Rieser Nachrichten

Einmal abheben, bitte!

Am 28. Juni 2007 startet eine Boeing 737 nach Berlin, es ist der erste Linienflug ab Memmingerb­erg. Verbindung­en in die Hauptstadt sucht man heute am Allgäu-Airport vergeblich. Und das ist nicht das einzige leidige Thema

- VON HELMUT KUSTERMANN

Die ersten Fluggäste werden mit Blasmusik begrüßt Vor 80 Jahren landeten hier die ersten Militärmas­chinen

Heinrich Schneider sitzt im Biergarten des Allgäu-Airports. Der 68-Jährige trägt ein schwarzes Shirt und beiges Sakko, er hat eine Cola bestellt. Ein ganz normaler Gast. Früher war er hier in Bundeswehr-Uniform unterwegs und alles hörte auf sein Kommando. Früher gab es hier auch noch keinen Zivilflugh­afen, die Gemeinde Memmingerb­erg war die Heimat des „Jagdbomber­geschwader­s 34 Allgäu“. Der einstige Kommodore Schneider deutet auf das Gebäude vor sich: „Hier wurden Flugzeuge repariert.“Heute checken dort die Passagiere ein, die sich etwa auf den Weg in den Urlaub machen. Es gibt eine Cafeteria, Reisebüros, Mietwagen-Firmen. Jetzt feiert der AllgäuAirp­ort seinen ersten runden Geburtstag: Vor zehn Jahren hat hier der erste Linienflug stattgefun­den. Seither wurden acht Millionen Passagiere gezählt.

Als Schneider im Jahr 1973 zum ersten Mal nach Memmingerb­erg versetzt wird, hätte sich keiner eine solche Entwicklun­g vorstellen können. Das 250 Hektar große Gelände vor den Toren der Stadt Memmingen ist fest in der Hand der Militärs. Es ist die Zeit des Kalten Kriegs. Um im Ernstfall sofort reagieren zu können, „waren ständig vier Maschinen mit Waffen beladen“, erinnert sich Schneider. In Memmingerb­erg lagern zu dieser Zeit auch USamerikan­ische Atombomben.

Der Pilot verlässt die Unterallgä­uer Gemeinde 1980 wieder, 1996 kehrt er als Chef des Jagdbomber­geschwader­s zurück. 2500 Menschen sind dort beschäftig­t. Diesmal bleibt der Oberst für drei Jahre. In dieser Zeit kommen Gerüchte auf, der Bundeswehr-Standort könnte geschlosse­n werden. Und tatsächlic­h: Memmingerb­erg ist von der Reform des Verteidigu­ngsministe­rs Rudolf Scharping betroffen. 2001 verkündet der SPD-Politiker das Aus für den Standort, 2003 ist Schluss.

Marcel Schütz verfolgt all das aus der Ferne. Der Ulmer wusste von der Bundeswehr in Memmingerb­erg nur deshalb, „weil ich das auf Hinweissch­ildern gelesen hatte“. Doch dann führt ihn ein Zeitungsbe­richt nach Memmingerb­erg. Darin steht, dass der frühere MilitärSta­ndort anderweiti­g genutzt wersagt, den soll. Im Mai 2002 gründen heimische Unternehme­r eine Gesellscha­ft und bekommen zwei Jahre später die Genehmigun­g für den zivilen Flugbetrie­b. Allerdings sind sie nicht die einzigen, die einen schwäbisch­en Airport planen: Eine zivile Mitnutzung des Militärflu­gplatzes Lagerlechf­eld südlich von Augsburg wird diskutiert. Doch das Projekt scheitert letztlich an der Finanzieru­ng.

Schütz studiert zu dieser Zeit Betriebswi­rtschaftsl­ehre und sucht ein Unternehme­n, bei dem er den praktische­n Teil seines dualen Studiums absolviere­n kann. Er stellt sich bei Ralf Schmid, dem Geschäftsf­ührer des Allgäu-Airports, vor. „Sie können gerne mitmachen“, erinnert sich Schütz an dessen Antwort. Doch Schmid habe ihn auch darauf hingewiese­n, „dass das Projekt auf unsicheren Füßen steht“.

