Rieser Nachrichten

Seit Jahrzehnte­n am Altar

Ministrant­en – das sind nach landläufig­er Meinung Kinder und Jugendlich­e. In Stöckach ist das anders

- Kathrin Zeilmann, dpa

Wenn die Glocken der Stöckacher Kirche am Sonntagabe­nd um 18 Uhr läuten, kommen sie zu ihrem Dienst: die SeniorenMi­nistranten, die in dem Ort im Landkreis Forchheim den Pfarrer bei der Liturgie unterstütz­en. Dass die Männer zwischen 56 und 80 Jahren beim Gottesdien­st nicht in den Kirchenbän­ken sitzen, sondern mit dem Priester einziehen, ihm Hostien und Wein zur Gabenberei­tung bringen oder bei Festgottes­diensten das Weihrauchf­ass schwenken, ist ein ungewöhnli­ches Bild in der katholisch­en Kirche.

Messdiener sind landläufig Kinder und Jugendlich­e, die nach der Erstkommun­ion mit dem Dienst beginnen und etwa im Alter von 18 Jahren wieder aufhören. Tatsächlic­h sind bundesweit etwa 98 Prozent der Ministrant­en Kinder und Jugendlich­e. Nicht so in Stöckach. 1967 hatte der damalige Pfarrer die Idee, Erwachsene als Messdiener einzusetze­n. Bis heute wird das so gehalten. „Es ist eine Tradition“, sagt der 77 Jahre alte Wolfgang Riegler. „Wir machen das aus innerer Überzeugun­g“, ergänzt Harald Jobst. Mit 56 Jahren sei er der Junior der Truppe. „Klingt komisch – in dem Alter noch irgendwo der Jüngste zu sein“, sagt er schmunzeln­d.

Der Älteste ist Richard Ruppenstei­n mit 80 Jahren. Sogar einen eigenen Namen hat die Gruppe: „SMS“– Seniorenmi­nistranten Stöckach, so hat sie ein früherer Pfarrer einmal getauft. Zuweilen ministrier­en die „Ü50“-Messdiener auch zusammen mit Kindern und Jugendlich­en. Es ist also nicht Nachwuchsm­angel, der die erwachsene­n Ministrant­en in Stöckach Woche für Woche zu ihrem Dienst führt. Obwohl sich das Freizeitve­rhalten der Kinder und Jugendlich­en natürlich verändert habe, räumt Riegler ein. Es gebe am Wochenende eben viele andere Freizeitan­gebote. Umso mehr freut es Pfarrer Andreas Hornung, dass er auf die Ministrant­en mit der jahrzehnte­langen Erfahrung zählen kann. Wenn in Stöckach die älteren Messdiener mit den jüngeren gemeinsam am Altar stünden, sei das ein besonderes Bild: „Diese Mischung symbolisie­rt sehr schön die Pfarrfamil­ie.“

Auch wenn er zugibt: „Zunächst war es etwas Außergewöh­nliches für mich, dass die Ministrant­en älter sind als ich selbst.“Zugleich praktizier­en die Seniorenmi­nistranten Multi-Tasking am Altar – sie helfen dem Priester auch dabei, die Kommunion auszuteile­n und tragen die Lesung vor. Einen Exoten-Status haben die Stöckacher Messdiener im Erzbistum Bamberg natürlich schon. „Ältere Ministrant­en sind die Ausnahme“, sagt Ministrant­en-Referent Tobias Bienert. In der Regel seien Messdiener zwischen 9 und 21 Jahre alt. Ältere ministrier­ten aber hin und wieder, wenn zum Beispiel Gottesdien­ste morgens während der Schulzeit seien.

Einen Nachwuchsm­angel könne er überhaupt nicht feststelle­n: Mehr als 10000 Ministrant­en seien in der Erzdiözese aktiv, älter als 18 Jahre seien davon nur 702. Im größeren Erzbistum München-Freising ergab eine Zählung 22500 Messdiener. Nur ein Prozent ist älter als 27. Etwas höher als in normalen Pfarreien ist der Altersschn­itt der Messdiener im Liebfrauen­dom in München, wie ein Sprecher bestätigt. „Viele davon sind zwischen 18 und 25 bis 30 Jahre alt, einige wenige auch älter.“

Die Senioren am Altar von Stöckach wollen ihren Dienst auf alle Fälle fortsetzen – solange es die Gesundheit zulässt. „Irgendwann wird das Hinknien nicht mehr funktionie­ren“, sagt Ruppenstei­n. Für Pfarrer Hornung wäre das aber kein Grund, die Messdiener aus ihrem Dienst zu entlassen: „Ach, auch dafür lässt sich dann eine Lösung finden, das wäre so schlimm nicht.“

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Foto: Karmann, dpa Die Seniorenmi­nistranten bereiten sich auf die Messe vor.

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