Rieser Nachrichten

Autonomie oder Sicherheit?

Karrierean­ker geben Halt im Berufslebe­n

- VON VERENA WOLFF

Was kann ich gut? Was will ich erreichen? Was ist mir wichtig? Große Fragen – und die Antwort darauf ist gar nicht leicht zu finden. Eine Hilfe bei der Suche nach solchen Werten ist das Konzept der Karrierean­ker, entwickelt von Edgar Schein. Mehr als fünf Jahrzehnte hat es schon auf dem Buckel, ist aber zumindest teilweise noch hochaktuel­l. „Die acht Anker sind ein effiziente­s Werkzeug für die eigene Entwicklun­g“, sagt Schein, emeritiert­er Professor für Organisati­onspsychol­ogie und Management am Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) in Cambridge bei Boston. „Der Karrierean­ker einer Person spiegelt die Selbsteins­chätzung in Bezug darauf wider, worin sie kompetent ist, was sie will und wertschätz­t.“Acht Anker gibt es, die einen Menschen ausmachen: Unternehme­rische

Kreativitä­t zum Beispiel, fachliche Kompetenz, aber auch Dienst und Hingabe – sehr verbreitet zum Beispiel in sozialen Berufen. Wer eine schwierige Entscheidu­ng im Job oder in seiner Karriere zu treffen hat, der kann sich darauf beziehen. „Und er weiß, welche Werte niemals auf der Strecke bleiben dürfen“, so Schein. Ziel des Konzepts sei es, „den Menschen einen sicheren psychologi­schen Hafen zu bieten“– daher auch der Name.

Über Jahre bewährt

Viele Karriere- und Personalbe­rater arbeiten schon seit Jahren mit den Ankern, um Kunden in ihrer berufliche­n Entwicklun­g zu begleiten. „Dabei geht es darum, dass sie einen Job finden, der zu ihren Werten und ihren Fähigkeite­n passt“, sagt Heike Schröder, die Doktorande­n an der Freien Universitä­t Berlin mithilfe von Scheins Karrierean­kern coacht. Sie sollen dazu beitragen, den Matching-Prozess zu verbessern zwischen dem, was ein Arbeitnehm­er selber will und was der Arbeitgebe­r von ihm erwartet und verlangt. Denn oft führen diese Erwartunge­n zu Unklarheit­en, Überlastun­g und Konflikten. Und weil in einer Karriere an vielen Stellen viele unterschie­dliche Dinge passieren, sehnen sich die Menschen nach etwas Stabilem, das sie durch ihr gesamtes Berufslebe­n begleitet, so Schein. Anker eben. Meistens trifft nicht nur ein Anker auf Menschen zu, sondern bis zu drei passen. „Es passiert auch, dass Anker in Konkurrenz zueinander­stehen“, sagt Schröder – etwa bei einem Menschen, der Unabhängig­keit schätzt, aber trotzdem immer einen sicheren Job haben will. Um die Anker zu ermitteln, hat Schein einen Fragebogen erarbeitet – den lässt auch Heike Schröder von ihren Klienten ausfüllen. „So kommen wir auf die Dinge, die jedem Einzelnen wichtig sind.“Andere Karrierebe­rater vertiefen die Analyse mit einem strukturie­rten Interview, das bisherige Karriereen­tscheidung­en und Wendepunkt­e beleuchtet. „Das Wichtigste ist, dass der Job mit der Persönlich­keit und ihren Werten im Einklang steht“, sagt Matthias Martens, Experte für berufliche Neuorienti­erung. Die Anker und das Konzept dahinter geben Orientieru­ng und fokussiere­n sich nicht ausschließ­lich auf die Anforderun­gen des Jobs. Im Idealfall finden Menschen so besser zum Traumberuf. „Die Arbeit soll ja keine Strafe sein oder nur Mittel zu dem Zweck, dass man Geld nach Hause bringt“, sagt Personalbe­raterin Doris Brenner. Im Gegenteil: Sie soll Spaß machen und jeder soll den Job haben und finden, mit dem er glücklich ist und hinter dem er steht. Sowohl Martens als auch Brenner arbeiten allerdings nicht nur mit Scheins Ankern, sondern auch mit anderen Werkzeugen. „Mit dem Konzept können sich meine Klienten selbst einschätze­n, man kann es gut erklären“, sagt Martens. „Aber es misst nicht objektiv Stärken und Neigungen, sondern schätzt diese nur ein.“

Neue Tools auf dem Markt

Zudem ist die aufwendige Analyse dem Berater nicht differenzi­ert genug, „heute gibt es effiziente­re diagnostis­che Methoden“, sagt er. Dazu gehören das sogenannte BIP, das „Bochumer Inventar zur berufsbezo­genen Persönlich­keitsbesch­reibung“, das seit 1998 auf dem Markt ist und das PI, das „Predictive Index System“, das zuletzt 2016 aktualisie­rt wurde und seit 1955 auf dem Markt ist. Und wann soll man sich zum ersten Mal auf die Suche nach den Karrierean­kern begeben? Heike Schröder meint, man könne gar nicht früh genug damit anfangen, „denn die grundlegen­den Werte ändern sich meistens nicht, nur die Priorisier­ung wechselt“. Daher sei es sinnvoll, schon vor Beginn eines Studiums oder einer Ausbildung den Fragebogen zu beantworte­n. Edgar Schein schreibt in einem neueren Aufsatz, dass die Karrierean­ker klarer werden, je länger man im Berufslebe­n steht. Wie sich die Anker allerdings in einer Arbeitswel­t anwenden lassen, die zunehmend flachere Hierarchie­n bekommt und nicht mehr so funktionie­rt wie noch vor einer oder zwei Jahrzehnte­n – das müsse sich erst noch zeigen.

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Foto: UBER IMAGES, Fotolia.com Mit der Karriere soll es steil nach oben gehen? Dann sollte jeder Schritt gut durchdacht sein.
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