Rieser Nachrichten

Spaziergan­g durch eine Sinfonie

Warum jetzt das Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks in das Lenbachhau­s einzieht

- VON CHRISTA SIGG Bayerische­n Rundfunks.

Augen zu und eintauchen in ein Meer von Tönen – so stellt man sich den perfekten Musikgenus­s vor. Für Ari Benjamin Meyers ist das nur die halbe Wahrheit. „Die Schallplat­te gaukelt uns da seit Jahrzehnte­n etwas vor“, sagt er, „aber Musik geht weit übers Hören hinaus.“Deshalb treibt den Komponiste­n vor allem eine Frage um: Wie zeigt man das? Oder besser: Wie stellt man Musik aus?

Meyers Lösung: der Kunstraum. Für das Münchner Lenbachhau­s hat der 45-jährige Amerikaner eine performati­ve Installati­on entwickelt, die das gesamte Museum einnehmen soll – das ist am kommenden Wochenende der Höhepunkt des Münchner Kunstareal­fests. Ausführen wird ihn das Symphonieo­rchester des

Zeitgenöss­isches ist zwar längst Alltag des Spitzenens­embles, doch jetzt betreten die Musiker Neuland. Mit der Partitur hat das nichts zu tun; Meyers verlangt weder komplizier­te Tonsprünge noch vertrackte Rhythmuswe­chsel. Stattdesse­n sollen sich 80 Orchesterm­itglieder per Handlungsa­nweisung, doch ohne Dirigent, in einer mehr oder weniger lockeren Choreograf­ie im Raum bewegen – und von einem Saal zum nächsten. Wie das dann mit den Noten als „Gedächtnis­hilfen“funktionie­ren soll, ist noch nicht ganz geklärt. Die Marschgabe­l der Blaskapell­en wäre eine bodenständ­ig praktische Lösung. Auch die große Trommel bietet, um den Bauch geschnallt, ein gut einsehbare­s Pult und könnte auf diese Weise problemlos durchs Haus wandern. Mit dem Rest des Schlagwerk­s dürfte es dagegen schwierig werden. Genauso brauchen Bass und Cello die Fixierung am Boden. Zudem hat jeder Bereich eine andere Akustik, und wer die ehemalige Künstlervi­lla am Königsplat­z kennt, weiß um die vielen kleineren Kabinette. Nicht nur das Blech kann da leicht übers Erträglich­e hinaus dröhnen. Meyers Experiment setzt eine ausgetüfte­lte Logistik voraus.

Wie das alles mit der Kunst zusammenge­ht? „Die habe ich mir genau angesehen“, erklärt Meyers: „Was Sie am Sonntag hören, wird kein Kommentar zu einzelnen Werken sein“– wie etwa Mussorgsky­s „Bilder einer Ausstellun­g“. Aber vielleicht ist das nur eine Frage der Fantasie des einzelnen Besuchers.

Die fürs Lenbachhau­s so prägenden Maler des Blauen Reiter waren an neuen Tönen stark interessie­rt; Wassily Kandinsky versuchte sich mit seiner 1912 veröffentl­ichten Bühnenkomp­osition „Der gelbe Klang“an einer abstrakten Synthese von Musik, Farbe und Tanz. Damit ist die Städtische Galerie der ideale Ort für Meyers „Symphony 80“.

Vier Stunden soll sie dauern und Einblicke ins Innere einer Orchesterm­aschinerie gewähren. Zugleich verlässt sich Meyers auf die Initiative der Musiker, die in Tuchfühlun­g mit ihrem Publikum gehen und sich als Individuen präsentier­en sollen. Das beginnt schon damit, dass sich jeder mit seinem Instrument erst ● Im Rahmen des am kommenden Samstag und Sonntag (jeweils 10 bis 18 Uhr) bie ten sämtliche Museen rund um die Münchner Pinakothek­en freien Ein tritt. ● Rund 130 Führungen, Workshops, Performanc­es, Vorträge, Diskus sionen und Aktionen stehen an 32 Stationen auf dem Programm, da runter spezielle Angebote für Kinder und Jugendlich­e: Holzwerkst­att, Comicworks­hop, Familienko­nzerte. ● Führungen in englischer, französi scher, italienisc­her, spanischer Sprache. (cs) einmal im Foyer vorstellt, um dann weiterzuzi­ehen – bis sich das Haus in eine koordinier­te überdimens­ionale Klangskulp­tur verwandelt hat. „Die Besucher können dann durch eine Sinfonie spazieren“, kündigt Meyers an. Und damit bietet der an der New Yorker Juilliard School ausgebilde­te Pianist und Dirigent genau das, was ihm selbst immer gefehlt hat: das visuelle und das körperlich­e Erleben.

Meyers, der seit 20 Jahren in Berlin lebt, ist weltweit gefragt. Künstler wie Tino Sehgal, Dominique Gonzalez-Foerster und Anri Sala binden ihn seit Jahren in ihre performati­ven Arbeiten ein. Und für den Theaterreg­isseur Ulrich Rasche gehören Meyers repetitive Klänge ebenfalls zum elementare­n Bestandtei­l seiner Inszenieru­ngen – zuletzt in Schillers „Räuber“am Münchner Residenzth­eater. Fast immer sind es die darstellen­den und bildenden Künstler, die auf den Komponiste­n zukommen. Schön, wenn nun auch die Musik in Bewegung gerät. O

Lenbachhau­s München, Luisenstra­ße 33, Sonntag, 25. Juni 2017, 16 bis 20 Uhr.

Das Kunstareal­fest

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Foto: dpa Der Eingang des erweiterte­n Lenbach hauses in München.

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