Ein Glücksfall, aber bisweilen außergewöhnlich stur
Beim einzigen offiziellen deutschen Trauerakt würdigt der Bundestag Helmut Kohl, ohne die Kritik auszublenden
Als Parlamentspräsident Norbert Lammert den Plenarsaal des Bundestags betritt, herrscht schlagartig Stille. Oben in der ersten Reihe der Zuschauertribüne haben der amtierende Bundespräsident FrankWalter Steinmeier und seine Vorgänger Horst Köhler und Joachim Gauck Platz genommen, auf der Regierungsbank Angela Merkel und ihre Minister: Eine knappe Woche nach dem Tod des Altkanzlers würdigt der Bundestag Helmut Kohl. Es ist der einzige offizielle Gendenkakt in Deutschland abseits der Trauermesse im Dom in Speyer.
In seiner Rede fasst Lammert Kohls größte Erfolge zusammen und lässt auch die Rückschläge nicht aus: „Kohls Weg säumten nicht zuletzt Verletzungen – die er selbst erlitt und die er anderen zufügte“, sagt Lammert. Doch der CDU-Kanzler sei vor allem ein „Glücksfall für Deutschland und Europa“gewesen. Kohls Verdienste für „die friedliche Einheit unseres Landes in einem freien und befriedeten Europa“sind der rote Faden in Lammerts Rede. Schon in jungen Jahren sei der ehemalige Kanzler maßgeblich von dieser Vision getrieben gewesen: Lammert zitiert aus Kohls einzigem Interview mit dem in dem der damalige CDU-Vorsitzende 1986 sagte: „Ein Politiker, der nicht ein Stück Utopie in seinen Zielen hat, ist ein armer Mann.“
Mit seiner besonnenen und zielgerichteten Diplomatie habe Kohl es geschafft, nicht nur Deutschland, sondern auch Europa zu vereinigen. Lammert sprach von Kohl als der „personifizierten vertrauensbildenden Maßnahme der Weltpolitik“. Den Frieden auf dem ehemals verfeindeten Kontinent“versuchte Kohl auch über die gemeinsame Währung zu zementieren. Mit Kohl sei einer der letzten Politiker gestorben, für den „die Epoche der Weltkriege keine Erzählung, sondern Erfahrung war“, sagt Lammert.
Auch die Kontroversen um die geplante Trauerfeier spart der Parlamentspräsident nicht aus: Für den Altkanzler findet am 1. Juli ein europäischer Staatsakt in Straßburg statt. Es heißt, dass Kohls Witwe Meike Kohl-Richter nicht wollte, dass Merkel dort spricht. Auch eine nationale Trauerfeier habe die Witwe abgelehnt. Lammert betont in seiner Rede, dass „Art und Würdigung einer herausragenden Persönlichkeit bei allem Respekt nicht nur Familienangelegenheit sind“.
Als Lammert auf Helmut Kohls Persönlichkeit zu sprechen kommt, regt sich die Kanzlerin. Denn Kohl habe junge Abgeordnete stets genau im Blick gehabt, „intensiver, als diese es sich hatten vorstellen können“. Merkel, die als eine dieser jungen Abgeordneten von Kohl gefördert wurde, kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und tuschelt mit Sigmar Gabriel. Für einen Moment weicht der kontrollierte Ausdruck aus ihrem Gesicht.
Zum Abschluss der 20-minütigen Würdigung kommt Lammert auf den Kämpfer in Kohl zu sprechen. Dessen Persönlichkeit lasse fast niemanden gleichgültig: „Legendär sind seine integrierende Kraft wie seine polarisierende Wirkung – zwischen den Parteien ebenso wie innerhalb der Union“, sagt Lammert und erinnert auch an die Spendenaffäre von 1999: „Dass sein Abschied aus der aktiven Politik so wurde, wie es in der Formulierung seines Biografen Hans-Peter Schwarz die Umstände der ‚kreativen Verschleierung von Parteispenden‘ am Ende erzwangen, hängt wieder mit der außergewöhnlichen, bisweilen auch außergewöhnlich sturen Persönlichkeit Kohls zusammen.“