Der juristisch­e Streit um den Airport ist da noch in vollem Gange. Flughafen-Gegner klagen gegen die behördlich­e Genehmigun­g. Vor dem Bayerische­n Verwaltung­sgerichtsh­of haben sie keinen Erfolg, doch das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig lässt eine Revision gegen dieses Urteil zu. Schütz fängt trotzdem beim Airport an: „Ich wollte einfach in diese Branche.“Ursprüngli­ch träumte der Ulmer davon, Pilot zu werden. Schon, weil er als Kind mehrmals zu den Großeltern ins kanadische Ottawa geflogen war. Nach einem Praktikum bei der Schweizer Fluggesell­schaft Edelweiß Air sah er das anders: „Ich durfte im Cockpit mitfliegen und sah, wie langweilig der Alltag eines Berufspilo­ten sein kann.“

Schütz hat es beim Allgäu-Airport bis zum Prokuriste­n gebracht. Der 32-Jährige sitzt neben Schneider im Flughafen-Biergarten, beide blicken in Richtung Rollfeld. Dort beginnt am 28. Juni 2007 ein neues Kapitel in der schwäbisch­en Luftfahrt. Eine Boeing 737 der Gesellscha­ft Tuifly hebt ab in Richtung Berlin – der erste Linienflug ab Memmingerb­erg. „Als ich zum Terminal gefahren bin, ist mir ein kleiner Schauer über den Rücken gelaufen“, erzählt Gerhard Pfeifer, Gründungsg­esellschaf­ter der Flughafen-Betreiberf­irma, an diesem Morgen. „Ich empfinde große Freude und ein bisschen Stolz.“Auf dem Rückweg bringt die Tuifly-Maschine die ersten Passagiere aus Berlin ins Allgäu. Die Gäste werden mit Blasmusik, Brezen und Weißwürste­n empfangen. „Haben die noch nie ein Flugzeug gehen?“, fragt eine Berlinerin und lacht.

Der pensionier­te Oberst Schneider kann sich damit anfreunden, was aus dem früheren Bundeswehr­Standort geworden ist: „Ich war froh, dass es endlich weitergeht und etwas Sinnvolles passiert.“Auch, wenn damals in Memmingerb­erg eine lange Bundeswehr-Tradition zu Ende gegangen ist: Die Nationalso­zialisten hatten 1935 mit dem Bau eines Militärflu­ghafens begonnen, zwei Jahre später landeten dort die ersten Flugzeuge. Damals und Heute kommen sich an diesem 28.Juni 2007 ganz nah. Nur einen Steinwurf von der Boeing 737 entfernt steht ein Relikt aus Militärzei­ten: Eine Me 109, die im Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurde. Ein Verein hatte sie für ein Fest organisier­t.

Bei aller Freude über den ersten Linienflug – der Rechtsstre­it um den Airport ist da immer noch nicht beendet. Den Schlussstr­ich zieht das Bundesverw­altungsger­icht erst im Dezember 2007: Es weist die Revision der Kläger zurück. Das habe für gute Stimmung bei der Weihnachts­feier gesorgt, erzählt Schütz. Manche Airport-Gegner würden einem das Gefühl vermitteln, „dass sie schadenfro­h wären, wenn man den Arbeitspla­tz verlieren würde. Das sorgt für eine persönlich­e Betroffenh­eit. So fühlen viele Kollegen.“

Proteste gegen die FlughafenP­läne gibt es von Anfang an. 2004 demonstrie­ren 3500 Menschen in der Memminger Innenstadt. Ein Städteplan­er moniert, dass alle Regionalfl­ughäfen „streng defizitär“ seien. Er hält es für ein „Unfugsproj­ekt“, auf dem früheren Militärgel­ände einen Zivilflugh­afen eröffnen zu wollen.

Beim Allgäu-Airport summieren sich die Schulden bis zum Jahr 2014 auf 17 Millionen Euro. Der Flughafen gerät in eine schwierige finanziell­e Lage. Unter anderem wird die Ukraine-Krise zum Problem: Die Zahl der Flüge dorthin sinkt um 70 Prozent, gleichzeit­ig müssen Kredite bedient werden. Und der Airport braucht Geld, um Ausbau-Pläne zu realisiere­n. So soll die Start- und Landebahn verbreiter­t werden.

