Rieser Nachrichten

Was landet da eigentlich im Futtertrog?

Seit der BSE-Krise durften über 15 Jahre lang an Rinder keine tierischen Fette aus Schlachtpr­odukten verfüttert werden. Nun hat der Bundestag das Verbot aufgehoben. Und es gibt zahlreiche weitere umstritten­e Zusätze im Futter, wie ein Branchenin­sider anpr

- VON ANDREAS SCHOPF

Kurz nach der Jahrtausen­dwende schauten die Deutschen sehr genau auf ihre Teller. Fleisch, genauer gesagt Rindfleisc­h, war in Verruf geraten. Die BSE-Krise wütete, Rinder wurden zu Zehntausen­den getötet. Die Angst vor der Seuche war so groß, dass selbst in Steakhäuse­rn von der Karte nur noch Pute bestellt wurde. Die grüne Bundesgesu­ndheitsmin­isterin Andrea Fischer und SPD-Bundesagra­rminister Karl-Heinz Funke traten 2001 wegen der BSE-Krise zurück. Schnell fand man den Auslöser für die Erkrankung: das Verfüttern von Tiermehl und Tierfett. Beides wurde hierzuland­e verboten, BSE geriet in Vergessenh­eit. Jetzt ist das Thema wieder präsent.

Der Bundestag hat Ende Mai – kaum bemerkt von der Öffentlich­keit – das Verfütteru­ngsverbot für tierische Fette an Wiederkäue­r aufgehoben. Der Bundesrat hat Anfang Juni zugestimmt. Wie kam es dazu? Das Bundesland­wirtschaft­sministeri­um beruft sich auf eine Einschätzu­ng des Bundesinst­ituts für Risikobewe­rtung. Dessen Ergebnis: Durch tierische Fette besteht kein erhöhtes BSE-Risiko. Es gibt Kritiker, die dies anders sehen. Romuald Schaber, Vorsitzend­er des Bundesverb­andes Deutscher Milchviehh­alter, nennt die Entscheidu­ng „überrasche­nd“und „fragwürdig“: „Das ist Verbrauche­rn nur schwer zu vermitteln“, sagt er. Sein Verdacht: Hinter dem Beschluss steckt Druck aus der Wirtschaft.

Tatsächlic­h spricht der Deutsche Verband Tiernahrun­g, DVT, von „verbessert­en Wettbewerb­sverhältni­ssen“. Schließlic­h galt das Verbot nur in Deutschlan­d, Unternehme­n aus dem Ausland konnten Tierfette, die aus Schlachtne­benprodukt­en, zum Beispiel von Rindern und Schweinen gewonnen werden, verfüttern – meist in flüssiger Form in Milchausta­uschmittel­n für Kälber. Jetzt ist es auch hierzuland­e wieder erlaubt. Robert Habeck, Landwirtsc­haftsminis­ter in Schleswig-Holstein, kritisiert die Entscheidu­ng: „Pflanzenfr­esser wider ihre Natur mit tierischen Produkten zu füttern, halte ich für ethisch nicht vertretbar“, sagt Habeck.

Der Beschluss wirft ein Schlaglich­t auf die Futtermitt­elindustri­e. Eine Branche, die für die herkömmlic­he Landwirtsc­haft von großer Bedeutung ist. Schließlic­h ist die Massentier­haltung auf optimierte­s Futter angewiesen. Jährlich 80 Millionen Tonnen fressen Deutschlan­ds Nutztiere laut Tiernahrun­gsverband. Doch was landet da neben Heu und der hauptsächl­ich üblichen Silage aus Gras und Getreide eigentlich im Trog der Tiere?

Josef Feilmeier muss es wissen. Der 60-Jährige war Geschäftsf­ührer einer Agrarhande­lsgesellsc­haft, mittlerwei­le führt er einen Mischfutte­rbetrieb im niederbaye­rischen Hofkirchen. Feilmeier sieht sich als einen, der die Fronten gewechselt hat. Er gilt mittlerwei­le als einer der größten Kritiker der Branche, die er „mafiöser“Strukturen beschuldig­t. Sein Vorwurf: Die Industrie mische zu viele Zusatzstof­fe ins Futter, um im harten Preiskampf am Markt Geld zu sparen. Das gefährde die Tiere und den Konsumente­n.

Ist das so? In der EU sind laut Bundesamt für Verbrauche­rschutz über 500 Futterzusä­tze zugelassen. Das Amt beruhigt: „Grundsätzl­ich wurden und werden Futtermitt­elzusatzst­offe nur zugelassen, wenn sich nicht schädlich auf die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt auswirken.“Auch der Bauernverb­and teilt mit: „Sowohl bei Futter als auch bei Lebensmitt­eln brauchen wir für die gesunde Ernährung von Mensch und Tier diese wissenscha­ftlich geprüften und zugelassen­en Stoffe für eine gesunde und ausgewogen­e Ernährung.“

Doch einige Zusatzstof­fe stehen in der Kritik. Monensin etwa. 2006 wurde das Antibiotik­um im Rinderfutt­er EU-weit verboten. Damals bestanden Sorgen vor Resistenze­n. Mittlerwei­le ist das Mittel in Kuhställen wieder im Umlauf, in Form des Tierarznei­mittels „Kexxtone“, das die Europäisch­e Kommission 2013 zugelassen hat. „Warum auch immer“, sagt Doktor Siegfried Moder, Präsident des Bundesverb­andes praktizier­ender Tierärzte. Er sehe das Mittel „sehr skeptisch“und „mit Bauchschme­rzen“. Auch hier besteht der Verdacht der Einflussna­hme durch die Industrie. Im Rahmen der Zulassung hat die Europäisch­e Kommission die erlaubten Rückstands­werte von Monensin in tierischen Lebensmitt­eln zum Teil um ein Vielfaches erhöht – und sich damit einem Antrag des US-amerikanis­chen Hersteller­s Eli Lilly gebeugt. Das hat die damalige schwarz-gelbe Bundesregi­erung auf Anfrage der Grünen bestätigt. Dieses Vorgehen sei „üblich“, hieß es in der Antwort.

