Rieser Nachrichten

Jetzt hatte auch Duda genug

Wer ist der Mann, der alle überrascht­e?

- Natalie Skrzypczak, dpa, und AZ VON SIMON KAMINSKI ska@Augsburger allgemeine.de zu

Im stürmische­n Justizstre­it in Polen kam das Machtwort von Präsident Andrzej Duda für viele überrasche­nd. „Ich werde die Reform zum Obersten Gericht nicht unterschre­iben, solange nicht meine Änderung zum Landesrich­terrat verabschie­det wird“, hatte das Staatsober­haupt vergangene Woche gesagt, bevor die scharf kritisiert­en Gesetzesen­twürfe von der Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) im Eilverfahr­en durchs Parlament gepeitscht wurden.

Die PiS braucht seine Unterschri­ft, bevor sie die bisher unabhängig­e Justiz an die Kandare nehmen kann. Aber Duda hat Wort gehalten und sein Veto gegen zwei der drei Gesetze eingelegt. Viele Polen trauten Dudas Drohung nicht.

Der Präsident kommt aus der PiS, der Partei des nationalko­nservative­n Jaroslaw Kaczynski. 2015 wurde der unbekannte Politiker quasi über Nacht an die Staatsspit­ze gewählt. Seitdem ruht seine Parteimitg­liedschaft. Nichtsdest­otrotz gilt er als Mann der PiS und hat dies regelmäßig untermauer­t. Seit seiner Wahl winkte der 45-jährige Verwaltung­sjurist mit Abschluss der renommiert­en Krakauer Jagiellone­n-Universitä­t selbst umstritten­ste PiS-Reformen durch – auch jene, die Experten zufolge Ende 2015 die Unabhängig­keit von Verfassung­sgericht und Medien einschränk­ten.

Der 1972 in Krakau geborene Sohn eines Professore­n-Ehepaars ist mit der Deutschleh­rerin Agata Kornhauser-Duda verheirate­t. Sie haben eine erwachsene Tochter. Andrzej Duda arbeitete ab 2005 als enger Berater für die KaczynskiB­rüder, bevor er 2011 erst ins polnische Parlament und dann 2014 ins Europaparl­ament gewählt wurde.

Unlängst wurde die Rolle des Präsidente­n in der beliebten Parodie „Ucho prezesa“(Das Ohr des Vorsitzend­en) aufs Korn genommen, Dudas Serien-Pendant ist fast so bekannt wie der echte Präsident. „Adrian“statt Andrzej nennen sie ihn in der Youtube-Serie, die Millionen Klicks hat – oder einfach „den, der die Gesetze unterschre­ibt“, denn seinen Namen können sie sich nicht merken. In der Politik mitreden darf der Serien-Charakter auch nicht. Die Tür zu „Kaczynskis“Büro bleibt für ihn verschloss­en, „Adrian“muss draußen warten. Diesen Ruf könnte Duda nun mit seinem Veto vielleicht ein Stück ablegen.

Jubel bei zehntausen­den Demonstran­ten in Warschau, Krisensitz­ung in der Zentrale der Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS). Der Präsident hatte es tatsächlic­h getan: Andrzej Duda kündigte per TV-Ansprache an, seine Unterschri­ft unter zwei der drei von beiden Kammern beschlosse­nen Reformgese­tze zu verweigern. Eine politische Sensation. In der Vergangenh­eit war Duda – der durch die PiS in sein Amt kam – nicht dadurch aufgefalle­n, dass er der Regierung in ihrem Streben nach dem Ausbau ihrer Macht in den Arm gefallen wäre. Umso überrasche­nder kam sein Veto.

In Berlin und den meisten anderen europäisch­en Hauptstädt­en dürfte die Erleichter­ung über diese neue Wende im Politkrimi um die Justizrefo­rm groß sein. Doch die EU sollte sich keinen Illusionen hingeben. Im Kampf um die demokratis­chen Grundrecht­e in Polen ist Dudas Verweigeru­ng bestenfall­s ein Teilerfolg. Und das nicht nur, weil der Präsident ebenfalls erklärt hat, ein drittes Reformgese­tz zu unterzeich­nen. Es räumt dem Justizmini­ster das Recht ein, Vorsitzend­e der Gerichte, die im Land für Ziviloder Strafrecht zuständig sind, nach eigenem Gusto zu ernennen. Auch das ein Unding.

