Rieser Nachrichten

Wild & schön

Das Land der schwarzen Berge hat viel mehr zu bieten als riesige Hotelanlag­en an der adriatisch­en Küste. Es ist bislang ein recht wenig beachtetes Reiseziel – doch das ändert sich gerade

- Von Katharina Dodel

Nebel hängt in den Bergen und legt sich wie ein FotoFilter über den Ausblick ins Tal. Von hier oben schimmert das Meer in der Bucht von Kotor türkisblau. Es nieselt leicht. In dunklem Grün ragen die Berge empor, die dem Land am adriatisch­en Meer seinen Namen verliehen haben: Montenegro – „schwarze Berge“. Allein 26 Serpentine­n gilt es von der Bucht von Kotor aus zu bewältigen – ein Weg, der sich lohnt: Umgeben von wilder, noch unberührte­r Natur mit Postkarten-Aussicht ins Tal offenbart die Fahrt die wahre Schönheit des Landes. Die liegt hoch oben mit Blick nach ganz unten.

Während das Hinterland noch recht unberührt ist, nur alle paar Kilometer eine Unterkunft auftaucht, bereiten sich an der Küste zum adriatisch­en Meer Hunderte Hotels auf die Sommergäst­e vor. Dort wurden ganze Bergfronte­n gegen Zimmer für Pauschalto­uristen eingetausc­ht. Die Baustellen nehmen kein Ende: Der Weg vom Flughafen der Hauptstadt Podgorica führt durch den Nationalpa­rk entlang der Küste. Überall stehen Baukräne, überall warten Rohbauten auf ihre Vollendung und die Montenegri­ner auf den Beginn der Hauptsaiso­n von Juni bis August.

Das Land setzt hier so sehr auf den Tourismus, dass die kleine vorgelager­te Insel Sveti Stefan gleich ganz den Touristen vorbehalte­n ist. Die Hotelkette Aman, die das Stück Land für 30 Jahre gepachtet hat, hat bereits Showgrößen wie Liz Taylor, Sophia Loren oder Sylvester Stallone beherbergt. Auch wenn eine Übernachtu­ng dort so viel kostet wie sieben Hin- und Rückflüge von Memmingen nach Montenegro – ein Fotostopp an der Küstenstra­ße ist die Insel auf alle Fälle wert.

Wer Montenegro bei einem verlängert­en Wochenend-Trip besucht, sollte dem Badeort Budva einen Besuch abstatten – einen kurzen. Denn auch wenn der Jaz Beach mit breitem Sandstrand und klarem Wasser als montenegri­nische Riviera gehandelt wird, buhlen auch dort die großen Hotels um Gäste. Außerdem versucht die Regierung mit reichen Investoren eine Art Saint Tropez in Montenegro zu errichten. Unter dem Slogan „Life as it should be“(Leben, wie es sein sollte) zimmert sich das Land auf 690 Hektar eine kleine Stadt mit Hafen zusammen. Die 158 hochpreisi­gen Wohnungen im mediterran­en Stil sollen die Urlauber mit den etwas dickeren Geldbeutel­n anlocken. Auf das, was eher wirkt wie ein Disneyland für Luxus-Liebhaber, baut das Land.

Auch am Hafen Porto Montenegro. Ähnlich einer amerikanis­chen Outlet-Stadt reihen sich bekannte Modelabels im Schatten der großen Jachten und namhaften Hotels aneinander.

Luxus, Modernes und Meer – Montenegro kann aber auch ganz anders, ganz ursprüngli­ch, ganz liebenswer­t. Die Fahrt von Budva aus ins Hinterland führt ins ruhigere und traditione­llere Montenegro. Ein kulinarisc­hes Mitbringse­l gibt es für Reisende in Njegusi: Dort wird der beliebte Schweinesc­hinken Njeguska prsut noch auf traditione­lle Art in Höhen über 900 Metern luftgetroc­knet und geräuchert.

Wer den Daheimgebl­ieben lieber schöne Bilder zeigt, kommt wenige Kilometer weiter in Perast auf seine Kosten. Die Stadt liegt in der Bucht von Kotor und ist ein beliebter Fotospot. Das liegt vor allem an zwei kleinen Inseln: Auf der einen steht ein kleines Kloster, auf der anderen eine Kapelle. Die malerisch in der Bucht liegende „Our Lady of Rocks“ist Maria vom Felsen gewidmet, der Schutzpatr­onin der Seefahrer.

Einer Legende nach fanden Fischer im 15. Jahrhunder­t eines Mor-

Überall an der Küste buhlen die Hotels um Gäste Im ehemaligen Hangar lagern heute Weine

gens eine Muttergott­es-Ikone mit Jesuskind auf einem Felsen in der Bucht. Ihr zu Ehren beschlosse­n sie, an der Stelle eine Insel mit Kirche zu errichten.

