Jetzt hatte auch Duda genug
Wer ist der Mann, der alle überraschte?
Im stürmischen Justizstreit in Polen kam das Machtwort von Präsident Andrzej Duda für viele überraschend. „Ich werde die Reform zum Obersten Gericht nicht unterschreiben, solange nicht meine Änderung zum Landesrichterrat verabschiedet wird“, hatte das Staatsoberhaupt vergangene Woche gesagt, bevor die scharf kritisierten Gesetzesentwürfe von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Eilverfahren durchs Parlament gepeitscht wurden.
Die PiS braucht seine Unterschrift, bevor sie die bisher unabhängige Justiz an die Kandare nehmen kann. Aber Duda hat Wort gehalten und sein Veto gegen zwei der drei Gesetze eingelegt. Viele Polen trauten Dudas Drohung nicht.
Der Präsident kommt aus der PiS, der Partei des nationalkonservativen Jaroslaw Kaczynski. 2015 wurde der unbekannte Politiker quasi über Nacht an die Staatsspitze gewählt. Seitdem ruht seine Parteimitgliedschaft. Nichtsdestotrotz gilt er als Mann der PiS und hat dies regelmäßig untermauert. Seit seiner Wahl winkte der 45-jährige Verwaltungsjurist mit Abschluss der renommierten Krakauer Jagiellonen-Universität selbst umstrittenste PiS-Reformen durch – auch jene, die Experten zufolge Ende 2015 die Unabhängigkeit von Verfassungsgericht und Medien einschränkten.
Der 1972 in Krakau geborene Sohn eines Professoren-Ehepaars ist mit der Deutschlehrerin Agata Kornhauser-Duda verheiratet. Sie haben eine erwachsene Tochter. Andrzej Duda arbeitete ab 2005 als enger Berater für die KaczynskiBrüder, bevor er 2011 erst ins polnische Parlament und dann 2014 ins Europaparlament gewählt wurde.
Unlängst wurde die Rolle des Präsidenten in der beliebten Parodie „Ucho prezesa“(Das Ohr des Vorsitzenden) aufs Korn genommen, Dudas Serien-Pendant ist fast so bekannt wie der echte Präsident. „Adrian“statt Andrzej nennen sie ihn in der Youtube-Serie, die Millionen Klicks hat – oder einfach „den, der die Gesetze unterschreibt“, denn seinen Namen können sie sich nicht merken. In der Politik mitreden darf der Serien-Charakter auch nicht. Die Tür zu „Kaczynskis“Büro bleibt für ihn verschlossen, „Adrian“muss draußen warten. Diesen Ruf könnte Duda nun mit seinem Veto vielleicht ein Stück ablegen.
Jubel bei zehntausenden Demonstranten in Warschau, Krisensitzung in der Zentrale der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Der Präsident hatte es tatsächlich getan: Andrzej Duda kündigte per TV-Ansprache an, seine Unterschrift unter zwei der drei von beiden Kammern beschlossenen Reformgesetze zu verweigern. Eine politische Sensation. In der Vergangenheit war Duda – der durch die PiS in sein Amt kam – nicht dadurch aufgefallen, dass er der Regierung in ihrem Streben nach dem Ausbau ihrer Macht in den Arm gefallen wäre. Umso überraschender kam sein Veto.
In Berlin und den meisten anderen europäischen Hauptstädten dürfte die Erleichterung über diese neue Wende im Politkrimi um die Justizreform groß sein. Doch die EU sollte sich keinen Illusionen hingeben. Im Kampf um die demokratischen Grundrechte in Polen ist Dudas Verweigerung bestenfalls ein Teilerfolg. Und das nicht nur, weil der Präsident ebenfalls erklärt hat, ein drittes Reformgesetz zu unterzeichnen. Es räumt dem Justizminister das Recht ein, Vorsitzende der Gerichte, die im Land für Ziviloder Strafrecht zuständig sind, nach eigenem Gusto zu ernennen. Auch das ein Unding.
