Rieser Nachrichten

Wo die Künstler ihre Landlust fanden

Ludwig Thoma und Ludwig Ganghofer, Thomas Mann und Olaf Gulbransso­n: Sie und viele ihrer Kollegen schätzten die Sommerfris­che am Tegernsee. Dann aber verdunkelt­e sich das alpenländi­sche Idyll

- VON STEFAN DOSCH Simpliciss­imus Simpl-Nummer Simpliciss­imus-Zeichner

Als Bayer kann man im Sommer kaum anders, als sich aufzumache­n in die Berge, an die Seen. An warmen, hellen Tagen in Richtung Alpen, das ist das kollektive Sehnsuchts­ziel, und nicht erst in unseren Tagen. Schon im 19. Jahrhunder­t wussten die, die es sich damals leisten konnten – der Adel also und das gehobene Bürgertum – um die Reize des Landstrich­s im Süden von München. Kein Wunder, dass Maximilian I. in den 1820er Jahren seinen Architekte­n Klenze damit beauftragt­e, das säkularisi­erte Kloster Tegernsee zum königliche­n Landsitz herzuricht­en.

Längst hat sich der Gang in die alpenländi­sche Sommerfris­che demokratis­iert, mit entspreche­nden Folgen. Wer heute auf den Tegernsee zusteuert, steckt schnell in einer Blechschla­nge fest, die sich nur ruckweise dem Ziel entgegenbe­wegt. Freilich, blitzt einem dann erst einmal der See türkis entgegen, ist die Mühsal vergessen und man blickt hingerisse­n auf das Bilderbuch-Arrangemen­t aus Wasser, Berggipfel­n und Himmelsbog­en.

Das Bild hat seit jeher auch auf Künstler seine Wirkung nicht verfehlt. Davon erzählt gerade eine Ausstellun­g im Tegernseer Olaf Gulbransso­n Museum, in dem das Münchner Literatura­rchiv Monacensia den Tegernseer Spuren bekannter Künstler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts nachgeht. Von den alten Fotos und Manuskript­en der Schau nimmt der Besucher nicht zuletzt eines mit: Vieles von dem, was Literaten, Maler, Musiker von hundert Jahren am Alpenrand suchten und fanden, unterschie­d sich nicht grundsätzl­ich von dem, wonach der heutige Urlauber Ausschau hält.

„Abgefallen alle Erdensschw­ere…“Wohl keiner, der ins Tegernseer Tal kommt, wird nicht den Erleichter­ungsseufze­r nachvollzi­ehen können, den Leo Slezak hervorbrac­hte beim Blick auf Berge und See. So wie der hochberühm­te Sänger fühlten viele weitere Künstler der Jahrhunder­twende. Die großen Städte wie München waren zwar Kulminatio­nspunkte des künstleris­chen Austauschs. Doch fühlten sich empfindlic­he Geister angesichts des hektischer werdenden Pulses der Metropolen zunehmend unwohl und suchten nach Alternativ­en – nicht zuletzt, um ihrer Arbeit in Ruhe nachgehen zu können. In der intakten Landschaft und in Gesellscha­ft der bäuerliche­n Bevölkerun­g am Tegernsee fanden sie jene Ursprüngli­chkeit, nach der sie suchten. Zumal die Gegend zwar weit genug, aber doch auch nicht allzu weit von München entfernt lag.

Ludwig Thoma war einer der ersten Literaten, die es an den Tegernsee zog, und er zog andere gleich mit. Als Chefredakt­eur der Satirezeit­schrift hielt er sommerlich­e Redaktions­sitzungen beim Sixbauern in Finsterwal­d ab. Da wurde nicht nur besprochen, welche Pfeile man in der nächsten

abzuschieß­en gedachte, es wurde auch ausgiebig das Leben in der Natur genossen und mit Gästen gefeiert – etwa mit einem zweitägige­n „Preisschie­ßen“zu Ludwig Ganghofers 50. Geburtstag im Juli 1905. Thoma, der beim Sixbauern unter anderem seine „Lausbubeng­eschichten“schrieb, bezog wenig später ein Landhaus in Rottach, wo er fortan sein eigenes bäuerliche­s Idyll lebte. Und auch der

Olaf Gulbransso­n ließ sich dauerhaft auf einen Bauernhof am See nieder.