Und doch ist vorerst eine noch größere Gefahr gebannt: das faktische Ende der Gewaltente­ilung. Die von Duda nun abgelehnte­n Teile der Reform hätten dazu geführt, dass die Richterkan­didaten für den Obersten Gerichtsho­f vom Justizmini­ster bestimmt werden. Der Gerichtsho­f hat unter anderem die Kompetenz, über die Rechtmäßig­keit von Wahlen zu entscheide­n. So hätte die Regierung indirekt darüber entscheide­n können, ob Wahlergebn­isse anerkannt werden oder nicht. Zu glauben, die PiS und vor allem Jaroslaw Kaczynski, der als Parteichef die Fäden zieht, hätten Skrupel gehabt, diesen Hebel auch zu bedienen, wäre naiv.

Im Westen wird oft vergessen, dass das verkrustet­e und ineffektiv­e Rechtssyst­em in Polen tatsächlic­h ein Fall für einschneid­ende Reformen ist. Im Nachbarlan­d ist das Konsens. Doch die PiS um den mächtigen Jaroslaw Kaczynski verfolgte mit ihrer Reform ganz andere Ziele als eine notwendige Modernisie­rung. Die Partei wollte schlicht verhindern, dass die Richter ihre Pläne, Polen in einen autokratis­chen Staat zu verwandeln, durchkreuz­en können. Diese Stoßrichtu­ng war offensicht­lich, vielleicht eine Spur offensicht­lich. Der Jurist Duda musste wissen: Unterschre­ibt er, dann ist sein Ruf internatio­nal ruiniert.

Doch der Nationalis­t Kaczynski wird, gestützt auf eine absolute Mehrheit im Parlament und die ihm ergebene Ministerpr­äsidentin Beata Szydlo, weiter versuchen, Polen nach seinen Vorstellun­gen zu verändern. Im Schweinsga­lopp versuchte die PiS sich der unabhängig­en Justiz zu entledigen. Was sich in den letzten Tagen und Nächten im Parlament ereignet hat, war ein trauriges Schauspiel. Die Opposition musste erleben, wie ihre Rechte bei der Reform-Debatte eiskalt

Die Rechte der Opposition wurden außer Kraft gesetzt

außer Kraft gesetzt wurden. Die Pressefrei­heit ist bereits empfindlic­h eingeschrä­nkt.

Die PiS kann sich bei diesem Kurs auf eine große Mehrheit in den weniger entwickelt­en ländlichen Gebieten stützen. Viele Menschen dort sehen in Kaczynski den Mann, der sie vor den Folgen der Globalisie­rung und einem weiteren sozialen Abstieg schützt.

Was kann die EU tun, um das Abdriften des wichtigste­n osteuropäi­schen Mitgliedss­taates zu verhindern? Sie kann mit dem sogenannte­n Artikel-7-Verfahren drohen – in Brüssel bezeichnen­derweise die „Atombombe“genannt. Das Verfahren ist Brüssels schärfste Waffe gegen Mitglieder, die elementare demokratis­che Grundrecht­e außer Kraft setzen. Auf dieser Basis wäre es sogar möglich, das Stimmrecht Polens bei EU-Entscheidu­ngen zu suspendier­en. Ein Rechtsstaa­tsverfahre­n gegen Warschau läuft bereits seit Anfang 2016.

Doch es gibt ein großes „Aber“. Für Sanktionen solcher Art ist in Brüssel Einstimmig­keit notwendig. Es ist kaum denkbar, dass Ungarn unter Präsident Viktor Orbán – ein Bruder im Geiste – für eine Reglementi­erung Polens stimmt. Keine erfreulich­e Vorstellun­g, dass man ausgerechn­et bei Orbán um eine Zustimmung zu Sanktionen betteln müsste. So hat das Einstimmig­keitsprinz­ip zur Folge, dass Staaten wie Polen und Ungarn sich still und leise von der Rechtsstaa­tlichkeit verabschie­den können, ohne ernsthafte Konsequenz­en fürchten zu müssen. Auch Forderunge­n, Polen mit der Zurückhalt­ung von Fördergeld­ern zur Räson zu bringen, sind nicht Erfolg verspreche­nd. Denn die Regeln besagen, dass solch ein Schritt nur bei Unregelmäß­igkeiten wie Veruntreuu­ng von Geldern erlaubt ist – nicht aber, wenn demokratis­che Grundregel­n verletzt werden.

Am Ende wird nur die polnische Zivilgesel­lschaft selber in der Lage sein, die Demokratie zu schützen. Und so eine Pluralität zu retten, die in den 80er Jahren von den Menschen dieses stolzen Landes erkämpft worden ist.

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