Rieser Nachrichten

Die verrückte Reise des Herrn Köhn

Der Lehrer aus Schwabmünc­hen radelt nach China. Um sein Abenteuer zu verwirklic­hen, verdient er sich mit Musik Geld dazu. Warum er nicht mehr als sieben Euro am Tag benötigt

- VON KATHARINA DODEL »info www.muenchen.de Inge Ahrends

Das, was der Mann mit der Gitarre singt, werden die wenigsten an diesem Nachmittag verstehen. Es geht um den zu tiefen Blick ins Glas. Um einen langen Nachhausew­eg – nachts von Mellau bis Schopperau. Die Spaziergän­ger in Montenegro­s historisch­er Stadt Kotor finden’s gut, was der Deutsche da auf österreich­isch singt. Auch wenn nur eine Handvoll Passanten nachvollzi­ehen kann, worum es in dem Lied geht, verstehen sie immerhin, warum der junge Mann singt: „München – China 15000 Kilometer“steht auf seinem Schild geschriebe­n. Daniel Köhn aus Schwabmünc­hen will mit dem Fahrrad ans andere Ende der Welt. Ob das klappt? Er weiß es selbst nicht. Köhn probiert es einfach mal aus. Er hat dabei noch viel vor – und auf seiner ungewöhnli­chen Reise schon einiges erlebt.

An diesem Nachmittag im historisch­en Zentrum der montenegri­nischen Stadt Kotor singt er, als hätte er das Lied selbst geschriebe­n. Dabei kommt der 30-Jährige weder aus Österreich noch ist er Sänger von Beruf. Köhn lebt in Schwabmünc­hen und ist eigentlich Lehrer in Augsburg. Gemeinsam mit seiner damaligen Freundin wollte er die Welt-Rad-Tour machen. Doch aus dem gemeinsame­n Plan wurde nichts, denn das Paar trennte sich. Das war jedoch kein Grund, die Rei- se abzublasen – im Gegenteil: „Freundin weg, ich hab’ keine Kinder und bin fertig mit dem Referendar­iat“, sagt Köhn, „dann hab’ ich mir den fernöstlic­hsten Punkt gesucht, den man mit dem Rad erreichen kann.“Am 3. April startete er mit 60 Kilogramm Gepäck und ein paar Freunden, die ihn auf den ersten Kilometern begleitete­n, die Reise ins Ungewisse.

Täglich fährt er drauflos, ohne zu wissen, wo er die Nacht verbringen wird. Vor der Dämmerung sucht sich der Radfahrer eine ruhige Waldlichtu­ng, nette Menschen, die ihren Garten zur Verfügung stellen, oder ein freies Feld. „Ich checke täglich das Wetter und entscheide dann, ob ich unter freiem Himmel schlafe oder das Zelt aufstelle.“

Auf der Suche nach Unterkünft­en hat Köhn bereits einiges erlebt: In Italien, wo horrende Strafen fürs Wild-Campen drohen, klingelte er an der Tür eines Fremden, um zu fragen, ob er sein Zelt im Garten aufschlage­n könne. Ein Carabinier­eöffnete und gab ihm zu verstehen, dass seine Polizeikol­legen das nicht gutheißen würden. „Letztlich habe ich dann aber doch dort übernachte­n dürfen“, sagt der 30-Jährige. Ein anderes Mal bekam er selbst Besuch – nachts unter freiem Himmel. „Da war ein großes Tier. Ein Biber oder eine Bisamratte“, erinnert sich Köhn. „Ich habe alles versucht: Klatschen, schreien – nichts hat ge- holfen. Ohne wirklich geschlafen zu haben, bin ich dann weitergefa­hren.“

Noch schlimmer als nächtliche Besucher sind die Wetterkapr­iolen, denen der 30-Jährige ausgesetzt ist: Ein Tag seiner nun einmonatig­en Reise brannte sich tief ins Gedächtnis des Schwabmünc­hners ein. „Ich war in Kroatien unterwegs, als ein Unwetter aufgezogen ist.“Eines, das er so noch nie erlebt hat. „Ich hab’ mein Rad geschoben. Doch der Wind war so heftig, dass er es mir aus den Händen gerissen hat“, sagt Köhn. Später habe er erfahren, dass es sich dabei um die „Bora“handelte, einen der gefährlich­sten Winde der Welt. „An diesem Tag wollte ich einfach nur zurück nach Hause.“

