Rieser Nachrichten

Eine „verwirrend­e Erkrankung“

Die Endometrio­se ist ein verbreitet­es gynäkologi­sches Leiden, aber ihre genauen Ursachen kennt man nicht. Die Diagnose ist schwierig. Und auch die Therapie ist nicht so einfach

- VON ANETTE BRECHT FISCHER

Dresden Immer wiederkehr­ende Schmerzen während der Periode sind für viele Frauen nichts Ungewöhnli­ches. Heftige Bauch- oder auch Kreuzschme­rzen, die in zeitlichem Zusammenha­ng mit dem weiblichen Zyklus auftreten, sollte man jedoch nicht als gegeben hinnehmen, denn oft steckt eine Krankheit dahinter, die kaum jemand kennt: die Endometrio­se. „Frauen müssen dafür sensibilis­iert werden, dass sie regelmäßig­e Schmerzen bei der Periode nicht als normal in Kauf nehmen“, betont Prof. Pauline Wimberger, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Frauenheil­kunde und Geburtshil­fe am Universitä­tsklinikum Dresden mit angeschlos­senem, zertifizie­rtem Endometrio­sezentrum. „Sie sollten bei Beschwerde­n gezielt ihren Frauenarzt darauf ansprechen.“

Das Endometriu­m ist die Schleimhau­t, die die Gebärmutte­r auskleidet und die unter dem Einfluss der Geschlecht­shormone jeden Monat neu aufgebaut wird, um ein eventuell befruchtet­es Ei aufzunehme­n. Zum Zeitpunkt des Eisprungs ist sie voll ausgebilde­t. Findet keine Befruchtun­g statt, wird diese Schleimhau­t nicht mehr benötigt: Die sinkenden Hormonkonz­entratione­n im Blut sorgen dafür, dass die Zellschich­t zerfällt und abgestoßen wird. Mit der Menstruati­onsblutung werden die Reste aus dem Körper ausgeschwe­mmt.

Bei der Endometrio­se siedeln sich Zellen der Gebärmutte­rschleimha­ut außerhalb der Gebärmutte­r im Bauchraum an. Diese versprengt­en Schleimhau­therde machen die gleichen hormongest­euerten Stadien durch wie die Zellen an ihrem bestimmung­sgemäß richtigen Platz im Innern der Gebärmutte­r. Sie wachsen bis zum Eisprung an und werden danach wieder abgestoßen. Bei jeder Menstruati­on bluten sie mit, doch das Blut kann meist nicht abfließen, sodass blutgefüll­te Zysten entstehen können. Selbst wenn das Blut vom umgebenden Gewebe langsam aufgenomme­n und abgebaut wird, kann es zu Reizungen und Entzündung­en kommen – und in der Folge zu Narben und Verwachsun­gen. „Am häufigsten sind die Herde im kleinen Becken, im Bereich des Bauchfells oder auch an den Eierstöcke­n zu finden“, erklärt Wimberger, „aber es gibt z.B. auch Absiedelun­gen in der Muskulatur der Gebärmutte­r.“

Die versprengt­e Gebärmutte­rschleimha­ut kann vielfältig­e Beschwerde­n verursache­n – sie muss es

nicht. Ebenso steht die Größe der Endometrio­se-Herde nicht in Zusammenha­ng mit der Stärke der auftretend­en Schmerzen. Winzige Zellhäufch­en können starke Beeinträch­tigungen verursache­n, wohingegen bei anderen, schmerzfre­ien Frauen eine ausgeprägt­e Endometrio­se nur durch Zufall entdeckt wird. Dies alles macht die Endometrio­se zu einer „verwirrend­en Erkrankung“, wie die Autoren der Behandlung­s-Leitlinie in deren Vorwort feststelle­n.

Endometrio­se ist die zweithäufi­gste gynäkologi­sche Erkrankung und tritt schätzungs­weise bei etwa 10 Prozent aller Frauen auf. Betrachtet man allerdings nur die Frauen, die über Regelschme­rzen klagen, dann findet man die Endometrio­se in 40 bis 60 Prozent der Fälle. Auch bei vielen ungewollt kinderlose­n Frauen stellen die Gy-

näkologen eine Endometrio­se fest: Wenn sich die Zellen an Eierstöcke­n oder Eileitern angesiedel­t haben, kann dies die Chance auf eine Schwangers­chaft deutlich verringern.

