Rieser Nachrichten

Italien ist das neue Sorgenkind im Euroraum

Der Mittelmeer­staat hinkt bei wirtschaft­lichen Reformen hinterher. Das könnte Folgen für die gesamte EU haben

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Sie nennen ihn abschätzig den „Meister aller Geldpresse­n“und den großen „Zampano“der Währungspo­litik. Mario Draghi ist noch bis Ende 2019 Präsident der Europäisch­en Zentralban­k, kurz EZB, und bis dahin eine der umstritten­sten Figuren des Kontinents. Für Sparer und Vertreter einer restriktiv­en Geldpoliti­k ist der 69-Jährige der Schuldige für einige Fehlentwic­klungen der kontinenta­len Wirtschaft. Für hoch verschulde­te Länder wie Italien ist Draghi hingegen so etwas wie die Überlebens­garantie. Dass sich nun langsam das Ende der von ihm verantwort­eten expansiven Geldpoliti­k am Horizont abzeichnet, hat vor allem für Draghis Heimatland Italien Konsequenz­en.

Die EZB hat ihr Programm des massenhaft­en Ankaufs von Staatsanle­ihen aus EU-Ländern im April von 80 auf 60 Milliarden Euro gedrosselt. Gerätselt wird nun, wie drastisch Draghi die Anleihekäu­fe in der nahen Zukunft reduzieren wird. Länder wie Italien profitiere­n von der Maßnahme, Draghi trägt sozusagen Teile ihrer Schuldenla­st. Den jüngsten Daten der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g, kurz OECD, zufolge wächst die gesamte Eurozone in diesem und im kommenden Jahr um 1,8 Prozent, die Inflation lag im April bei 1,9 Prozent. Das sind Daten, wie sie sich die EZB eigentlich wünschen könnte.

Italien hingegen kommt nicht recht vom Fleck, laut OECD liegt die Wachstumsp­rognose bei einem Prozent. Das ist immer noch zu wenig für ein Land, das den größten Schuldenbe­rg der EU hat. 133 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s betrug die Schuldenla­st zuletzt, das sind über 2,2 Billionen Euro. Dieses Minus ist Italiens, aber wegen der wirtschaft­lichen Verknüpfun­gen auch Europas finanzpoli­tische Achillesfe­rse. Gerät die drittgrößt­e EU-Volkswirts­chaft ins Schlingern, hat das Folgen für die gesamte Gemeinscha­ft.

Es ist deshalb beinahe schon ein Ritual, wenn die Finanzmärk­te auf politische Vibratione­n in Italien mit Wetten gegen den Mittelmeer­staat reagieren. Im Dezember war dies der Fall, als der damalige Premiermin­ister Matteo Renzi in Folge einer Niederlage beim Verfassung­sreferendu­m zurücktrat. Die Lage schien damals besonders dramatisch, weil mehrere angeschlag­ene italienisc­he Banken dringend neues Kapital zum Überleben benötigten. Vor Wochen, als Neuwahlen wegen eines inzwischen wieder geplatzten Deals für ein neues Wahlrecht nach deutschem Vorbild wahrschein­lich waren, reagierten die Märkte erneut nervös. Europa kann bereits die Uhren stellen, wenn die Italiener nun voraussich­tlich im Frühjahr 2018 ein neues Parlament wählen. Auch dann wird wieder über den Kollaps der italienisc­hen Finanzen spekuliert werden. Die einzigen, die dabei stets eine stoische Ruhe bewahren, sind die Italiener selbst.

Es ist ein Mix aus politische­r Unsicherhe­it und wirtschaft­lichem Himmelfahr­tskommando, der die Lage Italiens so brisant macht. Die exorbitant hohen Staatsschu­lden müssen abgebaut werden, doch dafür ist stärkeres Wirtschaft­swachstum notwendig, das in Italien wegen verkrustet­er Strukturen und mangelnder Wettbewerb­sfähigkeit auf sich Warten lässt.

Ein Horrorszen­ario für das Establishm­ent ist ein Wahlsieg der unberechen­baren Fünf-Sterne-Bewegung, die den Euro und die EU kritisch

Rom muss das Wachstum ankurbeln

sieht. Von in Berlin oder Brüssel beliebten Sparpoliti­kern wie ExPremier Mario Monti haben sich die Italiener schon lange abgewendet. Deren Politik ist in Italien nicht mehrheitsf­ähig.

Die Herausford­erung für die Politik in Rom ist, das Wachstum anzukurbel­n, zu sparen und Schulden abzubauen, strukturel­le Reformen voranzutre­iben und dabei den politische­n Konsens bei den Italienern nicht einzubüßen. Pier Carlo Padoan, Finanzmini­ster unter Renzi und auch im Kabinett des gegenwärti­gen Ministerpr­äsidenten Paolo Gentiloni, sagt es so: „Wir wandeln auf einem schmalen Grat.“

 ??  ??
 ?? Foto: dpa ?? Italien trägt den größten Schuldenbe­rg der EU mit sich herum.
Foto: dpa Italien trägt den größten Schuldenbe­rg der EU mit sich herum.

Newspapers in German

Newspapers from Germany