Rieser Nachrichten

Was hat der Münchner Amoklauf verändert?

Vor einem Jahr erschoss ein psychisch gestörter Jugendlich­er neun Menschen. Innenminis­ter Joachim Herrmann erzählt, wie er den „schwarzen Juli“erlebte, in dem auch der islamistis­che Terror Bayern erreichte

-

Vor einem Jahr erschütter­te ein „schwarzer Juli“Bayern. Erst das islamistis­ch motivierte Axt-Attentat in einem Zug bei Würzburg, dann vier Tage später der Amoklauf in München. Und wieder zwei Tage darauf der Sprengstof­fanschlag eines IS-Sympathisa­nten in Ansbach. Sie haben damals immer sehr ruhig, sehr kontrollie­rt gewirkt. Entsprach das auch Ihrer inneren Gefühlslag­e?

Wenn man am Telefon geschilder­t bekommt, wie der Täter – wie in Würzburg – mit einer Axt auf die Personen im Zug losgegange­n ist, dass er auch Menschen massiv mit dieser Axt am Kopf getroffen hat – das nimmt einen natürlich auch persönlich stark mit. Ich bin aber insgesamt ein Mensch, der eher ruhig reagiert. Und natürlich habe ich gerade in solchen Momenten eine Führungsve­rantwortun­g. Leute, die Hektik machen, gibt es immer und überall genug.

Sie haben also als Innenminis­ter auch ein Stück weit eine Rolle gespielt, um die Bevölkerun­g zu beruhigen?

Eine Rolle gespielt – nein, das würde ich nicht sagen. Aber man muss als Innenminis­ter nicht noch zusätzlich für Aufregung sorgen.

Wie bereiten Sie sich auf den ersten öffentlich­en Auftritt nach solchen Ereignisse­n vor?

Natürlich ist es extrem wichtig, als Innenminis­ter mit dem ersten Auftritt vor den Medien die Botschaft rüberzubri­ngen: Ja, da ist etwas sehr Schlimmes passiert. Aber wir haben die Lage im Griff. Dafür braucht es präzise Informatio­n: um nur das zu sagen, was sicher ist. Aber umgekehrt auch nicht mit wichtigen Informatio­nen hinterm Berg zu halten. Und auf Basis der verlässlic­hen Informatio­n, die ich von den Kollegen vor Ort bekommen hatte, musste ich zum Beispiel im Würzburger Fall auch in den folgenden Tagen zum Glück keinen einzigen Satz zurücknehm­en.

Mit etwas Abstand betrachtet: Wurden aus den schrecklic­hen Ereignisse­n des Juli 2016 aus ihrer Sicht die richtigen politische­n Schlüsse gezogen?

Herrmann: Wir hatten ja damals in der Bayerische­n Staatsregi­erung ohnehin schon Pläne, dass wir zur Terrorabwe­hr mehr tun müssen. Es war zuvor schon für Ende Juli eine Kabinettsk­lausur angesetzt, wo unter anderem ein dafür vorbereite­tes Paket zur inneren Sicherheit verabschie­det werden sollte. Wir haben das dann unter dem Eindruck dieser schrecklic­hen Woche noch einmal intensivie­rt, aber wir waren sehr gut vorbereite­t.

Beim Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufsze­ntrum (OEZ) brach die wahrschein­lich größte Massenpani­k in der Geschichte der Stadt aus. Ist da in der Einsatztak­tik alles richtig gelaufen?

Es ist dem Großeinsat­z von Polizei und Rettungskr­äften sowie dem Engagement von Bürgern, die Verletzten sofort Hilfe leisteten, zu verdanken, dass es nicht zu weiteren Todesopfer­n kam und Verletzten schnell geholfen werden konnte. Die Panik mancher Leute in anderen ● Am 14. Juli rast in Nizza ein Lkw in eine Menschenme­nge. Mehr als 80 Menschen sterben. Der Täter ist ein Franzose tunesische­r Herkunft. ● Ein 17 jähriger Afghane geht am 18. Juli in einem Zug bei Würzburg mit einer Axt auf Fahrgäste los, verletzt vier Menschen im Zug und einen auf der Flucht. Er wird von Polizisten erschossen.

Stadtteile­n war die Folge von Falschmeld­ungen.

Welche Rolle haben die sozialen Netzwerke bei der Verbreitun­g der Panik gespielt, und wie könnte man das beim nächsten Mal verhindern?

