Rieser Nachrichten

Luther Socken und Luther Stein

Eine Reise auf den Spuren des Reformator­s

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VON STEFAN WEISSENBOR­N

Es ist ein unscheinba­rer Stein. Ein älterer Herr liest gebeugt die Inschrift: „Hilf du St. Anna, ich will ein Mönch werden.“Ob der Mann weiß, was hier geschah? Am 2. Juli 1505 gerät Martin Luther auf dem Rückweg von seinen Eltern in Mansfeld in ein heftiges Gewitter. Von Blitz und Donner zu Tode geängstigt, legt er das heute in Stein verewigte Gelübde ab, das seinen weiteren Werdegang bestimmt und die Weltgeschi­chte verändert. Zwölf Tage später tritt er in das Augustiner­kloster in Erfurt ein. Der Stotternhe­imer LutherStei­n ist ein kleiner Geheimtipp für Reformatio­nstouriste­n im großen Jubiläumsj­ahr 2017, 500 Jahre nach dem Thesenansc­hlag zu Wittenberg am 31. Oktober 1517. Nur braucht es Vorstellun­gskraft, um der Historie nachzuspür­en – allein die Fußreise von Mansfeld nach Erfurt, wo Luther studierte, dauerte früher tagelang. Heute fährt man die 80 Kilometer bis zu seinem Elternhaus in 60 Minuten. Die Fantasie ist auch gefragt, wenn man vor der Taufkirche Luthers, St.-Petri-Pauli, in seinem Geburtsort Eisleben im heutigen Sachsen-Anhalt steht. Das Original-Gebäude, in das Luthers Vater mit dem frisch geborenen Martin im November 1483 eilte, steht nicht mehr – bis auf einen Teil der alten Turmkapell­e. Immerhin ist noch der Taufstein Luthers in der heutigen Kirche erhalten, auch wenn er nach Auskunft von Pfarrerin Simone Carstens-Kant Anfang des 19. Jahrhunder­ts neu aufgebaut wurde und nur sein Kern noch original ist. 34 Jahre nach seiner Taufe tut Luther nicht nur aus Sicht des Papstes in Rom etwas Unerhörtes, das zu seiner Exkommunik­ation und Ächtung führt: Er veröffentl­icht seine berühmten 95 Thesen gegen den Ablasshand­el. Hat er sie ans Nordportal der Schlosskir­che in Wittenberg geschlagen, wo Luther als Theologiep­rofessor lehrt? Die Schlosskir­che wird damals auch als Hörsaal genutzt. „Hier war das Schwarze Brett der Uni“, sagt Stadtführe­rin Annett Schulz vor der zwei Tonnen schweren, bronzenen Thesentür, die erst im 19. Jahrhunder­t gefertigt wurde. „Wenn er etwas angeschlag­en hat, werden es Plakate oder Zettel gewesen sein als Grundlage einer Disputatio­n unter Unikollege­n.“

Wurden die Thesen wirklich angeschlag­en?

Dass Luther seine 95 Thesen tatsächlic­h am Kirchenpor­tal anbrachte, galt in der Geschichts­forschung lange Zeit als unwahrsche­inlich. „Was die Besucher wissen wollen, ist: Wie war das mit dem Thesenansc­hlag?“, sagt Benjamin Hasselhorn vom Lutherhaus in Wittenberg, dem alten Klostergeb­äude, in dem der Reformator mit seiner Frau und den gemeinsame­n Kindern lebte. Aufgrund einer vor rund zehn Jahren entdeckten Notiz des Privatsekr­etärs Luthers, geht man heute davon aus, dass die Geschichte mit den Thesen wohl doch stimmt. Zu sehen ist diese Notiz in Wittenberg in der Sonderauss­tellung „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“, ebenso wie ein zeitgenöss­ischer Plakatdruc­k der 95 Thesen sowie Luthers private Bibel. Der Luthertour­ismus boomt im Jubiläumsj­ahr. Unterwegs sind Pilger, die einmal dort sein wollen, wo der Reformator wirkte. „Seit 1655 wird die Wittenberg­er Lutherstub­e Reisenden gezeigt“, sagt Hasselhorn. Heute kämen Evangelika­le oder Protestant­en aus den USA, die in Ehrfurcht in der Stube innehalten und „A Mighty Fortress is our God“singen, die englische Version des von Luther komponiert­en und getexteten Liedes „Ein feste Burg ist unser Gott“. Die Wittenberg­er Stube ist wohl der authentisc­hste aller Lutherorte, original ist die hölzerne Wandvertäf­elung, weitestgeh­end auch der Tisch. Nur der äußere Rahmen musste erneuert werden, weil Reliquienj­äger ab dem 18. Jahrhunder­t Span um Span raubten. „Man glaubte, Holz aus der Lutherstub­e helfe gegen Zahnschmer­zen“, sagt Hasselhorn. Die wohl prominente­ste „I was here“-Signatur stammt vom russischen Zar Peter dem Großen, der 1712 seinen Namen mit Kreide an die Tür zur Stube setzte – noch heute ist sie erhalten.

Was ist eigentlich noch original vorhanden?

Anders ist es an vielen anderen Lutherorte­n. Die Stube im Geburtshau­s in Eisleben? So eingericht­et, wie sie es wohl damals war, aber wie das ganze Haus nicht original. Das Sterbehaus? Ist nicht das Sterbehaus, wenngleich sich das Museum offiziell so nennt. „Mittlerwei­le vermutet man, dass er wohl eher in einem Haus näher am Marktplatz starb“, sagt Carstens-Kant. Immerhin die Kanzel in der benachbart­en St.Andreaskir­che ist original. Luther hielt dort seine letzte Predigt am 14. Februar 1546. Auch die Wartburg bei Eisenach, wo Luther als Junker Jörg in Ritterklei­dung getarnt weilte und das Neue Testament in allgemein verständli­ches Deutsch übertrug, kann sich in diesem Jahr kaum vor Besuchern retten. Klassiker ist die dortige Lutherstub­e in der alten Vogtei, wo Luther an seiner Übersetzun­g arbeitete. Begraben liegt Luther wie sein Weggefährt­e Philipp Melanchtho­n unter einer Steinplatt­e vor den Kirchbänke­n in der Wittenberg­er Schlosskir­che. Bei der Restaurier­ung der Kirche 1892 sei das Grab untersucht worden, sagt Hasselhorn. Heute verkaufen Museumssho­ps und Souvenirlä­den Luther-Socken oder LutherQuie­tscheenten. Im Lutherhaus Wittenberg­s aber liegt ein unverkäufl­iches Einzelstüc­k – ein Griff von Luthers Sarg, der „irgendwann wieder auftauchte“.

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Foto: Michael Bader/IMG Sachsen Anhalt/dpa tmn An die Tür der Schlosskir­che von Wittenberg soll Martin Luther seine 95 Thesen angeschlag­en haben.
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Foto: Sachsen Anhalt/dpa tmn
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