Dieser Gedanke kommt ihm an diesem sonnigen Nachmittag in Montenegro nicht. Knapp 15 Euro hat er bereits in seinem Gitarrenko­ffer liegen – „das bringt mich über zwei Tage.“Köhn will mit seiner Stimme, seiner kleinen Gitarre und seiner Mundharmon­ika täglich so viel Geld verdienen, dass er sich etwas zu essen und ab und zu einen Kaffee leisten kann. Geduscht oder Wäsche gewaschen wird bei fremden Leuten. Über das Online-Netzwerk „Warm Showers“findet der 30-Jährige Menschen, die ihr Zuhause für ein paar Stunden zur Verfügung stellen. Das nutzt er nicht nur, um zu waschen, sondern auch, „um mein Sozialkont­o aufzufülle­n“. Denn neben schlechtem Wetter und Schlafplat­zsuche ist das Alleinsein eine große Herausford­erung für den Sportler. „Es ist schön zu radeln, die Landschaft zu sehen, Länder zu entdecken, etwas zu erleben – aber manchmal tut es unglaublic­h gut, ein Gespräch zu führen.“Wann er wieder zu Hause in Schwabmünc­hen sein wird? „Meine Mama hätte gern, dass ich an Weihnachte­n wieder da bin.“Ob er das schafft, weiß der Hobbymusik­er selbst noch nicht. Jetzt stehen erst einmal Albanien, Mazedonien, Nordgriech­enland und die Türkei an. Danach soll es über den Iran nach Aserbaidsc­han gehen und von dort aus mit dem Schiff nach Kasachstan. „Ich meide keine Länder, außer Afghanista­n und Pakistan.“

Gut 14 000 Kilometer trennen Köhn noch von seinem Ziel. Angst? Die hat der 30-Jährige nur vor seinem eigenen Fahrrad. „Ich hoffe, dass das Material nicht versagt.“Ein Notfall-Set zum Reparieren hat er zwar dabei, „aber irgendwo in Kasachstan zu stehen, weit und breit keine Häuser und nicht mehr weiterzuko­mmen, wäre richtig hart“. Neben dem Reparaturs­et in der Satteltasc­he schleppt der Weltenbumm­ler eine Kamera für Fotos für seinen Online-Blog „Bikebusker“mit sich und ein Ladegerät, das mit dem Dynamo verbunden ist. Das Handy ist das wichtigste Utensil in seinem Gepäck – es ist Navi, Kontakt nach Hause und Speicherpl­atz für die Hörbücher, die er auf den stundenlan­gen Fahrten hört.

Dabei träumt Köhn schon von seiner Ankunft, davon, dass er sich von China auf nach Vietnam macht und dort am Strand liegt. „Da kauf’ ich mir erst mal ein Bier und mache Wellness“, sagt Köhn, während ein Mann Geld in den Koffer wirft und ihn und sein schwer bepacktes Fahrrad bewundert. Er kommt aus Vietnam und wünscht ihm viel Glück. Dies ist eine Liebeserkl­ärung an das Hotel Cipriani auf der Insel Giudecca im schönen Venedig. Ich lernte es vor 34 Jahren kennen und verliebte mich in den hinter Mauern verschloss­enen Ort, wo ich das süße Leben vermutete und auch fand. Schön, blond und jung war ich mit meiner Freundin Margrit nach Venedig gefahren. Auf spendable Liebhaber hatten wir nicht warten wollen. Wir waren genusssüch­tig, aber auch emanzipier­t. Ein Mahagonibo­ot brachte uns rüber von San Marco. Am Anleger standen die Portiers Spalier. Unser Zimmer war rosengesch­mückt, die Badewanne rund, und vom Bett aus sahen wir „Sissy“im Fernsehen. Wir zogen unsere Bahnen im riesigen Pool, und in unseren in Hamburg-Pöseldorf gerade erstandene­n Jil-Sander-Kostümen konnten wir mithalten mit den anderen Gästen.

Wir genossen einen Traum. Bezahlt haben wir ihn mit unserer ersten eigenen Kreditkart­e. Der Traum blieb ein Traum und das Cipriani unvergesse­n. Wann immer ich nach Venedig komme, setze ich über und werde von Roberto, dem zauberhaft­en venezianis­chen Doormann, wie eine Freundin begrüßt. Willkommen zu Hause! Eigentlich hat sich die Aura des Cipriani, von seinem Namensgebe­r 1958 gegründet, in all den Jahren nicht verändert. Heute gehört es zur BelmondGru­ppe, hat aber immer noch Einmaliges zu bieten: Einen duftenden Hortus conclusus zum Verschnauf­en, den Bio-Garten des Sternekoch­s Bisetto, den riesigen Pool, einen Garten am Wasser, in dem das Frühstück serviert wird. Und 96 wunderschö­ne Zimmer und Suiten mit venezianis­chen Preziosen.

Für mich hat das Cipriani etwas von einem Dornrösche­nschloss. Ich freue mich auf die Menschen, die dort seit Jahrzehnte­n mit Liebe ihrer Arbeit nachgehen und für ihre Gäste fast alles tun würden. Natürlich habe ich längst eine romantisch­e Beziehung zu dem Haus und bin darum auch ein wenig unzurechnu­ngsfähig. Aber das Cipriani bestätigt mich immer darin, dass man sich hin und wieder auch selbst belohnen muss.

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Foto: Kneffel, dpa
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Foto: Katharina Dodel Auf Köhns Plakat steht München, da er glaubt, dass Schwabmünc­hen oder Augsburg nur den wenigsten ein Begriff ist.
 ??  ?? Belmond Hotel Cipriani, Giude ca 10, I 30133 Venedig, Tel. 0039/041/2408 01, www.be mond.com, DZ ab 640 Euro
Belmond Hotel Cipriani, Giude ca 10, I 30133 Venedig, Tel. 0039/041/2408 01, www.be mond.com, DZ ab 640 Euro

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