine Stunde dauern, weil dann oft die Konzentrat­ion nachlässt. Beim Kaffee gießt man ohne große Worte denen ein, die ihn vielleicht verschütte­n würden; bei Unterhaltu­ngen spricht man automatisc­h langsam und deutlich mit denen, die krankheits­bedingt Aufnahmepr­obleme haben. Man kennt sich eben, und das gibt in der Gruppe das gute Gefühl, zu sehen, dass man nicht allein oder gar stigmatisi­ert ist mit seiner Krankheit. „Man ist kein Außenstehe­nder, sondern in einem geschützte­n Rahmen zusammen mit Gleichgesi­nnten.“

Vergangene­s Jahr war es zwanzig Jahre her, dass „Durchblick“gegründet worden war, bei einer ständigen Mitgliedsc­haft von rund einem Dutzend Personen sind immer noch fünf Gründungsm­itglieder dabei. Im Herbst will die für ihre Rührigkeit auch außerhalb der Gruppe in einem großen Freundeskr­eis bekannte Moni Stöcklein eine eigene Gruppe für junge Neuerkrank­te zwischen 20 und 45 Jahren gründen. Wer Interesse hat, kann bei ihr unter Telefon 09081/1213 oder bei Andrea Uhl unter 09082/3839 anrufen.

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Foto: Hummel Moni Stöcklein leitet die MS Selbsthilf­egruppe „Durchblick“pragmatisc­h nach ihrem Motto „MS heißt: Mach´s selbst“.

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