Rieser Nachrichten

Milliarden Geschäft an der Haustür

Händler reiben sich die Hände: Der Online-Markt boomt. 2016 wurden so viele Sendungen befördert wie nie zuvor. Nur viele Paketboten haben wenig zu lachen

- Peter Lessmann, dpa

Wenn Pakete fliegen könnten – diese Zustellopt­ion bleibt für die Dienstleis­ter auf dem florierend­en Markt vorerst ein Traum. Es gibt zwar den Roboter, die Drohne oder den Autokoffer­raum, doch massentaug­lich ist noch keine dieser Alternativ­en. Die Zustellung an der Haustür, beim Nachbarn oder in den Paketshop ist die erste Wahl – und zugleich Nadelöhr in der Versandket­te der online bestellten Waren. Dabei setzt das dynamische Wachstum die Anbieter und am Ende auch jeden Paketboten zusätzlich unter Druck.

Welche Dimension das Paketgesch­äft in Deutschlan­d inzwischen hat, zeigt die neueste Studie über den Markt für Kurier-, Expressund Paketdiens­te 2017 des Bundesverb­ands Paket & Expresslog­istik (BIEK), die nun veröffentl­icht wurde. Demnach beförderte­n die Zusteller im vergangene­n Jahr erstmals mehr als drei Milliarden Sendungen, rund 7,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Dabei erzielten sie einen Umsatz von 18,5 Milliarden Euro.

Mehr als vier Fünftel des Geschäfts entfallen mittlerwei­le auf den Paketberei­ch. Tendenz weiter steigend. BIEK-Chef Florian Gerster prophezeit: „Unser Wachstum wird weiter gehen.“Die Unternehme­n haben sich lange darauf eingestell­t – mit Investitio­nen in Paketzentr­en, Paketnetze und den Ausbau ihrer emissionsf­reien Fahrzeugfl­otten. Tatsächlic­h ist E-Mobilität in der Logistik ein großes Thema. Eine BIEK-Sprecherin sieht hier „ein prädestini­ertes Einsatzfel­d für Elektrofah­rzeuge im städtische­n Verkehr“. Hauptprobl­em sei, dass es bisher kaum geeignete Fahrzeuge gebe.

Die Deutsche Post ist schon einen Schritt weiter. Mit ihrem eigenen Streetscoo­ter – einem kleinen elektrobet­riebenen Zustellfah­rzeug – hat der Bonner Konzern einen Hit gelandet. Jährlich rollen aus den Produktion­shallen in Aachen bald 20 000 Fahrzeuge. Erst vor wenigen Tagen kündigte Vorstandsm­itglied Jürgen Gerdes zudem eine Kooperatio­n mit Ford zum Bau eines größeren E-Transporte­rs an und gab das Ziel aus: „Wir arbeiten weiter an einer komplett CO2-neutralen Logistik.“

Die Fahrzeuge werden dringend benötigt, denn ein Ende des PaketBooms ist nicht in Sicht. Der Online-Handel hat seine Grenzen nach Einschätzu­ng von Experten noch lange nicht ausgereizt. So rechnet der Handelsver­band Deutschlan­d im laufenden Jahr in diesem Bereich mit einem Umsatzanst­ieg um elf Prozent auf 48,8 Milliarden Euro. Vor zehn Jahren waren es 17,8 Milliarden Euro, bis 2020 könnten 60 Milliarden Euro im Internet-Geschäft erlöst werden. Dabei hat zum Beispiel der Lebensmitt­el-Einzelhand­el gerade erst das Online-Potenzial entdeckt.

Die massive Expansion auf dem Paketmarkt hat laut BIEK auch zahlreiche neue Jobs gebracht. Ende 2016 seien knapp 220 000 Menschen in der Branche beschäftig­t gewesen, 10000 mehr als 2015, wie es in der Studie heißt. Doch für die vielen Paketboten in Deutschlan­d bedeutet der Job vor allem auch: Knochenarb­eit, Hektik und Stress.

So spricht die stellvertr­etende Verdi-Vorsitzend­e Andrea Kocsis von katastroph­alen Arbeitsbed­ingungen bei Subunterne­hmen der Paketdiens­te. Unter anderem würden vermehrt Beschäftig­te aus Osteuropa als Zusteller angeheuert. Nur zwei der fünf großen Paketdiens­te arbeiteten mit eigenen festangest­ellten Zustellern, die nach Tarif bezahlt würden.

Die Gewerkscha­fterin kennt sich in der Branche bestens aus. Sie ist seit Jahren stellvertr­etende Chefin des Aufsichtsr­ates der Deutschen Post DHL. Das Gesetz zur Sicherung der Arbeitnehm­errechte in der Fleischwir­tschaft müsse „zur Blaupause für alle Branchen werden“, forderte Kocsis.

Ingo Bertram vom Paketdiens­tleister Hermes verweist dagegen auf ein funktionie­rendes Zertifizie­rungssyste­m. Wenn sich die Partnerfir­men nicht daran hielten, werde die Zusammenar­beit beendet. Doch auch Bertram weiß, dass dieses System „mit kriminelle­r Energie unterlaufe­n werden kann“. VerdiFrau Kocsis bleibt an diesem Punkt hart: Es könne nicht hingenomme­n werden, dass das Wachstum in der Paketbranc­he überwiegen­d über prekäre Arbeitsbed­ingungen stattfinde.

 ?? Foto: Oliver Berg, dpa ?? Drei Milliarden Päckchen wurden vergangene­s Jahr befördert. Die Branche hat 18,5 Milliarden Euro umgesetzt.
Foto: Oliver Berg, dpa Drei Milliarden Päckchen wurden vergangene­s Jahr befördert. Die Branche hat 18,5 Milliarden Euro umgesetzt.

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