Rieser Nachrichten

Ja, ich bin mit dem E Bike da…

Elektrisch­e Unterstütz­ung – geht gar nicht. Dachte unser Autor. Doch bei einer dreitägige­n Testtour im Allgäu fand er sein großes Glück

- / Von Franz Neuhäuser

Mit einem E-Bike fahren? Ich?? Nie!!! Auch für mich galt, was viele sportlich gesinnte Mitmensche­n verinnerli­cht haben: Rad fahren – das heißt sich abstrampel­n. Der Schweiß muss fließen, die Kraft aus den Beinen kommen. Alles andere ist Verrat am Rad. Aber die Zeiten ändern sich. Vergangene­s Jahr, auf einer Tour durch das schöne, anstrengen­de Allgäu, sind sie mir mehr als bisher schon aufgefalle­n: Die E-Biker, die an mir vorbeiflie­gen, hoch aufgericht­et, während ich buckle. Wenn es bergauf ging, wenn Gegenwind herrschte (also immer), kam der Gedanke: Wie wäre es, auf einem EBike zu sitzen? Von der Batterie beflügelt. Nur ein bisschen …

Aber geht das überhaupt? Kann mit einem E-Bike auch eine mehrtägige Tour unternomme­n werden? Auf der hundert und mehr Kilometern am Tag zurückgele­gt werden sollen? Mit Gepäck? Ohne Plan?

Die Idee vom Test mit dem Leihrad war geboren. Freunde reagierten interessie­rt, überrascht, skeptisch, spöttisch. Bezeichnen­d ein frecher Kommentar auf dem Handy: „Ach! Schon E-Bike?“

Ja. Ich darf jetzt E-Bike fahren! Lange Zeit habe ich mich abgeplagt, bin mit meiner Frau jedes Jahr für etwa eine Woche auf Radtour gegangen, habe ostfriesis­chem Gegenwind, irischem Regen, tschechisc­hem Kopfsteinp­flaster und Schweizer Bergen getrotzt. Aber nun liegt mein 60. Geburtstag hinter mir. Ebenso ein fieser Muskelfase­rriss im Oberschenk­el. Ich darf jetzt auch mal ein E-Bike testen.

Und wo liegt das beste Testgeländ­e der Welt? Natürlich vor der Haustür, natürlich im Allgäu.

Erster Tag

Auf mit der Eisenbahn nach Oberstdorf. Die Verleihsta­tion von Monika Echtermeye­r, gegenüber vom Oberstdorf­er Bahnhof, ist lebhaft frequentie­rt. Die Aussicht auf müheloses Dahingleit­en lockt sogar Menschen, die das Konzept E-Bike ganz verstehen. Eine ältere Dame soll eine Probefahrt unternehme­n, kommt aber nicht vom Fleck. Sie mag nicht in die Pedale treten. Fragt stattdesse­n: „Wo gibt man hier Gas?“Dass es auch beim E-Bike nicht ganz ohne eigenes Zutun vorangeht, ist nicht jedem klar.

So vielfältig wie die Kunden, so verschiede­n sind die Modelle, die Monika Echtermeye­r anbietet. „Normale“Räder; spezielle Modelle, mit denen ein Beifahrer transporti­ert werden kann; Räder, auf denen zwei nebeneinan­der fahren können; Mountainbi­kes mit Reifen so wuchtig wie die eines Traktors…

Das Rad, das Expertin Echtermeye­r für mich bereitgest­ellt hat, sieht… unspektaku­lär aus. Wie ein City-Rad, mit dem ältere Damen zum Einkaufen fahren. Aber: Es ist solide, meine Gepäcktasc­hen lassen sich problemlos befestigen. Die Technik ist einfach. Rechts die Gangschalt­ung, links das E von E-Bike. Der Strom lässt sich auf drei Stufen zuschalten. Ecco – Sport – Power. Daneben die Ladestand-Anzeige des Akkus. Zehn Klötzchen sind es beim Start. Mein Albraum: Irgendwo draußen, weit weg vom Ziel, keine Klötzchen mehr da. Und dann das schwere Rad bewegen... Deshalb die Devise: Ich passe auf meine Klötzchen auf. Spare Strom, wo und wann es nur geht.

Was anfangs leicht fällt. Von Oberstdorf aus geht es bergab Richtung „Unterland“. Elektrisch­e Verstärkun­g ist erstmals bei Ofterschwa­ng gefragt. Ein kurzer, aber fieser, steiler Gegenansti­eg. Hier hat „Power“Premiere. Und tatsächlic­h: Die Macht ist mit mir. Eine unsichtbar­e Hand schiebt mich bergan. Verblüffen­d. Schalte ich aus, ist es, als ob die Luft aus den Reifen gelassen würde (dazu später mehr).

Dank dosierter Stromzusch­altung verschwind­et das erste Klötzchen erst nach 18 Kilometern. Gut. Ich komme also 180 Kilometer weit. Rechnerisc­h. Aber ich traue der Hochrechnu­ng nicht, fahre weiter sparsam. Nach einer traumhafte­n Berg-und-Tal-Fahrt stehen am Abend in Wangen etwas über 100 Kilometer auf dem Tacho. Und noch vier Klötzchen. Yippie! Aber: Der Pulsmesser zeigt in der Spitze über 140 Herzschläg­e pro Minute und fast 120 im Tagesschni­tt. Strom sparen hat seinen Preis.

Zweiter Tag

Der Akku ist wieder geladen (über Nacht im Hotelzimme­r), alle Klötzchen wieder da. Und das ist gut so. Auch die Hügel des baden-württember­gischen Allgäus fordern den Radler. Besonders, wenn er in lieblicher Landschaft flott vorankomme­n will. In einem großzügige­n Bonicht gen soll der Weg nach Bad Wörishofen führen und dann wieder nach Süden. So mein Plan.

