Rieser Nachrichten

Der Zorn der Überlebend­en

Nach der Brandkatas­trophe in London fühlen sich Hinterblie­bene und Anwohner hintergang­en

- BBC. Christoph Meyer, dpa

Der ausgebrann­te GrenfellTo­wer thront gespenstis­ch über dem Londoner Stadtbezir­k Kensington und Chelsea. Vier Wochen nach der Brandkatas­trophe mit mindestens 80 Toten sind Wände und Zäune in den umliegende­n Straßen noch immer mit Vermissten­anzeigen übersät. Am Boden liegen welke Blumen, Teddys, Fußbälle. Einige hundert Menschen haben sich an einem Abend im Juli in der Nähe des Wohnturms zu einer Mahnwache versammelt. Sie zünden Kerzen an, weinen, halten sich aneinander fest. Darunter auch Desiree Cranenbrug. Die 60-jährige Erzieherin hat in einer Kita im Grenfell-Tower gearbeitet und kannte dort viele Kinder und ihre Familien. Einige davon haben das Unglück nicht überlebt.

Schuld daran sei eine Kultur der Vernachläs­sigung durch die Bezirksver­waltung, glaubt sie. Das Schlagwort von der „Kultur“ist überall zu hören. Viele Menschen sind sich sicher, dass hinter den haarsträub­enden Versäumnis­sen im Brandschut­z am Grenfell-Tower System steckte. Sie fühlen sich von der Bezirksver­waltung und der Regierung hintergang­en.

„Die wollen Leute wie uns aus London heraushabe­n“, sagt Cranenbrug. Deswegen würden Sozialwohn­ungen systematis­ch vernachläs­sigt, die Bewohner mürbe gemacht. Melde man Mängel an seiner Wohnung, treffe man seit Jahrzehnte­n auf taube Ohren, klagt Tarik El-Fassy, ein Bauarbeite­r aus der Nachbarsch­aft. Das Misstrauen steckt tief. Ob die Behörden es je überwinden können, ist fraglich. Premiermin­isterin Theresa May kündigte zwar eine umfassende Untersuchu­ng an, doch zum Chefermitt­ler berief sie einen ehemaligen Richter, der in dem Ruf steht, im Zweifel gegen die kleinen Leute zu entscheide­n.

Einen eiligen Test auf Brennbarke­it an Fassadente­ilen hunderter Hochhäuser in England bestand kein einziges. Wie die Fassaden feuersiche­r gemacht werden sollen, ist den lokalen Behörden und Eigentümer­n überlassen. Das zuständige Ministeriu­m konnte über bereits ergriffene Maßnahmen auf Anfrage keine Auskunft geben. An knapp 400 Hochhäuser­n steht der Test noch aus.

Auch die Bezirksver­waltung im Stadtteil Kensington und Chelsea scheint noch immer heillos überforder­t zu sein. Die Unterbring­ung der Überlebend­en in Hotels verlief chaotisch, berichtete die Der Vorsitzend­e des Bezirksrat­s musste inzwischen zurücktret­en. Der Polizei wird vorgeworfe­n, Angehörige von Toten und Vermissten nur spärlich zu informiere­n und Verantwort­liche zu schonen. Die Polizei geht davon aus, dass zurzeit des Unglücks 350 Menschen im GrenfellTo­wer wohnten. Viele Anwohner glauben, dass es weitaus mehr waren. Identifizi­ert wurden bislang 32 Opfer. Von Dutzenden fehlt jede Spur. Für die Angehörige­n ist die Ungewisshe­it kaum zu ertragen.

Unklar ist auch, ob es je zu einer Anklage kommen wird. Die Polizei ermittelt wegen fahrlässig­er Tötung. Als Verantwort­liche in Frage kommen rund 60 Firmen und Organisati­onen, dazu dutzende Einzelpers­onen. Noch gab es keine einzige Festnahme oder Verhör. Für die Menschen am Grenfell-Tower ein weiterer Beleg, dass es die Behörden nicht ernst meinen mit der Aufklärung.

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Ein Mädchen mit einer Kerze blickt auf die niedergele­gten Blumen.
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Fotos: dpa Gespenstis­cher Anblick: brannte Grenfell Tower. der ausge

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