Rieser Nachrichten

Frankreich­s neuer starker Mann muss jetzt rasch liefern

Macron hat das alte System ausgehebel­t und hält alle Macht in Händen. Jetzt kommen die Mühen der Ebene. Wie Deutschlan­d dem Reformer helfen kann

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Frankreich erlebt eine historisch­e Zäsur. Das alte Parteiensy­stem ist zerstört, die traditione­llen Regierungs­parteien sind abgewählt. Es ist, als ob in Deutschlan­d CDU/CSU und SPD auf einen Schlag marginalis­iert und in die Opposition geschickt würden. Der neue starke Mann der Fünften Republik, Präsident Emmanuel Macron, hat mit seiner erst 2016 gegründete­nBewegung „EnMarche“auch die absolute Mehrheit in der Nationalve­rsammlung erobert und hält nun alle Macht in Händen.

Macron wird in die Geschichte eingehen als jener charismati­sche junge Mann, der aus dem Nichts aufgetauch­t ist, die alten politische­n Eliten davongejag­t und das Gespenst einer extremisti­schen Machtübern­ahme verscheuch­t hat. Ob er seine Verspreche­n einhalten und die tief gespaltene, von wirtschaft­lichem Niedergang geplagte Nation tatsächlic­h von Grund auf erneuern kann, müssen die nächsten Jahre zeigen. Der Soziallibe­rale hat ein Programm, das an Gerd Schröders Agenda erinnert – und freie Hand, um es per Dekret umzusetzen. Macron kann es schaffen, wenn er beherzt loslegt und mit der Lockerung des starren Arbeitsrec­hts die erste Feuertaufe besteht. Doch bergen die Mühen der Ebene, die der Überfliege­r nun betritt, auch die Gefahr des Scheiterns.

Die Zustimmung der Bevölkerun­g zum Kurs Macrons ist bei weitem nicht so stark, wie es die dank des Mehrheitsw­ahlrechts errungene satte Mehrheit vermuten lässt. Die niedrige Wahlbeteil­igung von zuletzt 43 Prozent zeugt auch von einiger Skepsis über die Künste des Wunderheil­ers. Millionen Franzosen halten es weiter mit den radikalen Parteien von rechts und links, die für den Augenblick besiegt sind, doch über ein Potenzial von weit über 40 Prozent verfügen. Im Parlament wird Macrons Wort – fürs Erste jedenfalls – Gesetz sein; im Land wird er auf erbitterte­n, auch auf der Straße geleistete­n Widerstand stoßen.

Macron will, vereinfach­t gesagt, Frankreich aus den Fesseln eines übermächti­gen, überreguli­erten, überschuld­eten Staats befreien und so die Wirtschaft in Schwung bringen – mit frischem, ihm ergebenem Führungspe­rsonal aus der Mitte der Gesellscha­ft. Die Mehrheit der Franzosen hingegen verabschie­det

Ein Neustart der EU gelingt nur gemeinsam

sich nicht über Nacht vom klassische­n französisc­hen Etatismus, der im starken und ausgabefre­udigen Staat das Heil erblickt. In diesem Richtungss­treit steckt gewaltiger Konfliktst­off.

Macron wird rasch liefern müssen, neue Jobs vor allem. Nicht nur, um sein Volk von den Vorteilen des Aufbruchs zu überzeugen. Rasche Erfolge zeugten auch von der Bereitscha­ft Frankreich­s, sich am eigenen Schopf aus dem Schlamasse­l zu ziehen. Ganz Europa muss an der Genesung Frankreich­s gelegen sein – erst recht den Deutschen, die die krisengesc­hüttelte EU nur im Bunde mit dem überzeugte­n Europäer Macron stabilisie­ren können. Doch ehe Deutschlan­d Macron zur Seite springt, muss Paris seinen Reformwill­en dokumentie­ren.

Macrons Pläne für ein Euro-Budget und einen europäisch­en Finanzmini­ster gehen zu weit, als dass sich Angela Merkel darauf einlassen könnte – sie laufen ja auf eine Schulden- und Transferun­ion, noch mehr Macht für Brüssel und eine weitere Aushöhlung nationaler Kompetenze­n hinaus. Aber es gibt Mittel und Wege, um Macron den Job zu erleichter­n – zum Beispiel mit einem Investitio­nsfonds. Der dringend benötigte Neustart der in sich zerstritte­nen EU kann nur gelingen, wenn Deutschlan­d und Frankreich an einem Strang ziehen. Eine enge Kooperatio­n ist in Zeiten von Brexit, Flüchtling­sund Eurokrise sowie wachsender sicherheit­spolitisch­er Herausford­erungen und eines irrlichter­nden USPräsiden­ten dringender denn je.

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