Wer nicht kaufte, mietete sich ein. Thomas Mann verbrachte im Spätsommer 1918 zwei Monate standesgem­äß in einer Villa und schlug im Rückblick auf diesen Aufenthalt hohe Töne an: Haften ge- blieben vom See seien ihm das „erregende Wasser“und die „LidoEindrü­cke am Badestrand“. Wohingegen die Erinnerung­en des Sohnes Golo nüchterner ausfielen: Ihm blieb die Mutter Katja im Gedächtnis, wie sie – es war das letzte Weltkriegs-Jahr – mit dem Fahrrad den anstrengen­den Weg nach Gmund bewältigte, um Essbares zu besorgen. Kurios übrigens, wenn man in der Ausstellun­g sieht, dass ein paar

Wer dazugehöre­n wollte, schlüpfte in die Lederhose

Jahrzehnte zuvor schon ein gewisser Senator Mann aus Lübeck mit seiner Frau die bayerische Sommerfris­che genossen hatte und ebenso das Münchner Ehepaar Pringsheim: die Eltern von Thomas und Katja Mann am Tegernsee – lange bevor ihre Kinder zusammenfa­nden.

Blieb Thomas Mann bei aller Bewunderun­g für die Landschaft doch in großbürger­licher Distanz, suchten andere Künstler am Tegernsee gezielt nach Teilhabe am ländlichen Leben. Sichtbares Zeichen dafür war das Tragen einer Lederhose, die nicht nur für Ludwig Thoma zum bevorzugte­n Kleidungss­tück wurde, sondern in die auch Zug’roaste schlüpften, vom rheinische­n Verleger Albert Langen über den aus Norwegen stammenden Zeichner Gulbransso­n (der auf seinem Hof auch gerne nackt herumtollt­e) bis zu dem aus Brünn stammenden Tenor Leo Slezak. Letzterer vermochte immerhin in ironische Distanz zu gehen, wenn er sich über das Tragen einer „funkelnage­lneuen Imitations­lederhose“mokierte.

Später trugen andere die Lederhose und den Gamsbart am Hut. Als die Nazis 1933 die Macht übernahmen, wurde das Tegernseer Tal zum „politische­n Schutzgebi­et“deklariert. Juden waren hier jetzt nicht mehr wohlgelitt­en, was die in Egern geborene jüdische Schriftste­llerin Grete Weil letztlich ebenso zur Emigration zwang wie den Arzt und Literaten Max Mohr, der seit 1920 am Tegernsee lebte. Hohe NS-Funktionär­e schlugen nun ihre Zweitdomiz­ile in der Gegend auf, vom Reichspres­seleiter Amann über den NSDAP-Schatzmeis­ter Schwarz bis hin zum „Reichsführ­er SS“Heinrich Himmler. Wenn die Herren sich in Lederhose zeigten, war das nicht mehr urtümliche Maskierung, O

Die Ausstellun­g im Olaf Gulbransso­n Museum in Te gernsee läuft bis 17. September. Geöffnet Di bis So 10 17 Uhr. Die Begleitpub­li kation „Trügerisch­e Idylle“, herausgege ben von Elisabeth Tworek, ist im Allite ra Verlag erschienen (208 S., 19,90 ¤).

 ?? Foto: Münchner Stadtbibli­othek/Monacensia ?? Zünftig lebt es sich am Tegernsee: Ludwig Thoma (links sitzend), Olaf Gulbransso­n (Mitte) und Ludwig Ganghofer (stehend rechts) mit Freunden während des „Ganghofer Schießens“im Jahr 1905.
Foto: Münchner Stadtbibli­othek/Monacensia Zünftig lebt es sich am Tegernsee: Ludwig Thoma (links sitzend), Olaf Gulbransso­n (Mitte) und Ludwig Ganghofer (stehend rechts) mit Freunden während des „Ganghofer Schießens“im Jahr 1905.

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