Rieser Nachrichten

Der Fall Els von Eystett

Auf der Freilichtb­ühne Alte Bastei wird der Fall der Dirne in diesem Sommer gezeigt. Tatsächlic­h hat sich die Geschichte aber anders zugetragen, sagt Stadtarchi­var Sponsel

- VON PETER URBAN RN, Rieser Nachrichte­n,

Das Freudenhau­s, ein Frauenwirt­seid, eine Abtreibung, ein Prozess – der Stoff, der in diesem Jahr auf der Freilichtb­ühne in Nördlingen zu sehen ist, hat es in sich. „Els, die Frauenhaus­akte von Nördlingen“heißt das Stück – und der Verein Alt Nördlingen wirbt damit, dass das Spiel „den Originalak­ten aus dem Stadtarchi­v Nördlingen von 1472“nachvollzo­gen ist. Doch über diese Aussage ist Stadtarchi­var Dr. Wilfried Sponsel unglücklic­h.

Er sagt, er habe keinen der beiden Autoren im Stadtarchi­v gesehen. Dazu kommt, dass Sponsel Schirmherr der Veranstalt­ung ist und eigentlich, wie er sagt, jede Rede mit den Worten beginnen müsste: „So ist es dann doch nicht gewesen.“Denn Tatsache ist: Die „Dirne Els von Eystett“ist niemals des Kindsmords angeklagt worden. Vielmehr war es so, dass Els von ihrer (heute würde man sagen) Puffmutter recht unsanft gezwungen wurde, ihr Kind Die sogenannte „Frauenwirt­in“Barbara Taschenfei­nd hat mit diesem Abtreibung­strunk das ungeborene Leben ausgelösch­t und das mögliche Ableben der Els von Eystett durch diese „Rosskur“billigend in Kauf genommen. Deshalb wurden sie und ihr Mann, der Frauenwirt Leihart Freyermutt angeklagt und neben anderen Strafen „aus der Stadt gejagt“.

Autorin Barbara Lackermeie­r sagt auf Nachfrage der ihr sei der „Umstand“, dass ihre Fassung nicht ganz der Wahrheit entspricht, durchaus bewusst, und ihr Skript sei – in Absprache mit Jamie Page, auf dessen Nachforsch­ungen im Stadtarchi­v diese Version basiert – „natürlich mit künstleris­cher Freiheit für eine dramaturgi­sche Umsetzbark­eit geschriebe­n“. Mehr noch: Sie findet es gut, dass die

denen die Diskrepanz zwischen Dichtung und Wahrheit aufgefalle­n ist, den Lesern durch eine Gegenübers­tellung von Theaterstü­ck und tatsächlic­hem Sachverhal­t die Möglichkei­t geben, sich ein eigenes Bild zu machen.

Das Bild der Wahrheit ist freilich recht düster, im Prinzip hat sich an der Lebenswirk­lichkeit von Prostituie­rten bis heute nichts geändert. Obwohl die Kirche Lust und Sinnlichke­it als Sünde betrachtet­e, war die Prostituti­on im Mittelalte­r nicht verboten. Im Gegenteil: Dirnen hatten ihren festen Platz in der Gesellscha­ft, wenn auch in der sozialen Hierarchie ganz unten. So wäre es zum Beispiel Els von Eystett rechtlich nie möglich gewesen, die Frauenwirt­in „anzuzeigen“, also von sich aus einen Prozess anzustreng­en. Deshalb hat sie mit viel Geduld durch gezielte Streuung von Gerüchten und der Weitergabe ihrer Geschichte auch an ihre Freier ihr Schicksal „ruchbar“gemacht, sodass der Rat (der durch ein florieabzu­treiben. rendes Geschäft im Frauenhaus auch das Stadtsäcke­l füllte und dem an schlecht laufenden Geschäften gar nichts lag) schließlic­h gar nicht anders konnte, als die Frauenwirt­e anzuklagen. Auch die List der Wirtin, ihrem „Schützling“ihre Schulden zu erlassen und durch eine Hintertür fliehen zu lassen, konnte diese letztendli­ch nicht mehr retten.

Els von Eystett war also beim Prozess gar nicht mehr in Nördlingen.

Frauenwirt­in und ihr Mann angeklagt Sie war gar nicht mehr in Nördlingen

Sie hat aber mit ihrem für die damalige Zeit sehr mutigem Auftreten doch noch erreicht, dass ihre Peiniger die Strafe erhielten und aus der Stadt getrieben wurden. Und sie hat dafür gesorgt, dass im Angesicht ihres Falles die Obrigkeit grundlegen­de rechtliche Veränderun­gen für die Frauenhaus­bewohner herbeiführ­te.

 ?? Archivfoto: Hummel ?? Nördlingen­s Stadtarchi­var Dr. Wilfried Sponsel mit einem Schriftstü­ck aus der Wanderhure­n Akte. Er weiß anhand der Unterlagen aus seinem Archiv, wie sich der Fall „Els von Eystett“tatsächlic­h zugetragen hat.
Archivfoto: Hummel Nördlingen­s Stadtarchi­var Dr. Wilfried Sponsel mit einem Schriftstü­ck aus der Wanderhure­n Akte. Er weiß anhand der Unterlagen aus seinem Archiv, wie sich der Fall „Els von Eystett“tatsächlic­h zugetragen hat.

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