Kommt die 28 Stunden Woche?
Die IG Metall fordert für ihre Beschäftigten flexiblere und kürzere Arbeitszeiten. Das wäre fatal, sagen die Arbeitgeber. Klar ist: Das Thema wird immer wichtiger
Oftmals wird der Name „Deutsche Bahn“eher in einem ärgerlichen Ton ausgesprochen. Dann geht es um Verspätungen oder Zugausfälle. Anders in der letzten Woche. Denn der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ist etwas gelungen, worauf die restlichen Gewerkschaften fast neidisch blicken. Sie hat die Arbeitszeiten der Mitarbeiter flexibilisiert. Bahn-Beschäftigte, die unter den Tarifvertrag fallen, durften wählen, ob sie lieber mehr Gehalt, mehr Urlaub oder eine kürzere Wochenarbeitszeit hätten. Mit 56 Prozent entschied sich die Mehrheit der Beschäftigten für mehr Urlaub
berichteten). Seitdem melden sich immer mal wieder „Schwestergewerkschafen“bei der EVG, berichtet Pressesprecher Oliver Kaufhold. Es gebe viel Lob und Interesse daran, das Bahn-Modell zu kopieren.
Was die Bahn-Gewerkschaften ausgehandelt haben, sei tarifpolitisches Neuland, sagt Thorsten Schulten. Er ist Leiter des WSI-Tarifarchivs der Hans-Böckler-Stiftung. Dort werden seit 1950 Tarifverträge festgehalten und ausgewertet. Schulten sagt: „Das ist ein PionierAbschluss.“Denn bislang stand eher die Bezahlung im Fokus. Schulten sagt auch: „Es gibt in vielen Branchen Interesse, das Modell zu kopieren und die Arbeitszeiten zu individualisieren.“
So kündigte etwa die IG Metall schon im Juni an, die Arbeitszeiten zum Kernthema der Tarifverhandlungen Ende des Jahres zu machen. „Wir brauchen Arbeitszeiten, die zu den Menschen passen“, sagte IGMetall-Chef Jörg Hofmann und dachte laut über eine auf zwei Jahre begrenzte 28-Stunden-Woche nach. Eine Provokation in Richtung der Arbeitgeber. Die reagierten prompt. Im Interview mit dem
Handelsblatt entgegnete Rainer Dulger, Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, eine 28-StundenWoche bedrohe den wirtschaftli- chen Erfolg der Branche. „Wir würden eine masive Tarifflucht erleben. Und Produktionsverlagerungen ins Ausland.“
Vor 33 Jahren hat die IG Metall schon einmal die Arbeitszeiten grundlegend verändert. In einem sieben Wochen dauernden Streik forderten die Metaller eine 35- statt einer 40-Stunden-Woche. Nach zähem Ringen einigten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden. 1995 kam dann die 35-Stunden-Woche, zumindest in Westdeutschland. Im Osten stehen bis heute 38 Stunden im Tarifvertrag. Ähnliches strebt die IG Metall nun wieder an. Auch von Streiks ist die Rede.
Die Frage ist aber: Wie viel arbeiten die Menschen tatsächlich und wie viel wollen sie arbeiten? Im Durchschnitt sind die Deutschen 35,2 Stunden in der Firma, zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Guckt man sich nur die Vollzeitbeschäftigten an, liegt die Wochenarbeitszeit bei 41,4 Stunden. Umfragen der IG-Metall zufolge wünschen sich zwei Drittel der Beschäftigten in der Metall- und Elektrobranche kürzere Arbeitszeiten. Eine Auswertung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesagentur für Arbeit gehört, ergibt dagegen, dass die Mehrheit der Beschäftigten mit ihren Arbeitszeiten zufrieden ist, sagt Enzo Weber vom IAB. Denn je nachdem, wie nach Arbeitszeitwünschen und Überstunden gefragt wird, kommen andere Ergebnisse heraus, erklärt Weber. „Aber die Zahl der Überstunden hat sich über die letzten Jahrzehnte kaum verändert“, sagt er. Doch Überstunden werden anders vergolten. „Früher war es üblich sie auszahlen zu lassen. Damit hat sich die Arbeitszeit doch verlängert“, sagt er. Heute gewinnen Arbeitszeitkonten an Bedeutung. Auf ihnen werden Überstunden gesammelt, die dann, wenn sie gebraucht werden, abgebaut werden können. „Die Arbeitszeit ist also nicht mehr geworden, sondern verteilt sich anders“, sagt Weber.