Und doch ist vorerst eine noch größere Gefahr gebannt: das faktische Ende der Gewaltenteilung. Die von Duda nun abgelehnten Teile der Reform hätten dazu geführt, dass die Richterkandidaten für den Obersten Gerichtshof vom Justizminister bestimmt werden. Der Gerichtshof hat unter anderem die Kompetenz, über die Rechtmäßigkeit von Wahlen zu entscheiden. So hätte die Regierung indirekt darüber entscheiden können, ob Wahlergebnisse anerkannt werden oder nicht. Zu glauben, die PiS und vor allem Jaroslaw Kaczynski, der als Parteichef die Fäden zieht, hätten Skrupel gehabt, diesen Hebel auch zu bedienen, wäre naiv.
Im Westen wird oft vergessen, dass das verkrustete und ineffektive Rechtssystem in Polen tatsächlich ein Fall für einschneidende Reformen ist. Im Nachbarland ist das Konsens. Doch die PiS um den mächtigen Jaroslaw Kaczynski verfolgte mit ihrer Reform ganz andere Ziele als eine notwendige Modernisierung. Die Partei wollte schlicht verhindern, dass die Richter ihre Pläne, Polen in einen autokratischen Staat zu verwandeln, durchkreuzen können. Diese Stoßrichtung war offensichtlich, vielleicht eine Spur offensichtlich. Der Jurist Duda musste wissen: Unterschreibt er, dann ist sein Ruf international ruiniert.
Doch der Nationalist Kaczynski wird, gestützt auf eine absolute Mehrheit im Parlament und die ihm ergebene Ministerpräsidentin Beata Szydlo, weiter versuchen, Polen nach seinen Vorstellungen zu verändern. Im Schweinsgalopp versuchte die PiS sich der unabhängigen Justiz zu entledigen. Was sich in den letzten Tagen und Nächten im Parlament ereignet hat, war ein trauriges Schauspiel. Die Opposition musste erleben, wie ihre Rechte bei der Reform-Debatte eiskalt
Die Rechte der Opposition wurden außer Kraft gesetzt
außer Kraft gesetzt wurden. Die Pressefreiheit ist bereits empfindlich eingeschränkt.
Die PiS kann sich bei diesem Kurs auf eine große Mehrheit in den weniger entwickelten ländlichen Gebieten stützen. Viele Menschen dort sehen in Kaczynski den Mann, der sie vor den Folgen der Globalisierung und einem weiteren sozialen Abstieg schützt.
Was kann die EU tun, um das Abdriften des wichtigsten osteuropäischen Mitgliedsstaates zu verhindern? Sie kann mit dem sogenannten Artikel-7-Verfahren drohen – in Brüssel bezeichnenderweise die „Atombombe“genannt. Das Verfahren ist Brüssels schärfste Waffe gegen Mitglieder, die elementare demokratische Grundrechte außer Kraft setzen. Auf dieser Basis wäre es sogar möglich, das Stimmrecht Polens bei EU-Entscheidungen zu suspendieren. Ein Rechtsstaatsverfahren gegen Warschau läuft bereits seit Anfang 2016.
Doch es gibt ein großes „Aber“. Für Sanktionen solcher Art ist in Brüssel Einstimmigkeit notwendig. Es ist kaum denkbar, dass Ungarn unter Präsident Viktor Orbán – ein Bruder im Geiste – für eine Reglementierung Polens stimmt. Keine erfreuliche Vorstellung, dass man ausgerechnet bei Orbán um eine Zustimmung zu Sanktionen betteln müsste. So hat das Einstimmigkeitsprinzip zur Folge, dass Staaten wie Polen und Ungarn sich still und leise von der Rechtsstaatlichkeit verabschieden können, ohne ernsthafte Konsequenzen fürchten zu müssen. Auch Forderungen, Polen mit der Zurückhaltung von Fördergeldern zur Räson zu bringen, sind nicht Erfolg versprechend. Denn die Regeln besagen, dass solch ein Schritt nur bei Unregelmäßigkeiten wie Veruntreuung von Geldern erlaubt ist – nicht aber, wenn demokratische Grundregeln verletzt werden.
Am Ende wird nur die polnische Zivilgesellschaft selber in der Lage sein, die Demokratie zu schützen. Und so eine Pluralität zu retten, die in den 80er Jahren von den Menschen dieses stolzen Landes erkämpft worden ist.