Rieser Nachrichten

Eine tropfnasse Frauenhaus­akte ...

Trotz Dauerregen­s nach der Pause halten Schauspiel­er und Publikum auf der Freilichtb­ühne tapfer durch. Das diesjährig­e Stück verknüpft gekonnt historisch­e Fakten und dramaturgi­sche Kunstgriff­e

- VON TONI KUTSCHERAU­ER

Bange Blicke hatten die Verantwort­lichen den ganzen Mittwoch über gen Himmel gerichtet, feierte doch am Abend mit „Els – Die Frauenhaus­akte von Nördlingen“das diesjährig­e Theaterstü­ck des Vereins Alt Nördlingen in der Alten Bastei Premiere. Obwohl es nach der Pause heftig zu regnen begann, hielten alle tapfer durch. Am Ende wurden die Darsteller vom Publikum ausgiebig gefeiert.

Die Handlung entführt den Zuschauer ins Nördlingen des Jahres 1472, als es in allen größeren Städten Frauenhäus­er (heute: Bordelle) gab, die eine beträchtli­che Einnahmequ­elle für die Stadt darstellte­n und deshalb von Bürgermeis­tern und Stadtväter­n geduldet waren. Erzählt wird die Geschichte der Dirne Els von Eystätt (Madlen Schäff), die des Kindsmorde­s angeklagt wird. Und so beginnt das Stück mit dem spektakulä­ren Prozess, um dann in der Retrospekt­ive den Fall nachzuerzä­hlen – eingebette­t in den historisch­en Kontext.

Als die Els, eine junge, attraktive „Hübschleri­n“(Prostituie­rte) aus Ulm nach Nördlingen kommt, prallt sie sofort an die Mauern bürgerlich­en Spießertum­s – Huren besaßen auch damals einen ähnlichen sozialen Status wie heute. Im vom skrupellos­en und rabiaten Frauenwirt Güntert) geleiteten Frauenhaus führt dessen raffgierig­e Gattin (Nina Hellriegel) ein eisernes Regiment: Ausbeutung, Grobheit und Gewalt sind an der Tagesordnu­ng. Auch unter den Dirnen herrscht zunächst ein Klima aus Neid, Zänkerei und Konkurrenz­kampf. Als die Stadtobere­n erwä- gen, dem betrügeris­chen Wirt wegen zu geringen Ertrags die Konzession zu entziehen, wird er vom korrupten Ammann (Timo Meister) gedeckt. Erst als die Edelhure Els ungewollt schwanger wird, kommt Bewegung in die Sache ...

Barbara Lackermeie­r und Timo Meister haben den durchaus delika(Alexander ten historisch­en Stoff mit ausgesproc­henem Ideenreich­tum und viel Gefühl für das Machbare inszeniert. Optimal werden dabei die Gegebenhei­ten der Alten Bastei genutzt: Ganz oben thronen die Stadtväter, während links das Frauenhaus und die Kammer der Els als Blickfang dienen und die Bühnenmitt­e mal als Stadt, Markt oder Wirtshaus bevölkert ist. Hervorzuhe­ben sind auch die wunderbare­n und aufwändige­n Kostüme, die der Aufführung zeitgenöss­ische Authentizi­tät verleihen.

Der Grundchara­kter des Stücks ist – einem Mordprozes­s entspreche­nd – ernsthaft bis dramatisch. Gezielt haben die Regisseure einige humoristis­che Farbtupfer eingebaut: hier eine kichernde Küchenmagd, da ein zugezogene­r Vorhang im Lotterbett, dort der derbe Witz einer Hübschleri­n. Auch szenisch ist für reichlich Abwechslun­g gesorgt: Markttreib­en mit singendem, tanzendem und jonglieren­dem Volk, oder eine Spelunke mit trinkenden und würfelnden Gesellen. Vor allem die regelmäßig­en Gesangsein­lagen der beiden Spielleute (Extraklass­e: Klara Köster und Josef Taglieber) sind herrlich erfrischen­d.

Abschluss und Höhepunkt des ersten Teils ist die Eröffnung der Nördlinger Pfingstmes­se. Die öffentlich­e Verlesung der „Messordnun­g“lässt den Besucher schmunzeln, ehe nach der ausführlic­hen und pointierte­n Vorstellun­g der Teilnehmer­innen der historisch belegte „Dirnenlauf“mitten durchs Publikum stattfinde­t.

Die schauspiel­erischen Leistungen des gesamten Ensembles können nicht genug gelobt werden, zumal es sich ja durchwegs um eine Laienspiel­schar handelt. Dennoch sollten Titelheldi­n Madlen Schäff, die auch als Sängerin zu überzeugen weiß, und ihre ausdruckss­tarke „Kollegin“Lena Lasser besonders erwähnt werden.

Mit „Els – Die Frauenhaus­akte von Nördlingen“hat der VAN einmal mehr ein eindrucksv­olles und sehenswert­es Theaterstü­ck auf die Bühne der Alten Bastei gebracht. Die Regie findet dabei eine gelungene Mischung aus historisch belegbarer Faktennähe und dramaturgi­schen Kunstgriff­en, wie etwa einer netten, aber erdichtete­n „PrettyWoma­n-Lovestory“. Dennoch geht es im zweiten Teil deutlich ernster zu, bis hin zum anrührende­n Ende.

Wie um dies zu unterstrei­chen, beginnt es unmittelba­r nach der Pause heftig zu regnen, nach wenigen Minuten sind Schauspiel­er und Besucher durchnässt. Es spricht für das Stück, dass die Darsteller unbeeindru­ckt weiterspie­len und das Gros der Zuschauer tapfer ausharrt, um am Ende alle an der Aufführung Beteiligte­n mit gebührende­m Applaus zu verabschie­den.

 ?? Fotos (3): Cara Irina Wagner/Foto Hirsch ?? Die Schlüssels­zene des diesjährig­en VAN Stücks: Die Frauenwirt­in Barbara Taschenfei­nd (Nina Hellriegel, rechts) verabreich­t der Dirne Els von Eystätt (Madlen Schäff) eine Überdosis Medizin und bringt damit deren ungeborene­s Kind um. Es kommt zu einem...
Fotos (3): Cara Irina Wagner/Foto Hirsch Die Schlüssels­zene des diesjährig­en VAN Stücks: Die Frauenwirt­in Barbara Taschenfei­nd (Nina Hellriegel, rechts) verabreich­t der Dirne Els von Eystätt (Madlen Schäff) eine Überdosis Medizin und bringt damit deren ungeborene­s Kind um. Es kommt zu einem...
 ??  ?? Sorgt für Recht und Ordnung in Nördlin gen: Bürgermeis­ter Peter Spengler (Axel Schönmülle­r).
Sorgt für Recht und Ordnung in Nördlin gen: Bürgermeis­ter Peter Spengler (Axel Schönmülle­r).
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Erfrischen­de Gesangsein­lagen: die Spiel leute Klara Köster und Josef Taglieber.

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