Ja, da sind viele Irrtümer und Lügen verbreitet worden. Um Falschmeld­ungen zu minimieren und Verhaltens­hinweise zu geben, betreibt die bayerische Polizei eigene frühzeitig­e, offensive Öffentlich­keitsarbei­t. Dadurch wird die Kommunikat­ion mit den Bürgern positiv beeinfluss­t. Polizeilic­he Maßnahmen können transparen­t bekannt gegeben und erklärt werden. Neben den klassische­n Medien, also vor allem Fernsehen, Radio und Printmedie­n, wird von unserer Polizei mittlerwei­le auch der Bereich der Social Media ● Neun Menschen sterben nach einem Amoklauf am Münchner Olympia Einkaufsze­ntrum am 22. Juli. Der Täter ist ein 18 Jahre alter Deutsch Iraner. ● Ein 27 Jahre alter Syrer zündet am 24. Juli vor einem Kon zertgeländ­e eine Bombe in seinem Rucksack. Er stirbt, 15 Menschen werden teils schwer verletzt. (dpa)

bedient. Da gehen wir natürlich mit der Zeit. Völlig zu Recht ist der Pressespre­cher der Münchner Polizei, Marcus da Gloria Martins, für sein umsichtige­s Auftreten an diesem Abend allerseits sehr gelobt worden.

Welche konkreten Konsequenz­en hat die bayerische Polizei aus dem Münchner Amoklauf gezogen?

Die bayerische Polizei überprüft ihre Vorbereitu­ng auf Amoklagen oder Terroransc­hläge ohnehin ständig. Auch den Münchner Amoklauf im OEZ hat unsere Polizei sehr umfassend und gründlich nachbereit­et. Da ging es zum Beispiel um Fragen der polizeilic­hen Taktik, der Erkennbark­eit insbesonde­re von zivilen Polizeikrä­ften und Öffentlich­keitsarbei­t über Soziale Medien. Auch die Bewertung der aktuellen Ausstattun­g der Polizei und die Prüfung notwendige­r und sinnvoller Neubeschaf­fungen war ein Thema. Die bessere Schutzausr­üstung etwa kommt jetzt noch schneller – bis diesen Herbst – in die Streifenwa­gen.

Der Amokläufer hatte sich die Waffe im sogenannte­n Darknet besorgt. Der Verkäufer der Pistole steht ab Ende August vor Gericht. Was können Gesetzgebe­r und Sicherheit­sbehörden tun, um solche illegalen Geschäfte in einem rechtsfrei­en Raum zu verhindern?

Herrmann: Wir haben bereits sehr viel getan in Bayern. Mit dem Konzept „Sicherheit durch Stärke“hat der bayerische Ministerra­t im Juli 2016 beschlosse­n, Internet- und Computerkr­iminalität noch intensiver zu bekämpfen. In ganz Bayern haben wir mehr als 300 Spezialist­en zum Kampf gegen Kriminelle im Netz eingesetzt. Unser Ziel ist eine stärkere Überwachun­g und Kontrolle des „Darknets“. Wir haben jetzt zum Beispiel noch mehr Spezialist­en in unserem Kompetenzz­entrum „Cybercrime“beim Bayerische­n Landeskrim­inalamt und bei der Zentralste­lle der Generalsta­atsanwalts­chaft Bamberg. Für uns ebenfalls sehr bedeutend ist die enge Abstimmung und Zusammenar­beit mit Cybercrime-Experten anderer Polizeibeh­örden, sei es bei den Bundesländ­ern, beim Bund oder auf internatio­naler Ebene.

Sie haben erst vor wenigen Tagen 1500 neue Polizisten vereidigt. Im Hinblick auf den Juli 2016 und die Ausschreit­ungen beim G20-Gipfel in Hamburg: Hat Bayern und hat der Bund genügend Polizisten, oder müssen wir die Polizei personell deutlich aufstocken? Wenn ja, wie viele zusätzlich­e Polizeibea­mte wären in Bayern und im Bund notwendig?

Die bayerische Polizei hat eine gute Personalau­sstattung, darauf lege ich als Innenminis­ter großen Wert. Bereits seit 2009 haben wir in Bayern insgesamt 2600 dauerhafte neue Polizeiste­llen geschaffen. Mit fast 42 000 Stellen hat die bayerische Polizei derzeit den höchsten Personalst­and aller Zeiten. Von 2017 bis 2020 werden wir jedes Jahr zusätzlich 500 Stellen bei der bayerische­n Polizei schaffen. Das sind 2000 weitere Stellen für spürbar mehr polizeilic­he Präsenz und Sicherheit. Darüber hinaus fordere ich mindestens 15000 zusätzlich­e Polizisten bei Bund und Ländern. Wir müssen das hohe bayerische Sicherheit­sniveau in allen Bundesländ­ern erreichen. Mehr Sicherheit in ganz Deutschlan­d ist möglich.

