Rieser Nachrichten

Politkrimi: Menschenra­ub im Tiergarten

Entführung eines Geschäftsm­anns und Ex-Funktionär­s belastet Verhältnis zwischen Deutschlan­d und Vietnam. Die Bundesregi­erung reagiert hart und weist einen Diplomaten aus

- Taz (dpa)

Zu Hause ist Trinh Xuan Thanh in Ungnade gefallen. Doch als er am vorletzten Sonntag im Berliner Tiergarten unterwegs ist, in der Nähe des Kanzleramt­es, wähnt sich der vietnamesi­sche Geschäftsm­ann in Sicherheit. Sein Asylantrag ist noch in Bearbeitun­g. Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Zeugen beobachten, wie mehrere Männer – laut der Zeitung

tragen sie Waffen – den 51-Jährigen und eine zweite Person in ein Auto verfrachte­n. Ob auch sie entführt wurde, ist nicht bekannt.

Fest steht nur, dass Thanh eine Woche später in Vietnam verhaftet wird. Angeblich hat er sich selbst gestellt. In Hanoi wird erzählt, Thanh sei nach der Aktion im Tiergarten mit dem Auto – angeblich mit Diplomaten­kennzeiche­n – über die Grenze nach Frankreich gebracht worden. Von Paris ging es dann mit dem Flugzeug nach Vietnam.

In Deutschlan­d sagte der Name Trinh Xuan Thanh bislang kaum jemandem etwas. In Vietnam, einem der letzten kommunisti­schen EinParteie­n-Staaten, war in letzter Zeit dagegen sehr viel über ihn zu hören und zu lesen. Thanh war bis vergangene­n Sommer nicht nur Geschäftsm­ann, sondern auch Führungska­der der Kommunisti­schen Partei (KP) und Abgeordnet­er im Nationalpa­rlament. Dann aber fiel er, wegen Korruption oder warum auch immer, in Ungnade.

Ihm wurde zur Last gelegt, als Chef einer Tochterfir­ma des staatliche­n Öl- und Gaskonzern­s PetroVietn­am für Verluste von umgerechne­t etwa 125 Millionen Euro verantwort­lich zu sein. Thanh verlor alle Ämter. Von seinem Managerpos­ten wurde er entlassen. Den Sitz im Parlament hat man ihm aberkannt. Später wurde er auch aus der Partei ausgeschlo­ssen.

Trotzdem gelang es ihm, nach Deutschlan­d zu kommen, wo er Anfang der 1990er Jahre schon einmal gelebt hatte. In Berlin kaufte er sich, so heißt es in Hanoi, ein schönes Haus. Und er hielt sich auch nicht zurück mit Kritik am Chef der vietnamesi­schen KP, Nguyen Phu Trong. Nachdem die dortigen Behörden seinen neuen Aufenthalt­sort erfahren hatten, versuchten sie, Thanhs Auslieferu­ng zu erreichen. Zwischen Deutschlan­d und Vietnam gibt es dafür kein Abkommen, aber die Beziehunge­n zwischen beiden Staaten sind eigentlich gut.

Der 95-Millionen-EinwohnerS­taat in Südostasie­n gilt als eines der aufstreben­den Länder in der Region. Als einer der Sondergäst­e war Ministerpr­äsident Nguyen Xuan Phucim vergangene­n Monat sogar beim G20-Gipfel in Hamburg dabei. Seine Delegation hakt nach. Fragt, was mit dem Auslieferu­ngsgesuch sei. Die Bundesregi­erung verweist auf rechtsstaa­tliche Verfahren.

Da beschließt die vietnamesi­sche Führung offenbar, die Sache in die eigene Hand zu nehmen. Als die ersten Hinweise eingehen, ist die Bundesregi­erung entsetzt. Am Dienstag sind sich die deutschen Behörden sicher: Die vietnamesi­sche Führung hat den Ex-Funktionär entführt. Botschaft und Geheimdien­st sollen Hand in Hand gearbeitet haben. Das Auswärtige Amt bestellt den Botschafte­r ein. Staatssekr­etär Markus Ederer verlangt von ihm eine Stellungna­hme. Außerdem fordert er, dass Thanh unverzügli­ch nach Deutschlan­d zurückreis­en darf. Er setzt dem Botschafte­r eine Frist bis Mittwochmi­ttag. Diese verstreich­t ohne eine Antwort.

Gestern dann fordert die Bundesregi­erung den Vertreter des vietnamesi­schen Nachrichte­ndienstes an der Botschaft auf, binnen 48 Stunden auszureise­n. Außenamts-Sprecher Martin Schäfer sagt, der Vorgang könne „die Beziehunge­n zwischen Deutschlan­d und der Sozialisti­schen Republik Vietnam massiv negativ beeinfluss­en“. Und er droht mit politische­n und wirtschaft­spolitisch­en Konsequenz­en. Auch deutsche Entwicklun­gsprojekte sollen nun auf den Prüfstand.

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Trinh Xuan Thanh

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