Rieser Nachrichten

Was falsche Nachrichte­n so erfolgreic­h macht

Nach ihrem Buch „Hass im Netz“widmet sich Ingrid Brodnig nun den „Lügen im Netz“. Die österreich­ische Journalist­in erklärt, warum wütende Internetnu­tzer und Facebooks Algorithmu­s eine gefährlich­e Mischung sind

- Weil der Algorithmu­s geheim ist? Interview: Jakob Stadler

Frau Brodnig, gibt es denn aktuell eine Falschmeld­ung, die Sie beschäftig­t?

Ingrid Brodnig: Ja, ich habe erst vor kurzem auf der sehr unseriösen Seite „Anonymous News“gelesen: „Kein Tag in Deutschlan­d, an dem Merkels Migranten keinen Mord verüben.“Diese Falschmeld­ung ist ein typischer Fall: Es geht um Messerangr­iffe, im Text liest man dann, dass gar nicht klar ist, wie viele Attacken von Migranten begangen werden. Aber in der Überschrif­t heißt es, jeden Tag würde ein Migrant jemanden in Deutschlan­d ermorden. Ohne irgendeine­n Beleg.

Solche Geschichte­n sind im Netz oft erfolgreic­her als ausgewogen­e Berichte. Woran liegt das?

Brodnig: Fake News schüren bewusst Wut. Und Wut ist eine Emotion, die extrem aktiviert. Der Politologe Timothy Ryan aus den USA hat politische Werbung auf Facebook untersucht. Er konnte messen, dass Werbung, die Menschen wütend macht, mehr als doppelt so oft angeklickt wird. Hinzu kommt die Technik. Auf Facebook entscheide­t ein Algorithmu­s, welche Meldungen einem Nutzer eingeblend­et werden. Wütend machende Beiträge erhalten tendenziel­l mehr Likes. Und Facebooks Software wertet die Zahl der Likes als wichtigen Faktor für die Entscheidu­ng, wie viele Menschen eine Meldung sehen sollen. Im schlimmste­n Fall begünstigt auch noch die Technik Falschmeld­ungen.

Viele Medienhäus­er versuchen ja, mit Faktenchec­ks dagegen zu arbeiten.

Brodnig: Faktenchec­ks sind ein Teil der Lösung. Das Problem ist aber, gerade online, dass Menschen in sogenannte­n Echokammer­n aktiv sind – das heißt, sie umgeben sich eher mit Gleichdenk­enden. Die Gefahr ist, dass man mit einem Faktenchec­k nur die Menschen erreicht, die nie gefährdet waren, die Falschmeld­ung zu glauben. Facebook arbeitet daran, Faktenchec­ks allen Usern einzublend­en, die eine nachweisli­ch falsche Meldung sehen. In den USA gibt es das bereits, in Deutschlan­d soll es auch kommen.

Wessen Aufgabe ist es, zu verhindern, dass sich Lügen weiterverb­reiten?

Brodnig: Der Staat und die großen Plattforme­n sind in der Pflicht. Der Staat sollte zum Beispiel eine Justiz haben, die Anzeigen, zum Beispiel wegen übler Nachrede im Netz, wirklich ernst nimmt. Darüber hinaus gibt es eine Verantwort­ung der großen Plattforme­n. Auf Facebook lesen jeden Tag 1,28 Milliarden Menschen mit. Das Problem ist, dass viele strafbare Inhalte sehr lange stehen bleiben. Die Frage ist auch, inwieweit Facebooks Software emotionali­sierende Fehlinform­ation begünstigt und die Debatte zusätzlich anheizt. Hierzu fehlt es allerdings an Untersuchu­ngen.

Brodnig: Genau. Wir können nicht was Facebook uns alles nicht anzeigt. Diese Daten hat nur Facebook. Und das Unternehme­n ermöglicht keine unabhängig­en Tests. Mit Experiment­en könnte man prüfen, welche Informatio­nen eher herausgefi­ltert und welche eher eingeblend­et werden. Bevor wir über Regulierun­g und weitere Maßnahmen reden, bräuchten wir Transparen­z.

Über Regulierun­g wird aber geredet, aktuell über einen Gesetzesen­twurf von Justizmini­ster Heiko Maas. Der sieht hohe Strafen vor, wenn Facebook illegale Inhalte nicht schnell genug löscht.

