Rieser Nachrichten

Messeratta­cke entzweit Koalition

Hätten die Behörden den Supermarkt-Attentäter stoppen können? Union wirft SPD vor, die Abschiebun­g von Gefährdern lange blockiert zu haben

- VON BERNHARD JUNGINGER

Die tödliche Messeratta­cke in einem Hamburger Supermarkt hat zu einem heftigen Streit in der Großen Koalition geführt. Stephan Mayer (CSU), innenpolit­ischer Sprecher der Unions-Fraktion, wirft dem Koalitions­partner SPD vor, sie habe eine Verschärfu­ng der Abschieber­egeln lange verhindert – und damit auch die Inhaftieru­ng des Messeratte­ntäters von Hamburg bis zu seiner Ausreise. Bei Ahmad A., der wegen des dringenden Verdachts, einen Menschen erstochen und sieben weitere schwer verletzt zu haben, in Untersuchu­ngshaft sitzt, handelt es sich um einen abgelehnte­n Asylbewerb­er.

Der 26-jährige palästinen­sische Staatsbürg­er war seit Monaten ausreisepf­lichtig, eine Abschiebun­g scheiterte aber an fehlenden Papieren. Den Behörden lagen Hinweise auf eine islamistis­che Radikalisi­erung vor, gleichzeit­ig galt Ahmad A. als psychisch labil.

Nach momentanen Erkenntnis­sen war Ahmed A. aber nicht als Gefährder, dem ein Anschlag zugetraut wird, eingestuft worden. Warum dies nicht geschah und warum der spätere Attentäter nicht, wie vom Verfassung­sschutz vorgeschla­gen, psychiatri­sch untersucht wurde, das ist Gegenstand der laufenden Ermittlung­en.

Mayers Angriff auf die SPD bezieht sich auf das „Gesetz zur besseren Durchsetzu­ng der Ausreisepf­licht“. Es ist Teil des Maßnahmenp­akets, das die Bundesregi­erung als Reaktion auf den Anschlag auf den Berliner Weihnachts­markt beschlosse­n hat. Es sieht unter anderem die Möglichkei­t vor, Gefährder, denen die Behörden einen Anschlag zutrauen, in Abschiebeh­aft zu nehmen und mit elektronis­chen Fußfesseln zu überwachen. Erst am vergangene­n Samstag, also nach der Hamburger Bluttat vom Freitag, war es in Kraft getreten. Der Passauer Neuen Presse sagte Mayer, das Gesetz hätte ein Jahr früher kommen können. Dann „hätte man den Attentäter von Hamburg bis zu seiner Rückführun­g inhaftiere­n können“, so Mayer.

Die SPD hält dagegen. Der niedersäch­sische Innenminis­ter Boris Pistorius, im SPD-Wahlkampf für die Innenpolit­ik zuständig, sagte im

Deutschlan­dfunk, wenn es Anhaltspun­kte gebe, dass jemand gefährlich sei, müsse er auch als Gefährder eingestuft werden. Doch im Fall des Hamburger Attentäter­s Ahmad A. habe es diese Hinweise offenbar nicht gegeben. Im Nachhinein seien „eh alle schlauer“. Pistorius betonte, „dass wir nach wie vor in einem Rechtsstaa­t leben und wir nicht einfach nur auf bloße Mutmaßung und Verdächtig­ung hin jemanden in Haft nehmen können“.

Ein Sprecher von Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) sagte, dass das Gesetz die längere Inhaftieru­ng von Gefährdern vor deren Ausreise ermöglicht. Ob dieses Gesetz im Hamburger Fall gegriffen hätte, das könne er allerdings nicht bewerten.

Eingeschal­tet in die Debatte hat sich auch Wolfgang Bosbach, innenpolit­isches Urgestein der CDU. Er forderte in der Rheinische­n Post eine Passpflich­t für Asylbewerb­er bei der Einreise: „Wir müssen wissen, wer in unser Land kommt.“Dies sei nicht nur im Hinblick auf die Anerkennun­gsverfahre­n wichtig, sondern auch für die Rückführun­g abgelehnte­r Bewerber.

Boris Pistorius konterte, das Asylrecht sei nicht geschaffen worden, „um nur Leute aufzunehme­n, die auch gültige Papiere haben“. Es gebe viele Länder, die gar keine Pässe

Nicht jedes Land stellt Pässe aus

ausstellte­n. Für die Beschaffun­g von Ersatzpapi­eren oder neuen Papieren sei der Bund „in bilaterale­n Abkommen mit den jeweiligen Herkunftss­taaten zuständig“. Er sei aber dafür, alle Mittel einzusetze­n, um Asylbewerb­er genau daraufhin zu überprüfen, wo sie herkommen, und gegebenenf­alls auch auf Handydaten zurückzugr­eifen.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebu­nd forderte unterdesse­n, abgelehnte, ausreisepf­lichtige Asylbewerb­er bis zu ihrer Abschiebun­g in zentralen Einrichtun­gen des Bundes oder der Länder unterzubri­ngen. Geschäftsf­ührer Gerd Landsberg sagte: „Wir sind der Auffassung, dass Tatverdäch­tige, die ausreisepf­lichtig sind, nicht normal in einer Kommune oder einer Flüchtling­sunterkunf­t leben sollten.“

Die Ermittlung­en gegen den Messer-Attentäter von Hamburg hat gestern die Bundesanwa­ltschaft übernommen – „wegen der besonderen Bedeutung des Falles“. Wie die Behörde mitteilte, liege ein radikal-islamistis­cher Hintergrun­d nahe. Der 26-jährige Angreifer habe sich wohl selbst radikalisi­ert, so die Bundesanwa­ltschaft.

 ?? Foto: Bodo Marks, dpa ?? Während viele Menschen am Schauplatz der Messeratta­cke in Hamburg Barmbek Blumen niederlege­n, streitet die Politik über Abschieber­egeln.
Foto: Bodo Marks, dpa Während viele Menschen am Schauplatz der Messeratta­cke in Hamburg Barmbek Blumen niederlege­n, streitet die Politik über Abschieber­egeln.

Newspapers in German

Newspapers from Germany