Rieser Nachrichten

Gülen Anhänger werden auch in Deutschlan­d bedroht

Präsident Erdogan macht die Bewegung für den Putschvers­uch verantwort­lich – das hat massive Folgen

- (dpa, AZ)

Es waren 37 türkischst­ämmige Schüler in Köln, die vor zehn Jahren am Privatgymn­asium „Dialog“unter großem öffentlich­en Interesse den Anfang machten. Integratio­n und Mehrsprach­igkeit wurden als Ziele ausgegeben, Türkisch als Fremdsprac­he und Ethik standen auf ihrem Stundenpla­n. Eine Realschule kam hinzu. Die Schülerzah­l stieg und stieg. Seit dem Putschvers­uch in der Türkei vor einem Jahr ist das anders. Ähnlich sieht es bei den anderen Privatschu­len in Deutschlan­d aus, die als Gülen-nah gelten. „Eltern fühlten sich einer Hexenjagd ausgesetzt und haben ihre Kinder abgemeldet“, schildert Ercan Karakoyun, Vorsitzend­er der Stiftung Dialog und Bildung. Hauptgrund für den Rückzug sei „die Angst vor Erdogans langem Arm“, glaubt Karakoyun, Ansprechpa­rtner für die Gülen-Bewegung in Deutschlan­d.

Eine Berufsschu­le in Würzburg machte Ende 2016 als erste dicht. Es folgten weitere. „Aus den einzelnen Einrichtun­gen sind uns nach dem Putschvers­uch Verluste von zehn bis 15 Prozent bei den Schülerzah­len genannt worden“, sagt Karakoyun. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält den im USExil lebenden Islam-Prediger Fethullah Gülen verantwort­lich für den Umsturzver­such, was dieser bestreitet.

Der Kölner Schulkompl­ex war im Internet als „Terroriste­nheim“bezeichnet worden. In Stuttgart gab es Polizeisch­utz für die Gülen-Schule. Auch in der Region gab es mindestens einen Zwischenfa­ll. Unmittelba­r nach dem Putschvers­uch im Juli 2016 wurden in zwei Gebäuden eines Bildungsze­ntrums in Augsburg und Gersthofen, das der Gülen-Bewegung nahesteht, Fenstersch­eiben mit Steinen eingeworfe­n.

Es sei eine „unerträgli­che Situation“, wenn Eltern sich aus Angst vor Repressali­en genötigt sehen, ihre Kinder abzumelden, findet Kölns Oberbürger­meisterin Henriette Reker. Die neue NRW-Schulminis­terin Yvonne Gebauer betont: „Schulen sind Orte, an denen Kinder und Jugendlich­e frei und unbeschwer­t lernen sollen. Schulen sind zu politische­r Neutralitä­t verpflicht­et.“Die freie Schulwahl sei ein hohes Gut, unterstrei­cht die FDP-Politikeri­n.

Allerdings: Die islamisch-konservati­ve Gülen-Bewegung ist nicht unumstritt­en in Deutschlan­d. Einige Bildungsei­nrichtunge­n werden von den Schulaufsi­chtsbehörd­en kritisch beobachtet. Die türkischst­ämmige frühere Kölner SPDBundest­agsabgeord­nete Lale Akgün sagt: „Es geht gar nicht, wie man gegen die Gülen-Bewegung vorgeht. Aber man muss auch sehen, dass es sich um eine islamistis­che Bewegung handelt.“Und: „Sie sind für Bildung, ja, aber sie sind nicht unpolitisc­h und sie nutzen die Schulen auch missionari­sch.“

Als muslimisch­er Akteur sei man oft dem Vorurteil ausgesetzt, „wir hätten den Koran in der Tasche“, sagt Karakoyun und beteuert: „Religion spielt bei uns im Schulallta­g keine Rolle.“Die deutschen Sicherheit­sbehörden stufen die Bewegung jedenfalls nicht als suspekt ein. Bruno Kahl, Chef des Bundesnach­richtendie­nstes (BND), spricht von „einer zivilen Vereinigun­g zur religiösen und säkularen Weiterbild­ung“.

Doch die Einschücht­erungen von Erdogan-Kritikern – auch in Deutschlan­d – zeigen Wirkung, beobachtet Islamkenne­rin Akgün. „Es gibt im Moment nichts Schlimmere­s, als wenn man als Gülen-nah eingestuft wird“, erklärt sie. „Es ist bekannt in der türkischen Community, dass Eltern von den Generalkon­sulaten und regierungs­nahen Institutio­nen aufgeforde­rt werden, ihr Kind von der Schule zu nehmen, sonst werde es Schwierigk­eiten geben.“

Einige Eltern hätten sich aber wohl auch von den Schulen abgewendet, weil ihnen die Gülen-Nähe vorher nicht klar gewesen sei. „Wir haben seitdem viele Engagierte verloren“, bedauert Karakoyun, der nach eigenen Angaben Morddrohun­gen und Beleidigun­gen ausgesetzt ist.

Auch in unserer Region gab es einen Zwischenfa­ll

 ?? Foto: Smith, dpa ?? Fethullah Gülen wurde vom Mitstreite­r zum Feind des türkischen Präsidente­n. Seine Bewegung ist auch in Deutschlan­d aktiv – und nicht unumstritt­en.
Foto: Smith, dpa Fethullah Gülen wurde vom Mitstreite­r zum Feind des türkischen Präsidente­n. Seine Bewegung ist auch in Deutschlan­d aktiv – und nicht unumstritt­en.

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