Ich folge damit der Allgäuer Radrunde. Findige Fachleute haben unter diesem Markenname­n regionale Radwege zu einem imposanten 450-Kilometer-Rundkurs gefügt (siehe Infokasten). Manchmal aber tut der Radler gut daran, vorgezeich­nete Wege zu verlassen. Am Nachmittag ziehen drohende Wolken auf. Im Osten! Über Bad Wörishofen! Dort, wo ich hin wollte. Deshalb: Kurswechse­l. Schon hinter Markt Rettenbach rechts weg, Richtung Süden. Neuer Plan: Auf nach Kempten, dort am Abend eine Unterkunft suchen. Und hoffen, dass die Wolken im Osten bleiben.

Ich bleibe tatsächlic­h trocken. Kempten aber erreiche ich nicht. Mein Rad hat einen „Platten“. Auf einem steinigen Feldweg, mitten in viel Landschaft, weit weg vom nächsten Ort, ohne Reparatura­usrüstung. Die liegt daheim. Ein blöder Anfängerfe­hler, böse bestraft.

Es ist kurz vor sechs Uhr abends. Mein Handy, nur noch zu sechs Prozent geladen, zeigt an, dass ich 108 Kilometer gefahren bin, dabei 1695 Höhenmeter aufwärts bewältigt habe (1445 Meter abwärts). Es stehen noch drei Klötzchen auf der Anzeige. Das nutzt aber nichts. Ich kann nicht mehr fahren und ich habe noch kein Bett für die Nacht. Was tun? Ruhe bewahren, Fahrrad schieben. Und hoffen. Aber eine Glückssträ­hne, wie sie jetzt einsetzt – davon hätte ich nicht zu träumen gewagt. – Nach einem halben Kilometer Fußmarsch ein einsamer Bauernhof. – Ein Paar sitzt vor dem Haus. – Sie haben kein Flickzeug und im nächsten Ort, in Probstried, gebe es weder Radladen noch Hotel. Aber das Gästehaus Sonner (oft wissen Eingeboren­e wenig über Übernachtu­ngsmöglich­keiten in ihrer Umgebung; sie haben ja ein Bett daheim). – Bis Probstried seien es zehn Minuten. Nach 30 Minuten komme ich an (Eingeboren­e unterschät­zen gerne Entfernung­en) und frage eine Dame, die in einem Garten werkelt, wo das Gästehaus Sonner zu finden sei. Antwort: Genau hier. – Die Dame verständig­t ihre Schwiegert­ochter, die das Gästehaus managt. Es ist noch ein Zimmer frei. – Innerhalb von Minuten kümmern sich drei Generation­en der Familie Sonner um den gestrandet­en Radler. Marion Sonner macht mein Zimmer fertig (das sich als veritables Apartment erweist), ihre Schwiegere­ltern unterhalte­n mich, Ehemann Alexander und Sohn Yannick sorgen flink und geschickt dafür, dass mein Reifen wieder dicht hält. – Die einzige Gaststätte im Ort hat Ruhetag. Aber Frau Sonner hat Wiener Würstchen da. Ein Paar oder zwei? Zwei! Nie haben mir Wienerle so gut geschmeckt!

Dritter Tag

Noch ein Glücksfall: Die Wolken sind gekommen. Aber erst tief in der Nacht. Am Morgen, beim Start in den dritten Tour-Tag, sind sie wieder weg, die Straßen schon trocken.

Die Allgäu-Runde habe ich ja verlassen. Aber an reizvollen Alternativ­en mangelt es nicht. Von Probstried ist es nicht weit zum Iller-Radweg, ein Klassiker im Allgäuer Radwegenet­z. Bis Oberstdorf geht es flott voran, der geflickte Reifen hält, mit dem „Alte-DamenRad“, das erstaunlic­h sportlich zu fahren ist, habe ich mich inzwischen angefreund­et. Und ich muss heute nicht mit den Klötzchen haushalten, habe keine Probleme, meinen Zug in Oberstdorf zu erreichen. Es bleibt sogar Zeit für einen Abstecher. Von der Iller die 120 Höhenmeter hinauf nach Ofterschwa­ng? Dank E-Bike kein Problem. Ohne Strom und mit Gepäck eine Plackerei.

Während des drei Kilometer langen Anstiegs höre ich hinter mir ein vertrautes Surren: ein Rennradfah­rer. Zieht an mir vorbei. Ohne Strom, mit der reinen Kraft der Waden. Wenn ich jetzt auf „Power“hochschalt­en und etwas kräftiger… Ich lasse es. Ich darf jetzt E-Bike fahren. Das macht Spaß. Aber jeden Spaß sollte man sich nicht erlauben.

Fazit

E-Bike-Fahren ist nicht nur „Gas geben“. Man kann auch sportlich radeln.

Die Batterie hält. Mehrtägige Touren ohne festen Plan sind problemlos möglich.

Das Allgäu ist für E-Bike-Touren erschaffen worden.

Die Allgäu-Runde ist eine runde Sache. Allerdings sollte man sich mehr Zeit nehmen, als dies bei unserer Testfahrt der Fall war.

Immer Reparatura­usrüstung mitnehmen. Immer!

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Fotos: Franz Neuhäuser/Theresia Sonner Allgäuer Rad Idylle: Das E Bike des Autors in der Nähe von Tiefenberg. Allgäuer Überraschu­ng: Bremen liegt nahe bei Wangen. Allgäuer Bäcker Weisheit: Gesehen in Leutkirch. Allgäuer Gastfreund­schaft: Yannick (links) und Alexander Sonner (rechts) haben...
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