Tränen nach dem Schuldspruch
Das Gericht ist trotz fehlender Beweise überzeugt, dass Timo B. seine Mutter so massiv geschlagen hat, dass sie an den Verletzungen starb und verurteilt ihn zu neuneinhalb Jahren Haft
Als alles vorbei ist, kommen die Tränen. Die Richterin hat den Saal schon fast verlassen, die Zuhörer und die meisten Pressevertreter auch. In diesem Moment bricht die Enttäuschung von Timo B. durch und er weint hemmungslos. Bis zuletzt hatte er beteuert, dass er seine Mutter Michaela B. nicht getötet hat. Doch das Landgericht Augsburg glaubt ihm nicht.
Die Vorsitzende Richterin Susanne Riedel-Mitterwieser und ihre Kollegen der Schwurgerichtskammer Augsburg sprechen den 22-Jährigen gestern Nachmittag schuldig. Sie sind überzeugt, er hat seine Mutter mit mindesten neun Schlägen oder Tritten so sehr verletzt, dass sie schließlich daran gestorben sei.
Wegen fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge wird er zu neun Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Damit folgte das Gericht nahezu dem Antrag der Staatsanwältin Martina Neuhierl, die am Montag zehn Jahre Haft gefordert hatte. Seine Verteidiger hin- gegen haben bereits angekündigt, das Urteil anzufechten. „Aus unserer Sicht ist das ein falsches Urteil, denn wesentliche Punkte der Entlastung hat das Gericht nicht beachtet“, sagte Anwalt Bernd Scharinger.
Tatsächlich konnte sich das Gericht nicht auf eindeutige Beweise stützen, sondern begründet seinen Schuldspruch mit „der Gesamtschau der Indizien, die keinen anderen Schluss zulassen, als dass der Angeklagte der Täter ist“.
An neun Verhandlungstagen wurden dutzende Zeugen gehört, zahlreiche Sachverständige beurteilten die Blut- und DNA-Spuren am Tatort und an der Toten. Sie war am 3. August 2016 in der mit dem Sohn geteilten Wohnung in der Berger Vorstadt an ihrem eigenen Blut erstickt. Timo B. selbst hatte gegen Mittag den Notruf gewählt, er habe seine Mutter leblos gefunden.
Die Richter zeigten sich über- zeugt, dass Timo B. nicht noch einmal ertragen wollte, dass seine psychisch kranke Mutter die Pläne für sein eigenes Leben durchkreuzt. Studium, Wohnung, Freundin – das alles sei durch Michaela B. und ihre erneute Verweigerung, sich medizinische Hilfe zu holen, gefährdet gewesen. „Sie wollten ihre Mutter nicht töten, aber sie hat mit ihrem Verhalten einen Ablauf in Gang gesetzt, den sie nicht mehr unter Kontrolle hatten“, sprach die Richterin den Angeklagten direkt an.
Es habe in dem WC-Raum ein „heftiges Kampfgeschehen“gegeben – das belegten die ausgehebelte Toilette und die Abwehrspuren am Körper der Toten. Der Sohn habe die anfangs noch stehende, später zu Boden gehende Michaela B. massiv geschlagen oder getreten. Danach habe er sie liegen lassen und nicht erkannt, dass die Verletzungen ihren Tod bedeuten. Später habe er noch versucht, mit Lappen die Spuren wegzuwischen. Auch das ist für das Gericht ein wichtiger Hinweis, denn ein Fremder hätte versucht den Tatort zu verlassen – aus Angst entdeckt oder gehört zu werden.
Dass Timo B. selbst keine Verletzungen oder Blutspritzer auf der Kleidung hatte, sei kein Grund an seiner Schuld zu zweifeln. „Wir sind überzeugt, sie haben ihre Kleidung entsorgt“, so Mitterwieser. Dafür sei genug Zeit gewesen.
Für die Thesen der beiden Verteidiger Bernd Scharinger und Florian Engert, die 42-Jährige habe eine neue Bekanntschaft geschlossen und somit den Täter selbst in die
Neun Verhandlungstage, dutzende Zeugen Richterin: Gefühlsausbrüche waren nicht echt
Wohnung gelassen, sei „lebensfremd“.
Alle weiteren „Alternativtäter“seien abgeklärt und diese hätten „lückenlose Alibis.“Somit bleibe nur ein Schluss: „Nur der Angeklagte hatte Zugang zur Wohnung und kein Alibi. Er ist der Täter.“Die Richterin machte auch klar, dass sie Timo B. die Gefühlsausbrüche für „eher inszeniert“halte: „Sie haben auf Knopfdruck geweint. Es ist ja bekannt, dass sie ein guter Schauspieler sind.“