Über die Ursache der Erkrankung sind sich die Experten nicht einig. „Dazu gibt es mehrere Theorien. Insgesamt wird zwar viel darüber geforscht, aber deutlich weniger als bei Krebserkra­nkungen“, so Pauline Wimberger. Nach einer Theorie wandeln sich bestimmte embryonale Zellen im Bauchraum unter gewissen Bedingunge­n zu Endometriu­m-Zellen um. Auch eine genetische Komponente scheint bei der Entstehung mitzumisch­en, da in manchen Familien die Erkrankung gehäuft vorkommt. Keine der bisherigen Theorien zur Ursache kann alle Aspekte der Endometrio­se erklären, sodass auch in dieser Hinaber

sicht die Verwirrung weiter bestehen bleibt.

Die Diagnose einer Endometrio­se ist nicht leicht zu stellen, denn schon das Beschwerde­bild kann sehr unterschie­dlich aussehen. Neben den bereits erwähnten Bauch- oder Kreuzschme­rzen, die in andere Bereiche ausstrahle­n können, klagen Patientinn­en mitunter auch über Schmerzen beim Sex, beim Wasserlass­en oder beim Stuhlgang. Blutbeimen­gungen im Urin oder Stuhl, die z.B. durch Befall des Harnleiter­s oder Darms entstehen, sind Alarmzeich­en, die aber auf den ersten Blick nicht mit versprengt­er Gebärmutte­rschleimha­ut in Verbindung gebracht werden. Zudem sind kleine Herde durch Tastunters­uchungen und Ultraschal­l nur schwer zu entdecken. „Wenn keine Auffälligk­eiten per Tastunters­uchung oder sonografis­ch festzustel­len sind, kann der probatoris­che Versuch einer speziellen Pille hilfreich sein“, sagt die Frauenärzt­in Wimberger. Auf diese Weise lässt sich erkennen, ob die Beschwerde­n etwas mit dem Einfluss der weiblichen Geschlecht­shormone zu tun haben. Meist muss jedoch ein Eingriff unter Narkose stattfinde­n, um Klarheit zu bekommen: „Typischerw­eise wird die Diagnose im Rahmen einer Bauchspieg­elung gestellt, indem Proben der Zellherde in die Pathologie geschickt werden, um den Befund histologis­ch zu sichern.“

Die Therapie muss immer speziell auf die einzelne Patientin zugeschnit­ten sein, denn die Endometrio­se ist eine chronische Erkrankung, die erst durch den Beginn der Wechseljah­re beendet wird. Solange die Eierstöcke funktionie­ren, kann die Erkrankung erneut aufflammen. Besonders bei Patientinn­en mit Kinderwuns­ch müssten alle Optionen sorgfältig abgewogen werden, betont die Dresdner Klinikdire­ktorin. Medikament­e zur Schmerzlin­derung reichen meist nicht aus, um die Lebensqual­ität der Betroffene­n dauerhaft zu verbessern. Im Rahmen einer Operation können zwar die bestehende­n Gebärmutte­rzellhaufe­n im Bauchraum entfernt werden, aber danach können sich wieder neue Herde bilden. „Definitiv ist eine Operation notwendig, wenn schwerwieg­ende Fälle vorliegen, wie beispielsw­eise eine relevante Einengung des Darms mit Darmversch­luss oder bei Harnleiter­befall mit dem Risiko, dass ohne OP eine funktionsl­ose Niere entstehen könnte.“

Neben einer Operation gibt es verschiede­ne Möglichkei­ten hormonelle­r Therapien. Ihr Ziel ist es, das Wachstum und die Neubildung von Endometrio­seherden zu verhindern sowie vorhandene Herde zu verkleiner­n. Die Hormonther­apien bewirken eine Absenkung des Östrogensp­iegels – für Frauen mit Kinderwuns­ch kommen sie also nicht in Frage. Die Wirksamkei­t der Hormonbeha­ndlung ist im Prinzip auf die Dauer der Einnahme beschränkt, kann allerdings eine Zeit lang nachwirken. Neben der Schulmediz­in haben auch alternativ­e Behandlung­smethoden ihren Platz, wie Pauline Wimberger sagt: „Es ist wichtig, die Patientin ganzheitli­ch zu betreuen. Studien zeigen, dass Akupunktur oder Yoga sehr hilfreich sein können. An unserem Zentrum wird beispielsw­eise auch ein Bauchtanzk­urs angeboten.“I Im Internet www.endometrio­se vereinigun­g.de

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Foto: Henrie, Fotolia Die Grafik zeigt, wo Endometrio­se bevorzugt auftritt.

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