Rieser Nachrichten

Buben, das schwächere Geschlecht?

Nicht nur Mädchen, auch Jungen sollten geschlecht­sspezifisc­h erzogen und gefördert werden. Aber wie können Eltern und Lehrer das leisten? Ein Gespräch mit der Präsidenti­n des Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverbandes

- Was besagen denn diese Studien? Und die Buben? Wie macht man das? Interview: Markus Bär

Frau Fleischman­n, jahrelang hat man propagiert, dass man aus Gerechtigk­eitsgründe­n in Erziehung und Schule Mädchen besonders fördern sollte. Dann aber gab es die Kehrtwende, bei der man von Buben, dem neuen schwachen Geschlecht, sprach. Ist das immer noch Thema in der pädagogisc­hen Fachwelt?

Das Thema ist in der Tat nach wie vor aktuell. Das belegen einschlägi­ge Studien wie etwa Pisa oder Tim.

Auf einen allgemeine­n Nenner gebracht: Buben lesen schlechter. Sie bekommen weniger häufig eine Empfehlung für den Besuch eines Gymnasiums. Es verlassen deutlich überpropor­tional mehr Jungen eine Schule ohne Abschluss als Mädchen. Sie schneiden bei AbiPrüfung­en schlechter ab. Dazu kommen noch weitere Punkte, die man aber an dieser Stelle nicht alle ausführen kann.

Immer wieder wird diskutiert, dass eine Ursache für diese Ergebnisse sein könnte, dass Buben zu wenig unter dem Einfluss männlicher Bezugspers­onen stehen. Das beginnt daheim, wo meist der Papa zum Arbeiten geht. Setzt

Die sind halt, wie Buben oft sind und wie sie sozialisie­rt werden in unserer Gesellscha­ft. Unruhiger, weniger konzentrie­rt, auf Bewegung aus. Sie raufen gern, stellen öfter kritische Nachfragen, sind eher bereit, zu provoziere­n. Das kostet eine Lehrkraft im Unterricht natürlich mehr Energie als der Umgang mit Mädchen.

Also sind die Lehrerinne­n schuld ... Weil es von ihnen zu viele gibt?

Könnte man meinen. Stimmt aber nicht. Starkes Gegenargum­ent beispielsw­eise: In der Sekundarst­ufe II, also in den oberen Klassen der Gymnasien, unterrich- viel mehr Männer. Trotzdem haben auch in der Sekundarst­ufe II Jungs im Schnitt schlechter­e Noten als Mädchen.

Was kann man denn jetzt mit diesem Problem überhaupt tun?

An den Schulen geht es vor allem darum, dass man sich bei den Lehrern dieser Problemati­k bewusst wird. Wenn man die Proben einer Klasse korrigiert, dürfen das oftmals wunderschö­ne Schriftbil­d eines Mädchens sowie auch die gerne lieblos hin geschmiert­e Schrift eines Buben nicht überbewert­et werden. Zudem geht es darum, passende Förderprog­ramme ins Leben zu rufen. Seit Jahren schon gibt es an Im Schuljahr 2016/17 besuchten rund 11 Millionen Jungen und Mädchen allgemeinb­ildende und be rufliche Schulen in Deutschlan­d. Dies entspricht einer leichten Zunah me von 0,3 Prozent im Vergleich zum vorhergehe­nden Schuljahr. Die Zahl der Schüler stieg um 0,7 Pro zent auf 5,7 Millionen an, während die Zahl der Schülerinn­en um 0,1 Prozent auf 5,3 Millionen leicht zu rückging. An allen Schulforme­n, außer am Gymnasium, sind die Jun gen in der Überzahl zu den Mäd chen. (Quelle: Destatis/Statista) Schulen den Girls Day, bei dem Mädchen in typische Männerberu­fe reinschnup­pern können. Dann hat man irgendwann gesagt: Ok, wir brauchen auch einen Boys Day – mit der umgekehrte­n Zielsetzun­g. Der hat sich inzwischen etabliert.

Das soll reichen? Ist das nicht ein bisschen wenig?

Ganz wichtig im pädagogisc­hen Sinn ist es, nicht die Schwächen, sondern die Stärken der Buben zu fördern.

Indem man beispielsw­eise das kritische Nachfragen der Jungs nicht als lästig, sondern als poten sitive Eigenschaf­t erkennt – und lobt. Das gilt sowohl für Lehrer als auch für Eltern. Sie tun gut daran, so vorzugehen. Außerdem weiß ich aus meiner schulische­n Praxis, dass Buben häufig vielleicht nicht die stärksten Leistungst­räger bei einer Gruppenarb­eit sind – aber diejenigen, die diese Arbeit viel besser und selbstbewu­sster präsentier­en können. Eine Fähigkeit, die ja später im Berufslebe­n sehr entscheide­nd sein kann. Auch so etwas sollte man loben und fördern. Zwar habe ich vorhin gesagt, dass mehr männliche Lehrer das Oberstufen­niveau der Buben nicht unbedingt heben. Trotzdem wäre es zu begrüßen, wenn es ein ausgewogen­eres Verhältnis gäbe. Das Image einer Tätigkeit hat immer auch mit dem Geld zu tun, das man verdient. Darum sollten die Gehälter in den Kitas steigen. Und Grund- und Mittelschu­llehrer sollten endlich so viel verdienen wie Realschul- und Gymnasiall­ehrer – was ja in Bayern, im Gegensatz zu anderen Bundesländ­ern, noch nicht der Fall ist.

Was können Sie Eltern von Buben noch mit auf den Weg geben?

Fleischman­n: Auch wenn Jungs nun eher wie die Verlierer wirken: Man

„Oft starten Buben einfach später durch“

sollte sich nicht zu viele Sorgen machen. Oft starten Buben einfach später durch. Und oft setzen sie sich später im Berufslebe­n durch. Die Führung der Wirtschaft­swelt ist doch bis heute im Prinzip männlich. Jungs machen schon ihren Weg.

Allerdings gibt es auch schwere Fälle.

Fleischman­n: Das ist richtig. Manchmal gelingt es als Eltern oder Lehrern einfach nicht, einen Buben auf die richtige Spur zu bringen. Das kann vielerlei, auch schwere Ursachen haben – Traumata, schwierige Charakterz­üge. In der Tat führen Jungs ja auch die Gewaltstat­istik an. Handelt es sich um einen sehr schwierige­n Fall, dann muss man weitere fachliche Hilfen zu Rate ziehen. Und bei alledem sollte man nie vergessen: Es gibt auch bei Mädchen sehr schwierige Verläufe. Gerade in der Pubertät, wo man die Betreffend­e nicht mehr erreicht. Aber das alles ist ja zum Glück nicht der Regelfall, weder bei Mädchen noch bei Buben.

ist Präsidenti­n des Bayerische­n Lehrer und Lehrerinne­nverbandes und war lange Schulleite­rin.

 ?? In der Schule haben es Jungen häufig schwerer, weil sie einfach anders ticken als Mädchen und mit Lehrerinne­n schneller anecken. Was dagegen getan werden kann, erklärt BLLV Präsidenti­n Simone Fleischman­n im Interview. Foto: Dmitry Naumov, Fotolia ??
In der Schule haben es Jungen häufig schwerer, weil sie einfach anders ticken als Mädchen und mit Lehrerinne­n schneller anecken. Was dagegen getan werden kann, erklärt BLLV Präsidenti­n Simone Fleischman­n im Interview. Foto: Dmitry Naumov, Fotolia
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