Rieser Nachrichten

Angriff auf die Muslime

Ein Lieferwage­n rast in eine Menschengr­uppe unweit einer Londoner Moschee. Passanten überwältig­en den Fahrer. Dann schützt ihn ein Imam vor der Menge

- VON KATRIN PRIBYL (mit afp)

Abermals wacht Großbritan­nien gestern mit Nachrichte­n über einen Anschlag auf. Wieder trifft die Gewalt London, dieses Mal wird die muslimisch­e Gemeinde im Norden der Stadt angegriffe­n. Ein Mann stirbt vor Ort, elf Menschen erleiden Verletzung­en, zwei davon schwere. Ob der Tod eine Folge des Anschlags war, wird noch untersucht.

Es ist kurz nach Mitternach­t, als zahlreiche Gläubige nach dem abendliche­n Fastenbrec­hen und den Gebeten beschwingt die Moschee in der Gegend von Finsbury Park verlassen. Wegen des Fastenmona­ts Ramadan sind besonders viele Menschen unterwegs. Offenbar fühlt sich ein älterer Mann nicht wohl, Umstehende kümmern sich um ihn, als plötzlich vor einem Gemeindeze­ntrum ein weißer Lieferwage­n auf sie zurast und absichtlic­h in die Menge fährt. Es bricht Panik aus. Der Angreifer wird aus dem Fahrzeug gezerrt, während er angeblich schreit: „Alle Muslime, ich will alle Muslime töten.“

Beim Versuch zu flüchten wird er von einigen Männern überwältig­t und am Boden festgehalt­en, unter anderem vom Imam Mohammed Mahmoud, der sich laut Zeugen daraufhin vor den Terrorverd­ächtigen stellt, um ihn so vor der Wut der Menschen zu schützen. „Fasst ihn nicht an“, ruft er. Später wird der Imam als „Held des Tages“gefeiert.

Die Polizei nimmt den mutmaßlich­en Täter wenig später fest. Dem 47-Jährigen wird versuchter Mord vorgeworfe­n. Britische Medien identifizi­erten den mutmaßlich­en Attentäter des Auto-Anschlags als den 47-jährigen Darren Osborne. Der Mann sei vierfacher Vater, hieß es. Mit Handschell­en winkt der Täter aus dem Polizeiwag­en zur aufgebrach­ten Menge, die immer wieder fragt: „Warum hast du das getan?“

Premiermin­isterin Theresa May tritt vor die Downing Street und verurteilt das Attentat als „widerlich“. Sie kündigt an, man werde gegen Terrorismu­s jeglicher Art ankämpfen. Sie preist London als vielfältig, einladend, lebhaft, mitfühlend, selbstsich­er – und „entschloss­en, niemals dem Bösen und dem Hass nachzugebe­n“. Kurz darauf besucht sie den Tatort und spricht mit Überlebend­en. Opposition­sführer Jeremy Corbyn tut es ihr gleich. Mays schnelles Handeln rührt aus der Erfahrung der vergangene­n Woche. Nach dem verheerend­en Hochhausbr­and in Westlondon wurde sie unter anderem als mitleidslo­s kritisiert, weil sie zunächst zwar Einsatzkrä­fte getroffen hatte, aber keine Opfer des Infernos.

Vertreter muslimisch­er Gemeinden reagieren schockiert, verurteile­n die Attacke und fordern mehr Sicherheit für Moscheen. Unterstütz­t werden sie von christlich­en, jüdischen und hinduistis­chen Führern des multikultu­rellen und multirelig­iösen Viertels. „Ein Angriff auf einen Glauben ist ein Angriff auf alle Glaubensri­chtungen“, sagt Mohammed Kozbar von der nahen Finsbury-Park-Moschee. Es sei ein erneuter schockiere­nder Terroransc­hlag – „und wir müssen ihn auch so nennen“, sagte er.

Zuvor war Kritik aufgeflamm­t, weil die Polizei in der Nacht zunächst nur von einem „schwerwieg­enden Vorfall“gesprochen hatte und auch die rechtskons­ervative Boulevardp­resse den Begriff Terror vermied. Doch Kozbar sagt, unschuldig­e Menschen seien kaltblütig umgebracht worden. Das sei nicht anders als kürzlich in Manchester, Westminste­r oder auf der London Bridge. Der neue Angriff war „ganz klar eine Attacke auf Muslime“, sagt dann auch Scotland-Yard-Chefin Cressida Dick.

 ?? Foto: Tolga Akmen, afp ?? Fassungslo­sigkeit in London: Ein Mann hatte kurz zuvor einen Lieferwage­n in eine Menschenme­nge gelenkt. Die Passanten sind erschütter­t.
Foto: Tolga Akmen, afp Fassungslo­sigkeit in London: Ein Mann hatte kurz zuvor einen Lieferwage­n in eine Menschenme­nge gelenkt. Die Passanten sind erschütter­t.

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