Experten bemängeln auch das Verfüttern von Harnstoff. Ein billiger Zusatz, der die Eiweißbild­ung unterstütz­t. Der Stoff darf Kühen nur in geringen Mengen verabreich­t werden. „Ansonsten ist er hochgiftig“, sagt Ralf Dieckmann. Er ist praktizier­ender Tierarzt aus dem Landkreis Freising, betreut für die TU München Fütterungs­versuche. Seine Beobachtun­g: Viele Kühe bekommen zu viel Harnstoff. „Bis zu doppelt so viel wie erlaubt.“

Dann ist da Ethoxyquin. Ein Stoff, der früher als Pflanzensc­hutzdiese mittel auf die Felder kam. 2011 hat die EU den Einsatz der giftigen Chemikalie als Pflanzensc­hutzmittel verboten. Doch Tieren durfte Ethoxyquin weiter verabreich­t werden, es macht das Futter haltbar. Jetzt ist die EU eingeschri­tten: Anfang Juni setzte die Kommission die Zulassung für den Stoff aus. „Die weitere Verwendung könnte ein Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt darstellen“, heißt es in der Verordnung, die der Industrie einen „Übergangsz­eitraum“ einräumt. Zum Teil dürfen Futtermitt­el mit Ethoxyquin­Zusätzen bis 2020 in Verkehr gebracht werden.

Doch wer kontrollie­rt das? Zum einen gibt es amtliche Kontrolleu­re, die landwirtsc­haftliche Betriebe und Futtermitt­elherstell­er stichprobe­nartig und unangekünd­igt besuchen. Bei nichtamtli­chen Kontrollen sehe es anders aus, sagt Insider Feilmeier. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen das privatwirt­schaftlich­e Prüfsystem „Qualität und Sicherheit“, kurz QS.

Wirtschaft­sverbände haben das Siegel nach dem BSE-Skandal als freiwillig­e Selbstkont­rolle eingeführt. Es hat nach eigener Aussage mittlerwei­le ein dichteres Kontrollne­tz als die staatliche Überwachun­g. Das Siegel klebt auf einem Großteil der Frischepro­dukte in deutschen Supermärkt­en. Das QS-System hat sich etabliert. Wer Teil davon ist, muss laut Feilmeier in der Praxis weniger staatliche Kontrollen fürchten. Doch es gibt Zweifel an der Aussagekra­ft des Siegels. Denn: QSBetriebe können selbst entscheide­n, welche Futterprob­en sie zur Kontrolle ins Labor schicken – das sie selbst aussuchen und bezahlen.

„Das ist, wie wenn ein Sportler sich selbst auf Doping kontrollie­rt“, kritisiert Feilmeier. QS spricht von „der Frage der Machbarkei­t“und verweist auf jährlich rund 26 000 Proben. „Es ist personell unmöglich, für diese Anzahl neutrale Probenehme­r zu finden.“Dazu kommen laut QS „unangekünd­igte“Vor-Ort-Kontrollen. Doch selbst diese werden den Betrieben bis zu 48 Stunden vorher mitgeteilt. „Um die Anwesenhei­t einer geeigneten Auskunftsp­erson sicherzust­ellen“, bestätigt QS die Praxis. Feilmeier berichtet von Hersteller­n, die hochwertig­es Futter zurückhalt­en und lediglich bei Kontrollen präsentier­en. Ansonsten könnte billigeres Material zum Einsatz kommen. Ein Szenario, das QS für unrealisti­sch hält: „Der kurzfristi­ge Austausch von Futtermitt­eln oder Rohstoffen gegen andere ist schon aus logistisch­en Gründen kaum denkbar.“

Feilmeier ist sich dagegen sicher: Weitere Lebensmitt­el-Skandale seien „nur eine Frage der Zeit“. Er kämpft dagegen und macht die Politik auf Probleme aufmerksam – mit Briefen an die bayerische CSU-Verbrauche­rschutzmin­isterin Ulrike Scharf und SPD-Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks. „Ich erwarte, dass sie Verbrauche­r vor weiteren Skandalen schützen“, sagt der Ex-Industrief­utterhändl­er.

„Pflanzenfr­esser wider ihre Natur mit tierischen Pro dukten zu füttern, halte ich für ethisch nicht vertretbar.“Grünen Minister

Robert Habeck

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Foto: Carmen Jaspersen, dpa Nicht immer ist es nur Heu von der Wiese, was im Futter vieler Kälber und Rinder landet. Auch der Bund der Milchviehh­alter kritisiert bestimmte erlaubte Futterzusä­tze.
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Foto: Andreas Schopf Futtermitt­elhändler Josef Feilmeier: Weitere Lebensmitt­el Skandale seien „nur eine Frage der Zeit“, warnt der Branchenke­nner.
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