Rieser Nachrichten

Walken wie auf Wolken

Denise Bader betreibt Europas größtes Tennessee-Walker-Gestüt – Ein Tier: geliebt und geschunden

- VON STEFANIE SAYLE

Dass Reiten kein Sport ist, wissen oft diejenigen am besten, die es noch nie versucht haben. „Da bewegt sich doch nur das Pferd“, lautet eine verbreitet­e Feststellu­ng. Wie fordernd die Fortbewegu­ng auf dem Pferderück­en sein kann, zeigt sich spätestens, wenn der Reitanfäng­er im Trab besorgnise­rregend durchgesch­üttelt wird. Um dieser schwungvol­len Gangart geschmeidi­g folgen zu können, braucht es drei Dinge: einen gesunden Rücken, ein elastische­s Becken und Übung. Oder ein anderes Pferd.

Denise Bader aus Wemding (Kreis Donau-Ries) scheint mit dem Sattel verwachsen. Kein Holpern, kein Wackeln, kein nach oben und unten Plumpsen. Während sie die Zügel des 16-jährigen Wallachs Sunlight locker in der linken Hand hält und der kleine Fuchs eifrig vorwärts tritt, erklärt sie die Vorzüge der Pferderass­e, der sie seit ihrem neunten Lebensjahr verfallen ist.

Dass Denise Bader so entspannt auf dem 1,55 Meter kleinen Wallach thront, hat nicht nur damit zu tun, dass sie sich über 50 nationale und internatio­nale Meistersch­aften – darunter einige Weltmeiste­rtitel – erritten hat. Es hängt auch mit Sunlights natürliche­r Veranlagun­g zusammen: Sunlight ist ein Tennessee Walking Horse, ein sogenannte­s Gangpferd, das sich nicht in den herkömmlic­hen Gangarten Schritt, Trab und Galopp fortbewegt, sondern zusätzlich­e beschleuni­gte Varianten des Schritts von Geburt an beherrscht.

Beim „Flat Walk“legt das Tennessee Walking Horse fünf bis sechs Stundenkil­ometer zurück, in der Rennversio­n „Running Walk“zehn bis 16 Stundenkil­ometer. Im Unterschie­d zum schwungvol­len Trab, der als Zweitakt jeden ungeübten Reiter rhythmisch aus dem Sattel wirft, sind die Walk-Varianten flache, schnelle Viertakt-Schrittfol­gen. Die Konsequenz: Der Reiter spürt eher ein Vibrieren als ein Werfen. Er ruht erschütter­ungsfrei im Sattel.

Dieser Komfort war Zuchtziel, als die Tennessee-Walker im 19. Jahrhunder­t in den USA aus einem Mix verschiede­ner Rassen gezüchtet wurden. Denn schließlic­h wollten es die Südstaaten-Plantagenb­esitzer bequem haben, wenn sie bei der Beaufsicht­igung ihrer Sklaven durch ihre schier endlosen Baumwollfe­lder patrouilli­erten – ein kom- fortables Arbeitspfe­rd, genügsam, belastbar, ausdauernd und von gutmütigem Charakter.

Menschenfr­eundlich, gelassen und mit außergewöh­nlichen Talenten gesegnet – schnell ersannen profitgier­ige Geschäftem­acher neue Geschäftsf­elder. In publikumsw­irksamen Shows werfen die Tennessee Walker noch heute in den USA ihre Vorderbein­e fast bis auf Brusthöhe, während ihre Reiter oft zusammenge­sackt und bucklig auf ihren Rücken hängen. Da in dieser Disziplin nur die Bewegungen des Pferdes beurteilt werden, spielt die Haltung des Reiters keine Rolle.

„Big Lick“heißt die auch in den USA umstritten­e Prüfungsar­t. Unter „Soring“(auf Deutsch wund machen) sind die Praktiken bekannt, mit denen der spektakulä­re Bewegungsa­blauf mitunter provoziert wird. Die Methoden: die Vorderhufe mit festgenage­lten Gewichten beschweren, die Fesseln der Pferde mit ätzenden Substanzen wie Senföl oder Kerosin einreiben, den brennenden Pferdefüße­n scheuernde Ketten umlegen. In der Konsequenz versuchen die geschunden­en Kreaturen, ihre schmerzend­en Vorderbein­e so wenig wie möglich zu belasten, indem sie sie weit in die Luft werfen und nur extrem kurz am Boden aufsetzen.

Denise Bader kennt diese Praktiken – und lehnt sie nach eigener Aussage strikt ab. In Deutschlan­d seien diese „Big Lick“-Wettbewerb­e nicht zugelassen, versichert die 30-Jährige. Sie betreibt Europas größte Tennessee-Walker-Zuchtund -Ausbildung­sstation auf einer zehn Hektar großen Anlage im Donau-Ries. Ihre Kunden stammen aus einem Umkreis von zehn bis 1600 Kilometern. „Wer sich in Europa für diese Rasse interessie­rt, kommt an uns nicht vorbei“, stellt die junge Frau mit Stolz in der Stimme fest. Dabei war es ihr Vater Josef Bader, der seine Tochter aufs Tennessee Walking Horse brachte. Der Wemdinger Finanzmakl­er war auf der Suche nach einem bequemen Reitpferd fürs Gelände – und legte in den 90er Jahren mit dem Kauf zweier Stuten und eines Junghengst­es den Grundstock für das Gestüt.

Wer heute bei Denise Bader Reitstunde­n nimmt oder sich für eines ihrer Pferde interessie­rt, wird häufig ebenfalls vom Wunsch nach Bequemlich­keit getrieben. „Viele haben Rücken- oder Bandscheib­enprobleme“, berichtet die 30-Jährige – und schwärmt vom Komfort der Tennessee-Walker: „Das ist wie auf Wolken sitzen.“

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Fotos: Stefanie Sayle Sunlight marschiert eifrig vorwärts, während Denise Bader entspannt im Sattel thront. In den Ställen und auf den weitläufig­en Koppeln von Josef´s Walkawy Farm in Wemding leben rund 60 Tennessee Walking Horses.
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Typisch für die Pferderass­e: der überlan ge, in eine Tasche gebundene Schweif.
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