Der Glaube spielt in Montenegro eine wichtige Rolle: Fast drei Viertel der fast 630000 Einwohner sind orthodox, 17 Prozent muslimisch und vier Prozent katholisch. Eine der bedeutends­ten Pilgerstät­ten in Montenegro ist das serbisch-orthodoxe Kloster Ostrog: Jährlich machen sich Hunderttau­sende auf, um über steile Serpentine­n das im 17. Jahrhunder­t in die Felsen gebaute Gebäude zu besuchen. Im Ersten Weltkrieg soll dort eine Bombe niedergega­ngen, aber nicht detoniert sein. Das Kloster liegt am Prekornica-Gebirge und bietet eine atemberaub­ende Sicht ins Tal mit dem Fluss Zeta.

Die raue Natur macht im Land der „schwarzen Berge“einen großen Teil aus – rund zehn Prozent der Fläche sind geschützt. Einer der sechs Nationalpa­rks, der nach dem Bergmassiv Durmitor benannt wurde, liegt im Norden des Landes und lockt mit Superlativ­en: Der längste Fluss des Landes (Tara, 78 Kilometer) hat sich im Lauf der Jahrtausen­de über 1300 Meter tief in das Gebirge eingeschni­tten und bildet somit die weltweit tiefste Schlucht nach dem Grand Canyon. Außerdem übertreffe­n im von der Unesco geschützte­n Durmitor-Park 48 Gipfel die 2000-Meter-Marke – Bobotov kuk ist mit 2522 Metern der höchste.

Ein weiterer Nationalpa­rk befindet sich im Süden in der Nähe der Hauptstadt Podgorica. Die Region rund um den Skutarisee, den sich Montenegro mit Albanien teilt, bietet nicht nur Pelikanen und Kormoranen ein Zuhause, sondern begünstigt auch den Weinanbau: Die Reben der Kellerei „Plantaze“sind direkt vom Flughafen aus zu sehen. Auf der ehemaligen Militärlan­debahn führt der Weg zwischen Hunderten Weinstöcke­n hindurch bis zum Weinkeller – einem umfunktion­ierten Hangar, der im Zweiten Weltkrieg im Felsen eingebaut als Versteck für Flugzeuge diente. Dort lagern 30 verschiede­ne Weinsorten wie Chardonnay, Cabernet oder die Landessort­e Krstac. Angebaut werden die Reben (sowie 10 000 Olivenölbä­ume) auf dem „Cemovsko polje“, dem mit über 2300 Hektar größten zusammenhä­ngende Weingarten Europas.

Superlativ­e verwendet die montenegri­nische Tourismusb­ranche gerne: Im Land gibt es den südlichste­n Fjord Europas (die Bucht von Kotor), die tiefste Schlucht Europas oder das teuerste Bauprojekt Europas im 19. Jahrhunder­t (die Mauer bei Kotor). Europa ist in Montenegro auch politisch ein Thema: So arbeitet der Staat, der kaum größer ist als Schleswig-Holstein, seit 2010 am EU-Beitritt.

Und irgendwie fühlt sich Montenegro bereits jetzt recht europäisch an: Nicht zuletzt weil das Land 1998/1999 seine Währung in die eines Mitgliedss­taates wechselte – vom Dinar zur Deutschen Mark. Mit der Währungsän­derung in Deutschlan­d erhielt daher auch Montenegro 2002 den Euro.

Zwar verhandelt das Land mit Brüssel über einen Betritt, ist bei den EU-Mitgliedst­aaten jedoch noch recht unbekannt. Völlig zu unrecht. Denn Montenegro legt sich ins Zeug – zum Beispiel in Sachen Partys: Pünktlich zum Start der Hauptsaiso­n findet vom 29. Juni bis 2. Juli das Southern Soul Festival an der südlichen Küste statt, gefolgt vom Sea-Dance-Festival in Budva vom 13. bis 15. Juli. Dann zeigt sich Italiens Schwester am Balkan von ihrer wilden Seite – auch wenn die nur wenig mit wilder Natur zu tun hat.

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Fotos: Katharina Dodel Die künstlich angelegte Insel „Our Lady of Rocks“in der Bucht von Kotor ist Maria vom Felsen gewidmet.
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Die Stadt Perast liegt malerisch in der Bucht von Kotor.
 ??  ?? In Stein gemeißelt: das Kloster Ostrog.
In Stein gemeißelt: das Kloster Ostrog.
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Der Fluss Tara fließt durch den Durmitor Nationalpa­rk.

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