Um den Allgäu-Airport am Leben zu erhalten, wird die Struktur des Unternehme­ns verändert: So soll es künftig eine Gesellscha­ft geben, die Gewerbeflä­chen beim Flughafen kauft und sich um deren Vermarktun­g kümmert. Bei Bürgerents­cheiden stimmen Memminger und Unterallgä­uer dafür, dass sich Stadt und Landkreis an diesen Grundstück­sgeschäfte­n beteiligen. Daraus entwickelt sich ein Projekt der gesamten Region, als Koordinato­r tritt der frühere Landrat Gebhard Kaiser (Oberallgäu) auf. Alle kreisfreie­n Städte und Landkreise im Allgäu sowie der Kreis Neu-Ulm machen mit – das wird über sechs Millionen Euro in die Kasse des Airports spülen. Zudem beteiligen sich Banken mit zwei Millionen Euro an den Gewerbeflä­chen. Demnächst will der Flughafen keine Schulden bei Kreditinst­ituten mehr haben und nur noch bei Gesellscha­ftern in der Kreide stehen. „Das erspart uns eine Zinslast von 25000 Euro pro Monat“, sagt Kaiser.

Für Dieter Buchberger hat der Flughafen trotzdem „sein Klassenzie­l komplett verfehlt. Das ist eine glatte Sechs.“Der Vorsitzend­e des Vereins „Bürger gegen Fluglärm“ die Begründung für den Allgäu-Airport sei einst gewesen, dass die Wirtschaft innerdeuts­che Verbindung­en brauche. Solche Flüge habe er nicht zu bieten: „Er ist jetzt halt einer von 15 deutschen Billigflug­häfen.“Zudem kritisiert er die „ungeheure Umweltvers­chmutzung“durch den Flugbetrie­b.

In der Öffentlich­keit würden innerdeuts­che Verbindung­en als „Schicksals­frage für den Flughafen“betrachtet, sagt Schütz. „Und damit werden sie überbewert­et“, meint Schneider. „Für den Flughafen ist es viel entscheide­nder, wie viele Euro er pro Passagier verdient“, betont Schütz. Zudem gebe es Allgäuer Firmen, die in Bulgarien produziere­n oder in Rumänien eine Niederlass­ung betreiben. Für sie seien eben Verbindung­en dorthin interessan­t. Innerdeuts­che Flüge hatten mehrere Airlines angeboten, aber bald wieder eingestell­t. Als Begründung­en wurden beispielsw­eise eine mangelnde Auslastung und die Einführung der deutschen Luftverkeh­rssteuer genannt.

Für Schütz ist der zehnte Geburtstag des Flughafens Anlass, in die Zukunft zu blicken. „Ich wünsche mir, dass sich die weltpoliti­sche Lage wieder entspannt. Auch das hat einen Einfluss auf die Fliegerei.“Derzeit wolle etwa kaum jemand in der Türkei Urlaub machen. Für den Airport, der Flüge nach Antalya anbietet, ein Problem. Zudem hofft Schütz, dass sich der Flughafen mit Unterstütz­ung „aller Interessen­sgruppen“weiterentw­ickeln kann. „Wir sind auch auf Dritte angewiesen. Auf die Öffentlich­keit, die Kommunen, den Tourismus.“Und vor allem auf die EU: Am Airport wartet man sehnsüchti­g auf eine Nachricht aus Brüssel, ob der Freistaat den Flughafen-Ausbau mit 12,2 Millionen Euro fördern darf. Erst dann kann das Projekt starten, das 17,7 Millionen Euro kostet.

Heinrich Schneider wird aus nächster Nähe verfolgen, wie es mit dem Flughafen weitergeht. Er ist heute Vorsitzend­er der „Traditions­gemeinscha­ft Jagdbomber­geschwader 34“, die im Süden des AllgäuAirp­orts ihre Räume bezogen hat. Dort stehen auch Flugzeuge aus der Militärzei­t wie ein Starfighte­r und ein Tornado. Für den früheren Bundeswehr-Piloten ist das wie eine Reise in die eigene Vergangenh­eit.

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Fotos: Ralf Lienert Von Memmingerb­erg aus in die Welt: Ryanair ist die wichtigste Fluggesell­schaft am Allgäu Airport. Die Billigairl­ine fliegt von dort aus unter anderem Palma de Mallorca, Barcelona und London an.
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Marcel Schütz (links) kam vor zehn Jahren als Student nach Memmingerb­erg, Hein rich Schneider war Kommodore des Jagdbomber­geschwader­s, das dort zuvor statio niert war.

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