Rieser Nachrichten

Kalifornis­che (Alb )Träume

Brian Wilson steht für die Surf-Musik der Beach Boys. Für viele war er das Genie des Albums „Pet Sounds“, für andere ein psychisch abgetakelt­er Oldie-Sänger. Was stimmt nun?

- VON RUPERT HUBER

Augsburg Einmal, als der Fuß ausgerechn­et in einem verwurzelt­en Wald in Maine verknackst war, fiel mir Rhonda ein, die in unserer Reisegesel­lschaft hinter uns ging und einen Stretchver­band dabei hatte. Jetzt zu rufen, „Help Me, Rhonda!“war blöd, weil das mal 1965 ein Riesenhit der Beach Boys war, ich tat es trotzdem, weil Schmerz den Kultcharak­ter des Hits toppte – Rhonda kam, und ihr Fußverband half mir durch den US-Bundesstaa­t.

Später am Abend vor der Lodge erzählte Rhonda, wie oft mit dem Namen Witze auf ihre Kosten gerissen wurden. Aber Beach-BoysMaster­mind Brian Wilson, der auch die Schattense­iten Hollywoods kannte, hatte Rhonda nicht so auf der Peilung, eher zählte die Feststellu­ng, dass die süßesten Mädchen der Welt in Kalifornie­n leben.

Das waren jene, die Papa die Autoschlüs­sel klauten und dann mit der Kiste zur nächsten Hamburgerb­ude abrauschte­n, das Autoradio so aufgedreht, dass es lauter nicht ging. Die Beach Boys dabei allen anderen voran: „Fun, Fun, Fun“– diese Spaßaktion mit dem hinreißend­en Falsett-Gesang von Brian Wilson, bereits vorher mit „Surfin’ USA“die kalifornis­chen Kids auf Kurs gebracht hatte. Das war 1963. Wilson war mittendrin in einer Band, die „Ba-Ba-Ba-BarbaraAnn“sang. Kein Original, aber weltweit mitsingbar. Der junge Mann aus Hawthorne, Kalifornie­n, wollte samt Küstenbran­dung und dem blauen Himmel anderes. Ein Album erschaffen außerhalb des Mainstream­s. Neue Beach Boys gleichsam. Es sollte „Pet Sounds“heißen und wurde nach Meinung verschiede­ner Kritiker eine Art Mustervorl­age für komplex-anspruchsv­olle Songs.

Und es wurde sogar zur besten Pop-Platte aller Zeiten erklärt – noch vor dem Beatles-Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“. Mit Stücken wie der Preziose „Caroline No“oder „God Only Knows“, die eine ganz neue Tonlage in der Popmusik schufen.

Die Lieder ließen einen tief in die Seele des Brian Wilson schauen. Schon im Jahr 1964 hatte er einen Nervenzusa­mmenbruch erlitten. Tourneen interessie­rten ihn nicht mehr. Irgendwie war das ein Glück für den Studio-Bastler in ihm. Weil „Pet Sounds“und die zunächst nur bruchstück­haft veröffentl­ichten Teile des geheimnisv­ollen Kultalbums „Smile“folgten. Was den Klangtüftl­er Wilson nur kurz beeindruck­te, weil kurz darauf die Beatles ihr Album „Revolver“herausbrac­hten und den vor sich hin sinnenden Ober-Beach-Boy wieder einmal in eine Depression stürzten. Kalifornie­n warf immer häufiger Schatten, wurde düster.

Die Depression fing schon an in seiner Jugend, als Vater Murry Wilson, selbst Musiker, musikalisc­h und physisch die Jungs drillte. Brian wie sein Bruder Dennis, der Schlagzeug­er, bekamen häufig Prügel. Offenbar wurde der jüngste der Brüder – alle Mitglieder der Band –, der Gitarrist Carl, verschont. Später wurde Murry aus dem unmittelba­ren Einfluss der Band entfernt. Man kann nur ahnen, welchen Schaden er bei Brian Wilson angerichte­t hat. Vermutlich erhebliche­n.

Worin liegt die Leistung, die Brian für die Geschichte der populären Musik vollbracht hat? Natürlich in den „Smile-Sessions“mit ihrem untrüglich­en Gespür für Melodien und den Möglichkei­ten, die die für Rockmusik ungewöhnli­chen Instrument­e boten: Flöten, Glocken, Theremin, Orgelmusik – und das alles verwoben in ein Gespinst aus Rhythder muswechsel­n. Heraus kam eine großartige Mixtur aus Klangfanta­sien, die zusammen mit den zum Himmel strebenden Vokal-Arrangemen­ts auch heute noch ihresgleic­hen sucht.

Seine Solo-Alben heute sind konservati­v – etwa „In the Key of Disney“. Was nicht überrascht. Der Mann hat ein ausdrucklo­ses, mitunter sogar versteiner­tes Gesicht. Er nahm vor langer Zeit LSD und Kokain, um sich leichter als genialer Klangschöp­fer zu verwirklic­hen. Auch gab es eine Phase, in der er das Meer scheute und stattdesse­n lieber die Füße während des Klavierspi­els zu Hause in den Sandkasten setzte.

Immerhin ist der älteste WilsonBrud­er, der noch immer auf Tour geht und heute irgendwo zwischen Hawaii und Dänemark seinen 75. Geburtstag feiert, noch auf dem Damm. Bruder Dennis ist bereits 1983 ertrunken, Carl Wilson, der die hohe Stimme von Brian übernommen hatte, 1998 gestorben.

Brian Wilson, der überlebend­e Einsiedler. Mit einer brüchigen Stimme, die seine einstigen vokalen Möglichkei­ten nur erahnen lässt. Aber er hält den Zauber aufrecht. An eine anspruchsv­olle Popmusik, die den Alltag sprengt.

 ?? Fotos: Chris Hinkley, Fotolia; Valerie Macon, afp; Montage: ws ?? Für den Kopf der Beach Boys, Brian Wilson, war Kalifornie­n sowohl Segen wie Fluch: Das Lebensgefü­hl von Highways, Freiheit, Eisdielen und Mädchen beflügelte ihn und sei ne Hits; die Drogenszen­e dort verschärft­e seine bereits aus der Jugend stammenden...
Fotos: Chris Hinkley, Fotolia; Valerie Macon, afp; Montage: ws Für den Kopf der Beach Boys, Brian Wilson, war Kalifornie­n sowohl Segen wie Fluch: Das Lebensgefü­hl von Highways, Freiheit, Eisdielen und Mädchen beflügelte ihn und sei ne Hits; die Drogenszen­e dort verschärft­e seine bereits aus der Jugend stammenden...

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