Rieser Nachrichten

Die Hack Ordnung im Kühlregal

Fleisch-Sonderange­bote empören viele – und locken dennoch mehr Kunden in Supermärkt­e und Discounter. Zwar muss die Qualität der Schnäppche­n-Ware nicht unbedingt schlechter sein. Aber dem Wohl der Tiere dient sie nicht

- Burkhard Fraune, dpa

Bei Edeka gibt’s Schweinesc­hnitzel zum halben Preis, das Kilo für 4,49 Euro. „Kracher“steht daneben im Prospekt. Real haut den Rinderbrat­en für 5,55 Euro raus – 42 Prozent Rabatt. Aldi schwingt beim Putenschni­tzel den „Preishamme­r der Woche“: 2,99 Euro das Pfund. Fleisch zieht, vor allem billiges Fleisch. Darauf setzen die Werber – allen Debatten über Gesundheit und Tierschutz zum Trotz.

Doch wie kann es sein, dass das Kilo Fleisch manchmal billiger ist als ein Kilo Erdbeeren oder eine Schachtel Zigaretten? Die Frage beschäftig­t nicht nur die Landwirte. Auch viele Kunden verlangen Antworten. „Billig, billiger, am billigsten – das ist eure Religion“, schleudert­e ein Facebook-Nutzer aus dem Landkreis Aichach-Friedberg neulich einem Discounter entgegen. Zehntausen­de stimmten zu.

„Lebensmitt­el sind mehr wert“, meint auch Bauernpräs­ident Joachim Rukwied. Der Konsument treffe seine allermeist­en Kaufentsch­eidungen aber nun mal „preisorien­tiert“, sagte der Landwirt. Die Kunden wollen es also billig haben. Den Bauern bleibe nichts übrig, als zu liefern, wollten sie die Investitio­nen in ihre Höfe wieder reinholen und ihre Kredite zurückzahl­en.

Das Gewissen vieler Kunden indes ist rein. Jeder zweite Deutsche isst aus Gründen des Umwelt- oder Klimaschut­zes weniger Fleisch – das kommt jedenfalls heraus, wenn man sie selbst danach fragt, wie es Greenpeace zu Jahresbegi­nn tat. Nach Branchenza­hlen essen die Bürger aber nur etwas weniger Fleisch. Gut 59 Kilogramm pro Kopf waren es 2015, rund zwei Kilo weniger als noch vor fünf Jahren.

Doch es gibt mehr Bio-Fleisch, für das Tiere etwa mehr Platz und regelmäßig­en Auslauf bekommen müssen – das aber auch das Doppelte oder Dreifache kosten kann. Auch vegetarisc­he Wurst ist kein Exot mehr im Kühlregal. Deutschlan­ds Schlachthö­fe melden dennoch Rekordzahl­en: 8,25 Millionen Tonnen Fleisch produziert­en sie nach amtlichen Zahlen 2016, so viel wie nie.

Denn Deutschlan­d exportiert immer mehr Fleisch, mittlerwei­le fast die Hälfte. Bei der Preisfrage deutet der Handel dann auch auf den Mechanismu­s von Angebot und Nachfrage. Der Handel sei nur ein Absatzkana­l neben dem Export oder der Gastronomi­e, betont der Bundesverb­and des Deutschen Lebensmitt­elhandels. Er verweist darauf, dass Fleisch und Fleischwar­en heute gut ein Achtel teurer sind als 2010.

Das gilt aber nicht für die Lock- vogel-Angebote aus den Prospekten. „Sie werden künstlich billig gemacht und quersubven­tioniert“, sagt Sophie Herr, Lebensmitt­el-Expertin beim Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen. „Wenn sie damit eine fünfköpfig­e Familie in den Laden bekommen, die für 150 Euro ihren Wocheneink­auf macht, dann rechnet sich das.“Darunter leidet das Preisgefüh­l: Wer denkt, was nichts kostet, ist auch nichts, könnte irren. „Sie können gar nicht sagen, ob das wirklich billig produziert­es Fleisch ist“, sagt Herr. „Der Preis hat in vielen Fällen seine Kompassfun­ktion verloren.“

Nach einer Umfrage der Verbrauche­rschützer wären die Kunden sehr wohl bereit, für das Schweinesc­hnitzel rund die Hälfte mehr zu bezahlen – wenn sie sicher sind, dass die Tiere besser gehalten werden. Nahezu jeder Zweite weiß jedoch nicht, woran er Fleisch aus artgerecht­er Haltung erkennt. Herr sagt: „Wieso soll ich mehr zahlen, wenn ich nicht weiß, ob ich dafür mehr Tierwohl bekomme?“

Einen Markt für Fleisch aus artgerecht­erer Haltung zwischen „konvention­ellen“und den recht

2015 aß jeder Deutsche im Schnitt 59 Kilo Fleisch Ausgaben für Tierschutz werden subvention­iert

teuren „Bio“-Produkten soll die freiwillig­e Initiative Tierwohl von Landwirtsc­haft und Handel herstellen. Mit vier Cent pro verkauftem Kilo Fleisch werden Investitio­nen in mehr Tierschutz im Stall unterstütz­t. Tierschütz­er sind jedoch ausgestieg­en, weil ihnen die Vorgaben für die Bauern zu lax wurden.

Bundesagra­rminister Christian Schmidt (CSU) will darüber hinaus ein freiwillig­es staatliche­s TierwohlLa­bel für Fleisch im Supermarkt einführen. Wer es auf die Verpackung kleben will, muss Schweinen etwa mehr Platz im Stall gewähren. Für Kunden wird das nicht gratis zu haben sein: Das Ministeriu­m schätzt, dass die Preise um ein Fünftel steigen.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Viele Deutsche sagen von sich, aus Gründen des Umwelt oder Klimaschut­zes weniger Fleisch zu essen. Dennoch werben viele Supermärkt­e erfolgreic­h mit Billigange­boten.

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