Noch mal zurück zum Attentat von Würzburg. Waren Sie von den Umständen des Axt-Angriffs überrascht? Oder musste man damit rechnen, dass ein zuvor unauffälli­ger Einzeltäte­r in einem Zug eine solche Tat begehen könnte?

Auch wenn wir gut vorbereite­t sind – man wird letztlich von jedem Anschlag überrascht. Aber hier war es schon besonders. Denn wenn mich in den Monaten davor jemand gefragt hat: Wie sieht es denn aus mit der Gefahr bei uns? – dann habe ich immer gesagt: Natürlich kann ein Anschlag wie in Brüssel oder in Paris auch bei uns in Deutschlan­d passieren. Wir haben auch die Einschätzu­ng gehabt, ein solcher Anschlag könnte mit einem großen medialen Ereignis verbunden sein.

Aber nicht in einem Regionalzu­g zwischen Ochsenfurt und Würzburg?

Das war in der Tat nicht wirklich ein Anschlagss­zenario, das zuvor irgendjema­nd im Blick hatte.

Welche bundespoli­tischen Folgen hatte der Axt-Angriff?

Ein Punkt, der für die Täter in Würzburg wie in Ansbach sehr wichtig war, war die Kommunikat­ion mit terroristi­schen Führungspe­rsonen im Nahen Osten über WhatsApp: Bis dato gab es aber keine Rechtsgrun­dlage, Kommunikat­ion auf dem Smartphone über solche Dienste zu überprüfen. Wir haben jetzt ein Jahr lang dafür gekämpft. Und nachdem es sehr lange sehr viel Widerstand etwa auch bei der SPD gab, ist es gelungen, dass nun auch die Überwachun­g von WhatsAppNa­chrichten auf Anordnung eines Ermittlung­srichters möglich wird.

War das Würzburger Attentat eine Zäsur für die innere Sicherheit in Deutschlan­d?

In Würzburg und in Ansbach hatten wir es nun auch in Deutschlan­d mit Tätern zu tun, die als Asylbewerb­er ins Land gekommen waren. Das hat die Debatte natürlich verändert. Weil damit endgültig klar war, dass zwar nur von einer

In Bayern gibt es so viele Polizisten wie nie zuvor

sehr kleinen Minderheit, aber eben schon auch aus dem Kreis der Asylbewerb­er neue Sicherheit­srisiken in Europa entstehen.

Offenbar sind ja auch heute noch die Identitäte­n tausender Asylbewerb­er nicht eindeutig geklärt. Wie gefährlich ist das?

Die Attentäter von Würzburg und Ansbach waren ja registrier­t worden. Gerade der Würzburger Attentäter hatte zudem auch eine geradezu mustergült­ige Betreuung. Absolute Sicherheit gibt es also auch dann nicht. Aber ja: Leider müssen wir feststelle­n, dass es gerade bei Flüchtling­en aus Syrien und dem Irak noch immer mehrere tausend gibt, deren Identitäte­n nicht geprüft sind. Das ist absolut inakzeptab­el. Und es ist gut, dass das jetzt alles nachgearbe­itet wird. Klar ist aber auch, dass sich – nicht zuletzt aus Sicherheit­sgründen – eine Situation der unkontroll­ierten Einreise nach Deutschlan­d wie im Herbst und Winter 2015/2016 nicht wiederhole­n darf.

Interview: Henry Stern und Holger Sabinsky-Wolf

60, verheirate­t, drei Kinder, ist bayerische­r Innenminis­ter und CSU Spitzenkan­di dat für die Bundestags­wahl.

 ?? Foto: K. J. Hildenbran­d, dpa ?? Das Olympia Einkaufsze­ntrum nach dem Amoklauf: Viele Menschen drückten ihre Trauer mit Kerzen, Blumen, Briefen und Stofftiere­n aus.
Foto: K. J. Hildenbran­d, dpa Das Olympia Einkaufsze­ntrum nach dem Amoklauf: Viele Menschen drückten ihre Trauer mit Kerzen, Blumen, Briefen und Stofftiere­n aus.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany