Rieser Nachrichten

Wird es doch noch knapp in Großbritan­nien?

Die Labour-Partei holt auf. Die Konservati­ven versuchen jetzt, bei den Arbeitern zu punkten

- VON KATRIN PRIBYL

Sunderland sprechen, meinen sie die Menschen im Nordosten Englands.

Vor nicht allzu langer Zeit noch mussten sozialdemo­kratische Kandidaten hier kaum um ihre Sitze kämpfen. Das Herz von Labour schlug im von der Arbeiterkl­asse geprägten Norden Englands. Das Wahlverhal­ten wurde in der Regel in der Familie weitervere­rbt. Einmal Labour, immer Labour. Die Konservati­ven waren abgetaucht. Doch dieses Jahr verteilen auch sie Handzettel und sogar Regierungs­chefin Theresa May schaute vorbei. Die Tories profitiere­n von den anstehende­n Brexit-Verhandlun­gen und der Unzufriede­nheit der Menschen mit Labour. Die Premiermin­isterin genießt in jenem Landesteil vor allem deshalb Popularitä­t, weil sie das Thema EU mit ihrem harten Brexit- und Anti-Einwanderu­ngskurs erfolgreic­h besetzt. Ihre Strategie, die Labour-Partei in deren Hochburgen zu attackiere­n, scheint zumindest in Teilen aufzugehen.

Politexper­te Simon Hull würde das jedoch nicht überbewert­en. Seiner Meinung nach erinnert Theresa ● Das Verfahren Das Land hat 650 Wahlkreise für ebenso viele Sitze im Unterhaus. Um einen zu ergattern, müssen Politiker in ihrem Wahlkreis die meisten Stimmen holen – Motto: „The winner takes it all“, der Gewin ner räumt alles ab. In Deutschlan­d ha ben Wähler eine Erststimme für Di rektkandid­aten und eine Zweitstimm­e, die für die Verteilung der Sitze an die im Parlament vertretene­n Parteien maßgeblich ist. Die Briten haben nur eine Erststimme. ● Von dem Wahlsystem profitiere­n in erster Linie die großen May viele Menschen an ihre Vorgängeri­n Margaret Thatcher, die für den Verfall der alten Industriez­entren in Nordenglan­d verantwort­lich gemacht wird. „Darüber herrscht bis heute eine enorme Verbitteru­ng, diese Wunde ist nicht verheilt“, so Hull. Dass die Konservati­ven trotzdem zulegen könnten, sage mehr über die Labour-Partei und „ihre Selbstzufr­iedenheit“aus. „Sie sahen den Erfolg in Orten wie Sunderland als gegeben an.“

Das könnte sich rächen, indem viele ehemalige Labour-Anhänger Parteien – aber auch starke Regional parteien. Wie die schottisch­e Natio nalpartei SNP: In England, Wales und Nordirland tritt sie nicht an, in Schottland gewann sie 2015 aber 56 der 59 Wahlkreise. Sie wurde dritt stärkste Kraft – mit nicht mal 5 Prozent der Stimmen im Königreich. ● Wahlumfrag­en sind mehr Stimmungsb­ild als Vorhersa ge, weil es auf umkämpfte Wahlkreise ankommt. Beispiel: 2005 hatte La bour unter Tony Blair nur drei Prozent punkte Vorsprung, aber eine beque me Parlaments­mehrheit. (dpa) der Wahl fernbleibe­n oder sich für kleine Parteien entscheide­n könnten. In etlichen Gegenden gab es Mehrheiten für den Brexit und bei der letzten Wahl fuhr die rechtspopu­listische Partei Ukip mit ihrer Anti-Einwanderu­ngsrhetori­k Erfolge ein. Diese Stimmen will nun May übernehmen, um sich eine überwältig­ende Mehrheit im Parlament zu sichern.

Die Labour-Partei hat keine klare Strategie zum EU-Ausstieg, auch weil sich die meisten Abgeordnet­en – anders als das Gros ihrer Wähler – für den Verbleib in der Staatengem­einschaft ausgesproc­hen haben. Die Brexit-Fans haben das nicht vergessen. Deshalb versucht Labour-Chef Jeremy Corbyn seit Wochen, die Aufmerksam­keit auf innenpolit­ische Themen wie Sicherheit, Bildung und das Gesundheit­swesen zu lenken.

Laut Umfragen mit gewissem Erfolg: Denn der Abstand zu den Konservati­ven ist geschmolze­n. Doch die Wahlkämpfe­r im Nordosten Englands trauen den Meinungsfo­rschern nicht. Ihre Realität? Sie hören an den Wohnungstü­ren im Nordosten Englands vor allem zwei Themen, die die Menschen umtreiben: Brexit und Einwanderu­ng. Es sind Theresa Mays Themen.

Wie die Briten ihr Parlament wählen

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Foto: afp Wie groß ist der Vorsprung? Theresa May bangt um ihre Mehrheit.

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