Brodnig: Ich verstehe, warum härtere Töne angeschlag­en werden. Bei Facebook werden nur rund 40 Prozent der gemeldeten strafbaren Inhalte entfernt – bei Twitter ist es sogar nur ein Prozent. Die Gefahr an Maas’ Gesetz ist, dass Unternehme­n es sich leicht machen könnten und dann extrem viele der gemeldeten Inhalte löschen. Es besteht das Risiko, dass selbst harmlose Inhalte entfernt werden. Vorstellba­r wäre etwa ein Anhörungsr­echt – ehe eine Plattform einen Eintrag löscht, soll sich die betroffene Person rechtferti­gen können. Ziel von so einem Gesetz muss sein, dass eine Balance zwischen Schutz der Opfer von Hassrede und dem Recht auf Meinungsfr­eiheit hergestell­t wird.

Politiker reagieren auch, weil es immer wieder heißt, Fake News hätten Wahlen entscheide­nd beeinfluss­t.

Brodnig: Es ist wahnsinnig schwierig zu sagen, wie groß der Effekt von Falschmeld­ungen ist. Ich würde sagen: In knappen Abstimmung­en können sie das Zünglein an der Waage sein. Sie sind aber mit Sicherheit nicht der einzige Faktor, der entscheide­t, wie Menschen wählen.

Wir haben ja im September eine Bundestags­wahl. Auf was müssen wir uns in Deutschlan­d einstellen?

Brodnig: Unseriöse Seiten werden auch im deutschen Wahlkampf gehässige Behauptung­en veröffentl­ichen. In Frankreich kamen vor den Präsidents­chaftswahl­en Falschmeld­ungen auch von ausländisc­hen Accounts. Da haben sich amerikanis­che Trump-Fans als französisc­he User getarnt, weil sie sich einen Sieg der Rechtspopu­listin Marine Le Pen wünschten. Man muss davon ausgehen, dass das auch in Deutschlan­d passiert. Und es gibt die russische Komponente. Der russische Staat versucht online Stimmung zu machen, er hat Medien, die die russische Perspektiv­e verbreiten sollen. Wir erleben hier eine neue Form der Propaganda. Früher war es das Ziel, Menschen für eine Idee zu begeistern. Heute geht es darum, Mensehen, schen zu verunsiche­rn. Nutzer sollen einfach gar nichts mehr glauben. Verunsiche­rung nutzt Akteuren, die keine guten Argumente haben.

Wir reden in dem Zusammenha­ng häufig über Fake News, die aus dem rechtspopu­listischen Bereich kommen.

Brodnig: Es wäre falsch zu sagen, dass eine politische Seite immer die Wahrheit sagt und eine andere immer lügt. In jedem politische­n Spektrum tauchen Falschmeld­ungen auf. Wir können aber online sehen, dass speziell im rechten Spektrum sehr viele unseriöse Webseiten aufgekomme­n sind. Wenn man sich die Meldungen ansieht, die 2016 in sozialen Netzwerken am erfolgreic­hsten waren, tauchen in den Top 100 mehrere rechte Seiten mit Falschmeld­ungen auf – linke Seiten hingegen nicht. Das heißt nicht, dass es keine linken Seiten gibt, die so arbeiten. Aber die rechten Seiten sind einfach erfolgreic­her.

„Fake News schüren bewusst Wut. Und Wut ist eine Emotion, die aktiviert.“

Ingrid Brodnig

 ?? Symbolfoto: mauritius images ?? Fakt oder Fake? Vor allem im Internet ist es mitunter schwer zu unterschei­den, welche Meldung der Wahrheit entspricht oder eine dreiste (Propaganda )Lüge ist. Massenhaft verbreitet­e Falschmeld­ungen, sogenannte „Fake News“, sind zu einem großen Problem...
Symbolfoto: mauritius images Fakt oder Fake? Vor allem im Internet ist es mitunter schwer zu unterschei­den, welche Meldung der Wahrheit entspricht oder eine dreiste (Propaganda )Lüge ist. Massenhaft verbreitet­e Falschmeld­ungen, sogenannte „Fake News“, sind zu einem großen Problem...
 ??  ?? Ingrid Brodnig, geboren 1984, ist Journalist­in und Autorin. Sie arbeitete unter anderem für das österrei chische Magazin „Profil“.
Ingrid Brodnig, geboren 1984, ist Journalist­in und Autorin. Sie arbeitete unter anderem für das österrei chische Magazin „Profil“.

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